Lach- und Hackgeschichten

4. Dezember 2021. Wie nah kommen Hacker:innen und Computerwürmer den lebenswichtigen Infrastrukturen? Die Gruppe internil hat sich auf die Suche nach dem verborgenen Cyberkrieg begeben – in einer Hybrid-Performance vor Ort und gleichzeitig im Livestream.

Von Jan Fischer

"Blackout" am TD Berlin mit Marina Dessau, Christopher Hotti Böhm, und Arne Vogelgesang © Gianmarco Bresadola

4. Dezember 2021. Die Technik steht auf tönernen Füßen. Zwar können die Besucher im Chat von "Blackout" der Gruppe internil in der Einweisung per Kommando ihre Mitteilungen als Sprachnachrichten in den Raum des Theaterdiscounter, zum Livepublikum in Berlin, übertragen, außerdem eine kurze Passage von AC/DCs "Thunderstruck" abspielen, und, als Highlight, eine Drohne fernsteuern. Aber das alles funktioniert dann irgendwann nicht mehr. Außerdem muss einmal eine Präsentation neu gestartet werden. Nun ja. Die Tücke des digitalen Objekts, einerseits.

Andererseits aber: thematisch nicht ganz unpassend. Denn in "Blackout" geht es, ganz grob gesagt, um die Geschichte weltweiter Hackerangriffe und das Versagen technischer Infrastrukturen. Die Schönheit und Gefährlichkeit von Code. Und und um diesen eigenartigen "Noch-Nicht-Kriegszustand", dem, so erzählt Performer Arne Vogelsang, man sich immer schwerer entziehen könne.

Was ist das für 1 Krieg?

Die Inszenierung ist in Module gegliedert, die Namen tragen wie "Was ist das für 1 Krieg", "Crouching Panda" oder "Gleichgewicht des Hackens". Arne Vogelsang, Marina Dessau und Christopher Hotti Böhm laufen im Wechsel durch eine von überall her anprojizierte Großraumbürolandschaft, die aussieht, als träfe William Gibsons Sci-Fi-Roman "Neuromancer" auf eine Sparkassen-Filiale im Dortmunder Umland, und erklären die großen Klassiker des Cyberkrieges.

BLACKOUT3 805 Gianmarco Bresadola uDie Welt im Blick: Arne Vogelgesang und Marina Dessau im TD Berlin © Gianmarco Bresadola

Der Computerwurm "Stuxnet" tritt in zwei Varianten auf, erklärt anhand der Temperaturumdrehungsregelung von Waschmaschinen; der Ransomware-Wurm "wannacry"; die Gruppe "Shadowbroker", die – vielleicht regierungseigene – Malware öffentlich zum Verkauf anbot; die mutmaßlich indischen und chinesischen Hackergruppierungen, die Territoritalstreitigkeiten in den dunklen Tunneln der vernetzten Strukturen unsichtbar auch mit den Mitteln hybrider Kriegsführung austragen. "Sind wir schon längst im Krieg und wissen es nicht?", fragt Dessau einmal.

Im Wald leben will ja auch keiner

Gefilmt werden die drei im Stream dabei mit mehreren Kameras, darunter auch mit einem Kamerafahrzeug, das dann leider nicht aus dem Chat fernsteuerbar ist. "Blackout" ist dabei im Prinzip ein längerer Vortrag über Datensicherheit und virtuelle Bedrohungen – Böhm, dessen Teil des Vortrags als der einer Art paranoiden Hackers gestaltet ist, rät: GPS am Handy ausmachen, Internet ausmachen, "in letzter Konsequenz heißt das: Du lebst im Wald, will ja auch keiner".

Die Klammer der Inszenierung bilden dabei zwei Geschichten von Blackouts: Dessau erzählt von einer Party mit zuviel Drogen und einem Filmriss und von ihren Zweifeln daran, dass das, was ihr Freund ihr von der verlorenen Nacht erzählte, tatsächlich passiert ist – vielleicht hätte er, sagt sie, die Gelegenheit nur genutzt, um "mir Erinnerungen reinzupatchen". Der zweite Blackout, der am Ende, ist ein tatsächlicher: Vogelsang erzählt, wie in ganz Europa der Strom ausfällt. Ein Hack? Einfach nur Überlastung? Niemand weiß es, während langsam aber sicher alle Infrastrukturen zusammenbrechen. Drogen und Hacken: Beides hat etwas mit Kontrollverlust zu tun.

Perfide Schönheit

Das alles ist recht locker gestaltet: Dessau muss, als stuxnet erklärt wird, ständig eine Waschmaschinentrommel drehen, Vogelsangs sonnenbebrillte Simulation einer Kundin bringt sie zum Lachen, einmal sagt er: "Wir können das morgen auch gerne anders spielen." Hinter dieser Lockerheit allerdings steckt einiges an Recherche. Wer entsprechende Nachrichten verfolgt, erfährt zwar wenig Neues, aber immerhin spielt die Gruppe mit Drohnen und ferngesteuerten Autos herum und erklärt in vielen Details, wie alle diese Viren, Würmer und Trojaner eigentlich funktionieren – aber vor allem, wie man sie nutzen kann, um wirklich großes Chaos zu stiften.

BLACKOUT2 805 Gianmarco Bresadola u"Stuxnet" mittels Waschmaschinen-Steuerung erklärt: Arne Vogelgesang und Marina Dessau © Gianmarco Bresadola

Stück für Stück schält sich heraus, was diese neue Form der Kriegsführung kann und wie wie sie vorgedrungen ist – wo wannacry in der Lage war, Krankenhäuser lahmzulegen, und stuxnet Turbinen durchbrennen lassen konnte, wo Sicherheitsforscher die perfide Schönheit der Arbeit der "Equation Group" bewundern, lohnt es sich, soviel wird an dem Abend klar, vielleicht doch, informiert zu sein.

Lach- und Hackgeschichten gibt es in "Blackout" also zu sehen, aufbereitet als eine Art Lecture Performance. Und auch wenn einiges von dem Spielkram nicht so ganz funktioniert – ein bisschen was gibt es doch zu sehen. Vor allem aber einen Abend solider recherchierter Cyberdystopieunterunterhaltung, nach dessen Lockerheit man am Ende des Streams den Rechner doch eher paranoid ausschaltet. Und am besten gleich noch komplett vom Strom abklemmt.

Blackout
Recherche, Performance, Gestaltung: Christopher Hotti Böhm, Marina Dessau, Arne Vogelgesang, Licht-  und Raumkonzept: Kollektiv GUT Holz Strahl, Programmierung: Moritz Berning, Produktionsleitung: ehrliche arbeit, Produktion: internil.
Premiere am 3. Dezember 2021
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.td.berlin

 

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