Troja - das war echt Scheiße

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 15. November 2008. Da steht sie also, die Amazone Prothoe, in der einen Hand ein Messer, in der anderen eine Pistole. Aber was soll sie machen, wo doch die Königin Penthesilea und der Grieche Achill einander in den Armen liegen, frisch verliebt, anstatt erz-verfeindet, die Welt um sich vergessend, anstatt einander bis aufs Blut zu bekämpfen. Da sind zwei Leute ausgeschert aus dem System festgeschriebener, aber doch mehr als fragwürdiger Werte. Sie sind nicht mehr bereit, mitzutun im bitterernsten Kriegs-Spiel. Was also tun? Schließlich piekt Prothoe den verliebten Achill ein klein wenig in den Hintern, auf dass er aufwache - ohne zu wissen, was sie ihm eigentlich sagen soll, wenn er dann zur Räson gekommen sein wird.

Ausmisten

Friederike Czeloth hält in ihrer Lesart des Kleist'schen Trauerspiels so manche geradewegs bukolische Szene bereit. Hand aufs Herz: Wer wollte "Penthesilea" schon eins zu eins umgesetzt sehen und hören? Das klappt ja schon deshalb nicht, weil uns - beim Styx! - die Antikenwelt mit ihren unzähligen mythologischen Anspielungen heutzutage wildfremd geworden ist.

So hat die 1980 in Hamburg geborene Regisseurin also erst mal ordentlich ausgemistet. Das mahnende Geschwätz der Priester ist ebenso dem Rotstift zum Opfer gefallen wie der eine oder andere Protagonist im Heer der Griechen. Es reichen auch zwei Amazonen-Fürstinnen völlig aus. Die Regisseurin zeigt sich ironisch, aber so großzügig sie auch im Detail umgeht mit Kleists Text, so bleibt sie doch erstaunlich nah an der ursprünglichen Botschaft.

Collagieren

Verdichtung, nicht Verkürzung ist angesagt. In wenig über anderthalb Stunden ist alles gesagt. Friederike Czeloth ist eine geschickte Dramaturgin, die den Text als Steinbruch hernimmt und in Collagetechnik mit heutigem Idiom verbindet. Das ergibt ein witziges Hin und Her zwischen vorvorgestern und heute.

Gleich am Beginn erleben wir den alten Recken Odysseus, der sich einen Joint dreht und von seinen reichen Kriegserfahrungen erzählt: Erster Punischer Krieg. Zweiter Punischer Krieg. 333 war er sowieso dabei und auch, als Hannibal mit den Elefanten über die Alpen gezogen ist. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg natürlich auch. Aber Troja - das war echt Scheiße.

Und schon sind wir mitten drin im totalen Krieg, in dem plötzlich auch die Amazonen mitmischen. Dann stehen Penthesilea und Achill einander gegenüber, jeweils als "Chefsache" des anderen. Und sie verlieben sich prompt. Achill, der amouröse Draufgänger, lässt den Odysseus Sittenordner und Wächter der alten Werte sein und stürzt sich Hals über Kopf in die pazifistische Utopie.

Illusionslos herzerquickend

Penthesilea liebt auch, aber sie steckt letztlich fest in den alten Denkweisen. Drum kann die Sache nicht gut gehen. Genau diese differenzierte Sicht auf die Dinge macht Kleist auch heute lesens- und aufführenswert. Mit Ideologie ist dem Leben nicht beizukommen, und leider auch nicht mit rabiatem Gutmenschentum.

Alle Achtung, wie das auf der Probebühne des Grazer Schauspielhauses umgesetzt ist. Ein bisserl schaut das Bühnenbild nach Ballermann-Disco aus, mit bunten Glühbirnen und aufblasbaren Party-Palmen. Es wird herzerquickend gekämpft, mit deutlichem Hang zum Slapstick. Die Amazonen sind eine Ranger-Frauenbande, die Damen schießen mit Vorliebe beidhändig. Die Griechen sind auch keine Waisenknaben. Die fünf Protagonisten und Protagonistinnen bereiten einander starke Abgänge durch eine breite Öffnung im Bretterboden.

Troja ist überall

Ein ganz junges Team ist am Werk. Jaschka Lämmert ist Penthesilea, die andauernd Angst vor der eigenen Courage bekommt, die sich herb gibt und doch butterweich sein will, die sich ausliefern möchte und doch Ur-Amazone bleiben muss. Carolin Eichhorst (Prothoe) und Susanne Weber (Asteria) nutzen die guten Angebote der Regisseurin. Keine Figur bleibt in dieser Produktion eindimensional. Sebastian Reiß ist ein Softie-Achill, der schon mal Prügel bezieht von Odysseus (Claudius Körber), einem jungen Intellektuellen im Vietnam-Kampfanzug.

Ja, zwischen Troja und Vietnam ist dieser Spielort nicht dingfest zu machen, und so ist diese "Penthesilea" eben auf witzige und deshalb so gar nicht weltverbesserische Art ort- und zeitlos gefasst. Troja ist möglicherweise überall, und ein gutes Herz schützt nicht einmal eine Amazone vor einem Betonkopf. So ist das wohl.

 

Penthesilea
Ein Trauerspiel von Heinrich von Kleist
Regie: Friederike Czeloth, Ausstattung: Markus Boxler, Kampftraining: Michael Moritz.
Mit: Carolin Eichhorst, Claudius Körber, Jaschka Lämmert, Sebastian Reiß, Susanne Weber.

www.buehnen-graz.com


Mehr Penthesileen gab es in diesem Jahr im Februar von Luk Perceval an der Berliner Schaubühne, und von Karin Henkel im April in Stuttgart.


Kritikenrundschau

Werner Kmetisch schreibt ganz knapp in der Kleinen Zeitung aus Graz (16.11.2008): "Palmenhain und Combat-Anzüge, die Doors, Led Zeppelin" und gelbrotes Licht auf der Bühne verwandelten Kleists Drama in "einen tropischen Fiebertraum, in dem viel gerannt und gekämpft" werde. Die Regisseurin "pimpt" das "als kaum spielbar geltende Textgebirge zum Actionspektakel auf". Das "Geknatter und Gefuchtel" auf der engen Probebühne erinnere an einen "Kindergeburtstag" und es sei nur den "fünf Schauspielern zu danken" dass "das schreckliche Scheitern", das Kleist so eindringlich beschreibe, dahinter nicht völlig verschwinde.

 

Kommentare  
Penthesilea Graz: tiefschürfend trotz Komik
hatte frau czeloth denn keine dramaturgin, dass sie das selber machen musste?

ansonsten: ein bewegender abend, tatsächlich. ein großes lob für diese stimmige und trotz ihrer komik tiefschürfende inszenierung!
Penthesilea in Graz: Es geht um den Akt des Sprechens
"Hand aufs Herz: Wer wollte "Penthesilea" schon eins zu eins umgesetzt sehen und hören?", schreibt Herr Kriechbaum. Ich, ganz bestimmt, und dem Kritiker rate ich einmal Syberbergs Sechs-Stunden-Version mit Edith Clever anzuschauen. Vielleicht werde ich dann eine solche an Ignoranz und Dummheit nicht zu überbietende Kritik bald nicht mehr lesen müssen. Der Kritiker hat doch jeden Glauben an Sprache verloren. Wer Kleists Stück nur nach seinem Informationsgehalt abklopft, verfehlt den eigentlichen theatralen Wert. Der Akt des Sprechens auf der Bühne weiß keiner mehr zu nutzen als der Autor Kleist, dieser Kritiker hat davon noch nichts gehört.
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