Coolhaze - Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Am Filmset des Grauens
5. Dezember 2021. "Schau einfach so blöd, wie Du immer schaust. Das passt schon", sagen Studio Braun, Charly Hübner & Friends und legen eine furiose Filmindustrie-Parodie aufs Parkett des Hamburger Schauspielhauses. Eine Rache-Revue mit Anklängen an Kleist und Charles Bronson.
Von Stefan Forth
5. Dezember 2021. Charly Hübner ist ein selbstverliebter, eitler Fatzke. Ganz schön aus der Form geraten ist er auch. Wenn dieser Typ einen Law-and-Order-Action-Helden à la Charles Bronson spielen soll, geht das praktisch nur mithilfe von Kopf- und Brusthaartoupet, falschem Schnäuzer und Muscle Suit. Und dann kann der Spaß beginnen in "Coolhaze", dem neuesten Showstreich des Künstlertrios Studio Braun am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
Kohlhaas in New York
In dieser Parforceparodie auf die Filmwelt, auf Musicals und auf Kleists Erzählung "Michael Kohlhaas" spielt Noch-Polizeiruf-Hauptdarsteller Charly Hübner eine unsympathischere Version seiner selbst. Dieses Alter Ego ist Star eines Leinwandprojekts, das Kleists Wutbürger aus dem Sachsen des 16. Jahrhunderts auf die Straßen New Yorks in den 1970er Jahren holen will. Und das sich dabei ausgiebig an Motiven des Charles Bronson-Thrillers "Ein Mann sieht rot" bedient.
Rache, Selbstjustiz und Gerechtigkeit scheinen also erstmal die bestimmenden Themen dieses Abends zu sein: das Aufbegehren eines einzelnen Mannes gegen Staatsversagen und Willkürherrschaft. Dem Coolhaze des fiktiven Filmprojekts werden zu Unrecht zwei Motorräder beschlagnahmt (was bei Kleist noch Pferde sind). Die verzweifelten Versuche durch alle Instanzen, dieses Eigentum wiederzubekommen, eskalieren und führen zu einer Spirale der Gewalt.
Mit brachial guter Laune
Was für ein absurdes Machogehabe! Die Inszenierung lässt keinen Zweifel daran, dass sie das gockelhafte Aufgeplustere ihres männlichen Personals um keinen Preis ernst zu nehmen bereit ist. Mit brachial guter Laune legt sie stattdessen Ängste, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle als die eigentlichen Triebfedern hinter dem Handeln ihrer Figuren frei.
Was für ein armseliges Würstchen ist zum Beispiel der dauercholerische und notorisch frauenfeindliche Filmregisseur Florian von Richthofen mit seinem antrainierten österreichischen Akzent! (Ähnlichkeiten zu einem deutschen Oscar-Gewinner sind mutmaßlich nicht gerade zufällig.) Wenn sein Hauptdarsteller behauptet, dass die Sonne um die Erde rotiert, bleibt diesem Mann nur der Rückzug in die Defensive: "Ich denke, ein Charly Hübner weiß, wer sich um wen dreht." Klar: "Ist ja eh alles nicht erwiesen." Nebendarsteller wie Rocko Schamoni kriegen dagegen die volle Breitseite: "Schau einfach so blöd, wie Du immer schaust. Das passt schon." Hauptsache mit ordentlich Pathos, denn: "Céline Dion und Leni Riefenstahl – sowas lieben die Deutschen!"
"Céline Dion und Leni Riefenstahl – sowas lieben die Deutschen!"
Kein Wunder, dass Bonny Schneider ihr Dasein als weiblicher Co-Star an diesem Set nur im Suff ertragen kann. Nach praktisch jeder Einstellung greift sie gierig zum Sektglas und einigermaßen exaltiert zur Zigarettenspitze. Schauspielhaus-Ensemblemitglied Ute Hannig hat sichtlich Spaß daran, sich mit dieser fragilen Figur lustvoll ironisch durch den Abend zu singen und zu tanzen. Sie ist die Meisterin der großen Gesten, der ausgestellten Handgelenke, des ausladenden Hüftschwungs und des katastrophalen Catwalks. Herrlich, wie sie zusammen mit Schauspielkollegin Josefine Israel im braun-gelb-beigefarbenen 70er Jahre-Wohnzimmer die pinkfarbenen Staubwedel schwingt!
Überhaupt: Dieser Abend ist perfekt und mit Liebe zum Detail durchchoreografiert. Immer wieder werden Pirouetten gedreht, Hebefiguren versaut, Ausfallschritte gesetzt und Spielbeine gespreizt. Bewegungscoach Rica Blunck hat ganze Arbeit geleistet. Die passende Musik im Stil der 70er steuert live Sebastian Hoffmann mit seinem Coolhaze-Orchester bei. Mehr als ein Dutzend Stücke haben er und die Studio Braun-Herren Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger für die Inszenierung geschrieben. Die Melodien sind ebenso eingängig wie die Texte oft wohl gewollt hölzern und sperrig. So komisch knirscht es eben, wenn man Rachegelüste in ein (Film-)Musical quetscht.
Zauberkasten Theater
Auch das Bühnenbild zwinkert mit einem liebevoll triefend ironischen Auge Richtung West End, Broadway und Hafen Hamburg. Stéphane Laimé hat die Coolhaze-Crew mit allerhand haushohen düster bemalten Kulissenteilen versorgt, die äußerst engagierte Statist:innen und Techniker:innen in Windeseile zu unterschiedlichen New Yorker Stadtpanoramen zusammenschieben können. Mithilfe von Animations- und Videotechnik lassen sich mit ebenso leichter Hand hawaiianische Strände, Filmvorspanntafeln und Roadmoviesequenzen ins Schauspielhaus projizieren.
"Coolhaze" feiert das Theater – als Anti-Überwältigungs-Maschine, als Zauberkasten mit ausgestellten Macken, als einen Ort, an dem das Zweifeln an einfachen Weltformeln, an klaren Ansagen und an schönen Kulissen Spaß macht. Dabei ist dieser Abend viel weniger unmittelbar politisch als einige andere Inszenierungen des Kohlhaas-Stoffes der letzten Zeit. Bei Studio Braun stehen die Menschen im Mittelpunkt, die sich aus vermeintlichen Knallchargen herausschälen, der Schmetterling, der sich am Schluss aus der von Jacques Palminger verkörperten dauer-unterdrückten Raupe entpuppt – und vielleicht sogar so etwas wie Hoffnung, die manchmal die Ironie-Ebenen dieser rasanten Racherevue durchbricht.
Coolhaze
von Studio Braun
Regie: Studio Braun, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Dorle Bahlburg, Licht: Rebekka Dahnke, Musik: Sebastian Hoffmann und Studio Braun, Video: Jan Speckenbach, Live-Kamera: Philip Jestädt, Tonangler: Michal Szpula, Animation: Luis August Krawen, Choreografie: Rica Blunck, Dramaturgie: Bastian Lomsché – und Skriptgirl Nadine: Victoria Voigt.
Mit: Rica Blunck, Ute Hannig, Jonas Hien, Charly Hübner, Josefine Israel, Jacques Palminger, Jens Rachut, Rocko Schamoni, Holger Stockhaus, Heinz Strunk, Samuel Weiss.
Orchester: Lieven Brunckhorst, Ali Busse, Elen Harantyuanan, Niklas Hardt, Taco von Hettinga, Sebastian Hoffmann, Martin Hornung, Ivanna Ilina-Frolikov, Philipp Kacza, Michael Leuschner, Ruth May, Natascha Protze, Sönke Rust, Hanno Stick, Michal Szpula, Claas Ueberschär.
Statist:innen: Frederik Börner, Catherine Claussen, Tommaso Del Duca, Dennis Feuerhacke, Yasin Gaye, Ingmar Grapenbarde, Jarryd Haynes, Mara Legler, Maximilian Posny, Caroline Schöne-Döbler, Bettina Woitt, Romy Wunderlich.
Premiere am 4. Dezember 2021
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schauspielhaus.de
"Es bleibt beim kultivierten Nonsens, den das eingeübte Publikum ab dem ersten Bild warm lachend goutiert. Man weiß halt, was man kriegt", schreibt Jan-Paul Koopmann in der taz (6.12.21). Trotz "allerliebster Gesangseinlagen und passgenauem Schmelz aus dem Orchestergraben" und trotz "allem Wumms an der Oberfläche" – im Grunde sei es doch eine konventionelle Inszenierung, findet der Kritiker. "Lustig ist es trotzdem und gegen Eindimensionalität wäre auch erst einmal nichts zu sagen, wenn diese eine Dimension denn auch etwas hergibt. Und das tut sie spätestens nach einer halben Stunde leider nicht mehr."
"Diese Michael Kohlhaas-Variation ist cool, mitreißend, anarchisch und mancher Spruch dabei so blöd, dass er schon wieder gut ist - typisch 'Studio Braun'", sagt Katja Weise auf NDR Kultur (5.12.2021).
Ein "hochkomisches, immerzu vom Kippen bedrohtes Kunstwerk", entdeckt Peter Kümmel in der Zeit (9.12.2021). "Es wird oft gesagt, deutsche Unterhaltung nach dem Holocaust definiere einen Hohlraum: nämlich das Verschwinden des jüdischen Witzes aus der deutschen Kultur. Die drei Herren von Studio Braun, so könnte man raunend feststel- len, verneigen sich vor dieser Leerstelle, indem sie gar nicht erst versuchen, sie mit blendendem Witz zu füllen, sondern indem sie, in unterschwelliger Schwermut, das Abwesende und eh Unerreichbare demonstrativ durch Unfug, Kalauer, havarierende Pointen und das – bisweilen geniale – Plumpe ersetzen."
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