reden über sex - Schaubühne Berlin
Der Rest ist Stöhnen
8. Dezember 2021. Sex hat viele Gesichter, Facetten, Geheimnisse. Maja Zade hat ein Stück drüber geschrieben mit dem programmatischen Titel "reden über sex". Regisseur Marius von Mayenburg lässt an der Berliner Schaubühne dafür die Yogamatten ausrollen und versucht, die Komödie ins Dunkle zu treiben.
Von Georg Kasch
7. Dezember 2021. Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen? Das galt lange Zeit für Sex. Heute aber reden wir auch in größeren Abendrunden ziemlich unbefangen über Analverkehr, Scheidenkrampf und die Vorteile (un)beschnittener Schwänze. So auch in Maja Zades neuem Stück: Fünf Menschen treffen sich regelmäßig zum – der Titel sagt's – "reden über sex". In entspannter Atmosphäre beginnt jemand mit seiner oder ihrer Geschichte, die anderen staunen, kommentieren oder verkriechen sich, peinlich berührt, in sich selbst.
Diesmal kommt ein sechster hinzu, Kevin, und fragt: Wozu das alles? Um unser sexuelles Leben (und damit sich selbst) anzunehmen, sich von Scham zu befreien, einander respektvoll zuzuhören, wie die eingespielten Berliner Mittvierziger behaupten? Aber was ist mit dem Geheimnis der Sexualität, auf dem Kevin besteht?
Geheimnis oder im Geheimen?
Regisseur Marius von Mayenburg hat für seine Uraufführungs-Inszenierung an der Berliner Schaubühne eine Art Yoga-Stunde hinzuerfunden: Wellness für Körper und Seele. In einem Raum, der halb Probebühne zu sein scheint, halb Turnhalle (offenbar hat Jan Pappelbaum hier ebenso ein altes Bühnenbild recycelt wie neulich Chloe Lamford in (Kein) Weltuntergang), legen die drei Frauen und drei Männer nacheinander ihre Seelenstripteases hin.
Fedora beobachtete ihre Freundin regelmäßig beim Sex mit einem anderen Mann, Bernd berichtet von einer uneindeutig erotischen Begegnung mit seiner pflegebedürftigen Mutter. Maries Mann hat sich am Tag ihrer Hochzeit in ihre Schwester verguckt, Britta ließ sich ihre Vulva verkleinern, um für ihren Mann attraktiv zu bleiben. Oder Pascal: Der gläubige schwule Katholik wollte, wie sein Mann, keinen Sex vor der Ehe – sicher ist sicher. Petting aber ging, und so wird aus dem Sexverbot ein erotischer Kitzel, der sich nach der Hochzeit nicht wiederherstellen lässt.
Sexualität hat viele Gesichter und Facetten, erfolgreiche Serien wie "Sex Education" erzählen davon. Nur sind die Geschichten, die Zade hier präsentiert, äußerst gewählte Probleme, die aus dem Geist des Paradoxons und des Tabus schöpfen. Man könnte natürlich auch von den unglamouröseren Phänomenen wie Lustlosigkeit, Eintönigkeit oder der Angst vor den eigenen Fantasien erzählen – da würden genügend Abgründe lauern. Aber ob sich ihnen Pointen abtrotzen ließen?
Gegen saftigen Boulevard, als der sich Stück und Inszenierung über weite Strecken präsentieren, ist ja nichts einzuwenden. Zumal sich die Spieler:innen lustvoll in ihre Rollen werfen. Insbesondere ihre Reaktionen auf die Monologe der anderen sind gut gearbeitet: Lukas Turturs Kevin verkrümelt sich vor Scham in seine verschränkten Arme, Jenny Königs Marie lauert wie eine Viper auf die Äußerungen der anderen.
Relax, don't do it
Dann wieder prügeln sich Konrad Singers Pascal und Genija Rykovas Britta wegen einer Nichtigkeit, während König Robert Schumanns "Ich grolle nicht" ins Mikro singt, als wär's ein müder Schlager. Dann atmen sie alle – ha ha ha ha – auf ihren Matten in den Rücken, um "Relax" von Frankie Goes to Hollywood als große Sexhymne anzustimmen. Allerdings gibt’s von diesem Komödiantenfutter auch schnell zu viel: Wenn etwa Robert Beyer als Bernd sich während Maries Erzählung die dort erwähnten Nippelklemmen imaginiert, legt er sie pantomimisch an und weitet seine Augen zu Tellern. Uff.
Aber so ganz scheint das weder Zade noch von Mayenburg zu reichen. Die Einsamkeit, die das Programmheft mehrfach zitiert, muss man zwischen und in den Figuren des Stücks allerdings suchen. Manchmal gibt es sie, Sätze von Horváth'scher Prägnanz: "ich werde ihn immer lieben, egal an wen er denkt", sagt Maria einmal trotzig über ihren Mann, der ihre Schwester begehrt. Danach geht’s aber gleich wieder im Plauderton weiter.
Auch von Mayenburg häkelt, wann immer es geht, am Bedeutungsrand. Die Songs, von "Wrong" bis hin zu "Dido's Lament" inszeniert er als surreale Momente, in denen die Zeit stillsteht. Kevins Geständnis, dass er einen sehr kleinen Penis habe, wird ebenso zu einem düsteren Moment wie Bernds Fantasie, in der Erde zu versinken – am Ende deutet von Mayenburg sogar dessen Tod an.
Gerangel und Sprachlosigkeit
Nur gibt das Stück das nicht her. Anders als Zades Erstling "status quo“, 2019 ebenfalls von Marius von Mayenburg uraufgeführt: Da lohnte es sich, die Komödie ins Finstre zu treiben. Die Idee, Machtmissbrauch und Sexismus mal von Frauen ausüben und einem jungen Mann widerfahren zu lassen, hatte allerdings bitteren Biss. Und wesentlich mehr Relevanz, als jetzt diese insgesamt unterhaltsamen und zugleich furchtbar harmlosen Gespräche über Sex. Ja, auch hier ist der Firnis der Zivilisation dünn. Aber wenn darunter wenig mehr lauert als die Sprachlosigkeit angesichts eines Mikropenis und ein wenig Gerangel, ist das mit der Barbarei nur halb so wild.
reden über sex
von Maja Zade
Uraufführung
Regie: Marius von Mayenburg, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Nina Wetzel, Musik: David Riaño Molina / Nils Ostendorf, Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Erich Schneider.
Mit: Robert Beyer, Carolin Haupt, Jenny König, Genija Rykova, Konrad Singer, Lukas Turtur.
Premiere am 7. Dezember 2021
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schaubuehne.de
Kritikenrundschau
"Harmlos", findet Ute Büsing vom RBB (8.12.2021) Maja Zades Text. Das Ensemble bemühe sich nach Kräften aus diesem letztlich belanglosen Stück ohne dramatischen Höhepunkt Funken zu schlagen. Jedoch: "Letztlich läuft das Gelaber auf sattsam bekannte große und kleine Penisse, kleine und große Vaginas hinaus. Die existenzielle Einsamkeit, die unter all den beim Seelenstriptease verhandelten Sex-Spielen lauert, wird zu selten sichtbar." Die Kritierin fragt, warum sexuelle Übergriffe, die Me too-Bewegung und ihr Echo in der Gesellschaft so gar nicht thematisiert würden. "Darüber wird nämlich gerade geredet."
"An der Berliner Schaubühne erfährt man von Leuten, die man lieber nicht näher kennenlernen will, lauter Intimitäten, die den Rest der Welt eigentlich nichts angehen. Über irgendwas muss man an langen Theaterabenden halt plaudern, um sich die Zeit zu vertreiben", schreibt Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (9.12.2021. Zade gelinge immerhin ein neues, leider völlig überflüssiges Genre: "das pointenlose Boulevardstück". Der Kritiker schließt: "Wer vor dem Besuch der Schaubühne dachte, dass Sex eigentlich eine ganz erfreuliche Sache ist, wurde gründlich eines Öderen belehrt."
Theatralisch bleibe das Ganze bis auf ein paar schöne A-cappella-Karaoke-Nummern betont unsaftig, bemerkt Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (9.12.2021). "Es spielt sich vor umgedrehten Bühnenstellwänden ab – also eigentlich hinter den Kulissen, in einem für Publikum nicht zugänglichen Bereich, einem Schutzraum oder Safe Space, wie es heute heißt. Der Witz des Abends ist also, dass eine solche schützende Einrichtung Menschenfreundlichkeit nicht nur für diejenigen beweist, die sich im ungestörten Austausch über ihre Nöte und Obsessionen Erleichterung verschaffen wollen, sondern auch für jene, die von diesem Austausch gern verschont bleiben. Und mithin bekommen nach dieser zwar freakigen, aber eher wenig unterhaltsamen Behelligung auch die in sexuell liberalen Zeiten überkommenen seelischen Hygieneregeln wie Tabu, Verdrängung, Hemmung, Diskretion und Scham etwas von ihrem alten Glanz zurück."
Nicht viel an Dramaturgie habe der diese "etwas bemüht zusammengehaltene Sammlung von Sexgeschichten" zu bieten, schreibt Michael Wolf im Neuen Deutschland (10.12.2021). "Eine Entwicklung ist bei den Figuren nicht zu erkennen, Zade hat ein äußerst prosaisches Stück abgeliefert, dessen Stoff sich teils besser für Kurzgeschichten eignen dürfte." Als altmodisch oder boulevardesk könnte man das Ergebnis auf dem Theater bezeichnen. "Doch ein wenig Entspannung wird der aufgeheizten Debatte um Körperlichkeit und Sex ganz sicher nicht schaden", schließt Wolf.
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nachtkritikvorschau
In zwei pausenlosen Stunden plätschert das Geplänkel und Geplauder über sexuelle Vorlieben, Abenteuer und vor allem Ängste recht unmotiviert vor sich hin. Kaum ein Satz bleibt wirklich in Erinnerung. Zu oft versandet ein Gedanke in einer Slapstick-Nummer. Zu den spärlichen Höhepunkten des Abends zählen die Gesangseinlagen des Ensembles: „Wrong“ von Depeche Mode oder „Relax“ von Frankie goes to Hollywood werden von den Spieler*innen live performt, bevor sie wieder in das Small-Talk-Einerlei zurückfallen müssen.
Maja Zade konnte mit ihrem mittlerweile vierten Stück an der Schaubühne leider nicht an ihr starkes Debüt anknüpfen: „status quo“ sprühte vor Witz und Ideen, glänzte mit interessanten Perspektiv-Verschiebungen und satirischem Biss. „reden über sex“ kommt dagegen nicht über ein mattes, überlanges Gespräch hinaus, das von Anekdote zu Anekdote schlingert, dabei kaum treffsichere Pointen zu bieten hat und um die innere Leere der Protagonist*innen kreist.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/12/08/reden-uber-sex-schaubuhne-kritik/