Fehlt das Blöde, wird's öde?

11. Dezember 2021.Was wäre, wenn die Frauen die Macht übernähmen? Sibylle Berg spielt diese Idee schön böse durch in ihrem dystopisch feministischen Stück. Anna-Elisabeth Frick hat die Schau des Übergangs zur weiblichen Herrschaft als ironisches Ritual inszeniert.

Von Georg Kasch

In den Gärten der (Un)Lüste: Franziska Melzer, Paul Wilms, Laura Maria Hänsel, Henning Strübbe, Janine Kreß, Philipp Mauritz © Thomas M. Jauk

11. Dezember 2021. Da stehen sie nun, die siegreichen Frauen, und könnten sich freuen: kein öder Rammelsex mehr, niemand, der ihnen die Welt erklärt, Herrschaft gesichert. Während die Männer so gut wie ausgestorben sind und die Fortpflanzung außerkörperlich gesichert ist, sorgen Ken-Roboter für Sex. Warum nur gucken die drei im Moment ihres Triumphes so resigniert, melancholisch, ja: bedröppelt?

Unvollende feministische Utopie

Vielleicht, weil nun "das Blöde" fehlt und den Frauen "bald ein wenig öde" ist, wie es am Schluss von Sibylle Bergs Stück "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" heißt. Dass diese Erklärung in Potsdam gestrichen ist, gehört zu den Qualitäten von Anna-Elisabeth Fricks Inszenierung. Man muss ja nicht alles toterklären. Deutlich ist der Plot von Bergs herrlich böser, äußerst witziger und an vielen Stellen gereimter Dystopie ohnehin: Die Frauen einer zukünftigen Gegenwart führen uns mit den sieben Gärten der (Un-)Lüste vor, wie sie sich allmählich von den Männern emanzipiert haben. Die streiken irgendwann, verweigern – wie einst die Frauen, deshalb „Lysistrata Teil 2“ – den Sex. Dummerweise fällt das den Frauen gar nicht auf, weil sie nun nicht mehr beim Karrieremachen, Regieren und Abarbeiten gestört werden. Also vegetieren die Männer in ihren Gärten dahin. Plötzlich sind sie weg. War da was?

GaertenLysistrata 5 ThomasMJauk uMänner werden abgeschafft, die Bernds (Henning Strübbe, Paul Wilms, Philipp Mauritz) haben einen schlechten Stand © Thomas M. Jauk

Offensichtlich. Davon künden Adam, Eva und der Sündenfall, also der Moment, als – der Bibel zufolge – die Frau dem Mann die verbotene Frucht anpries. Beide prangen außen als Wiedergänger aus Van Eycks Genter Altar am feministischen Heiligtum, das hier statt eines Museums der vergangenen romantischen heterosexuellen Zweierbeziehung zum Ort der Rückschau wird. Als sich die Altarflügel öffnen, ist Adam verschwunden. Dafür gibt’s Eva doppelt. Außerdem haben die Ausstatterinnen Mariam Haas und Martha Pinsker eine zentrale Nische mit einer Stele geschaffen, auf der die Symbole der einzelnen Gärten wie Opfer dargebracht werden: ein Apfel, eine Axt, Rosen, Pralinen … Darauf, dass die weibliche Weltherrschaft vielleicht noch nicht ganz so vollkommen ist wie die Handlung suggeriert, deuten die unvollendete zweite Eva und die Vulva-Fliesen hin, die den Schrein bedecken, aber beim Podest nicht ganz gereicht haben.

Grell gewaltvolle Stereotype

Um das Heiligtum tanzen und ringelreihen drei Frauen – die Lysistratas – und drei Männer – die Bernds. Die Bernds, anfangs noch putzige geschlechtslose Wesen in Satinschlafanzügen und mit Topffrisuren, mutieren bald zur Illustration der Vergangenheit in sich spreizende Brülltiere, während die Frauen in ihren eleganten Kleidern voller Vulven und unter langen blonden Haaren sich halb ironisch, halb entschuldigend in ihre alten Rollen hineinimaginieren.

GaertenLysistrata 6 ThomasMJauk uDie Lysistratas (Franziska Melzer, Laura Maria Hänsel, Janine Kreß) im Moment des Triumphs? © Thomas M. Jauk

Das ist deshalb so böse und treffend, weil Berg lustvoll alle Stationen einer Beziehung abschreitet und immer wieder die Geschlechter-Perspektiven aufeinanderprallen lässt. Herrlich komisch ist etwa die sehr unterschiedliche Wahrnehmung eines durchschnittlichen Geschlechtsverkehrs in Missionarsstellung. Hinter den "Männer sind vom Mars"-Stereotypen aber blitzen peinliche Anmachsprüche, sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt grell hervor. Und die Frage: Liebe Co-Frauen, warum wisst ihr darum und wehrt euch so wenig?

Leise knackende Akzente

Frick lässt sich und ihren Spieler:innen Zeit, um auf die Berg'sche Betriebstemperatur zu kommen. Anfangs schälen sich die sechs Gestalten langsam aus einer (mutter-)erdigen Vulva, um dann in immer neuen Formen zum melancholischen Beat von Matthias Breitenbachs Bühnenmusik die große Eva anzubeten.

Choreografisch ist das überzeugend und fantasievoll gearbeitet von Berit Jentzsch. Wenn sie ins Spiel kommen, sind vor allem die Frauen präsent, allen voran Laura Maria Hänsel, die den (wie so viele der großartigen Momente gereimten) Abriss eines Beziehungsverfalls zurückgenommen vorträgt, als wär's ein Gedicht von Mascha Kaléko. Aber auch Janine Kreß und Franziska Melzer setzen leise knackende Akzente. Dass die Männer nicht gar so zünden mit ihrem Gezappel, Gepose und den Ausrufezeichen, die nach jedem Ironiesignal in der Luft stehen, passt zumindest gut zur Annahme des Stücks, dass die Frauen den weitaus besseren Geschmack besitzen

So grooved sich der Abend angenehm ein, ohne die Berg'sche Eskalationsspirale zu weit zu drehen oder eine Lösung parat zu haben. Auch Bergs dystopisches Ende – da melden sich die Sexroboter-Kens und erklären, bald die Macht übernehmen zu wollen – ist gestrichen. Stattdessen erinnert ein animierter Zeichentrickhund mit Engelsflügeln und Heiligenschein, der uns über der Altarnische mit blecherner Computerstimme durch die Gärten führt, daran, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und Avatare auf Dauer kein Ersatz. Vielleicht kriegen die Männer das mit der Sozialverträglichkeit ja doch noch hin, bevor es zu spät ist. Wär sonst ein wenig öde.

 

In den Gärten oder Lysistrata Teil 2
von Sibylle Berg
Regie: Anna-Elisabeth Frick, Bühne und Kostüm: Mariam Haas, Martha Pinsker, Choreografie: Berit Jentzsch, Musik: Matthias Breitenbach, Dramaturgie: Christopher Hanf.
Mit: Laura Maria Hänsel, Janine Kreß, Paul Wilms, Philipp Mauritz, Henning Strübbe, Franziska Melzer.
Premiere am 10. Dezember 2021
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.hansottotheater.de

Kritikenrundschau

"Das Stück ist ein unbequemer, aber sehr unterhaltsamer Ritt durch die verschiedenen Stadien des im Stück obsoleten Paarungsspiels – katastrophal jedes einzeln", schreibt Lena Schneider in dem Potsdamer Neuesten Nachrichten (13.12.2021). Anna-Elisabeth Frick inszeniere all das nicht als vordergründige Hau-drauf-Komödie, was einfach gewesen wäre. "Bergs beißenden Witz im Versmaß lässt sie teils so saftig ausagieren, dass es einem die Lachtränen in die Augen treiben will." Und doch: Teils vermittle das Theatererlebnis auch, worauf der Text selbst womöglich abzielt: Wo ein ebenbürtiges Gegenüber fehlt, wird's monoton. 

Frick lässt spüren, dass das Drama witzig, aber doch auch bitter-bös gemeint sei, so Lars Grote in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (13.12.2021). Sie potenziere das Drama, in dem sie alles dreifach auf die Bühne stelle, drei Frauen, drei Männer. "Das Flirten und der Beischlaf sind ein Stück aus dem Zoo, Tierstimmen hier, Grunzen dort. Der Horror ist kurzweilig und führt zu bester Unterhaltung."

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