Party like it’s Twenty-Twenty-Two

Graz, 15. Januar 2022. F. Scott Fitzgeralds Roman auf der Bühne? Das heißt Partystimmung. Regisseurin Claudia Bossard spart nicht damit in ihrer Gatsby-Adaption. Aber auch nicht mit pathetischen Reden, Katerstimmung nach viel amerikanischen Patriotismus und einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit.

Von Martin Thomas Pesl

Dekadente Kostüme, patriotische Aufbruchstimmung: Claudia Bossards "Making a Great Gatsby" © Karelly Lamprecht

15. Januar 2022. Einen Vorteil hat es, dass "Making a Great Gatsby" mehrmals lockdownbedingt verschoben wurde. So kommt Claudia Bossards Bearbeitung hundert Jahre nach den im Jahr 1922 angesiedelten Ereignissen des Romans von F.-Scott-Fitzgerald zur Premiere. Leider gestalten sich die Twenties des aktuellen Jahrhunderts bisher deutlich weniger Roaring. Entsprechend trocken liegt hier ein dreckiger Swimmingpool auf der Bühne vor einem Gerüst. Das wirkt wie eine lang aufgegebene Baustelle. Vorne links eine Telefonzelle, Symbol für einstigen Fortschritt.

Zwei armselige Maskottchen hüpfen herum, eine Disney-Maus und ein längliches Ding mit Sombrero. Alexej Lochmann tippt, es könnte sich um einen "cute little chili pepper" handeln. Alles ist glorreich amerikanisch hier, ein bisschen over the top. Später wird von Gertrude Steins Roman "The Making of Americans" die Rede sein, der 1925 fast zeitgleich mit "The Great Gatsby" herauskam und dem sich wohl der Kombititel des Abends verdankt.

Lochmann, dem neben Alice Peterhans eine überdrehte Moderatorenrolle zukommt, schwört das Publikum auf nahende "Greatartigkeit" ein, bevor sich die Band und das Ensemble endlich für den Auftakt zur Geschichte vom großen Romantiker Gatsby an der Rampe versammeln. Dekadente Kostüme vermitteln patriotische Aufbruchstimmung, selbst der Jogginganzug trägt als Muster die Stars-and-Stripes-Flagge. Aber halt, nicht übermütig werden: "THE END IS NEAR", verkündet ein Ganzkörperschild.

Partystimmung und pathetische Reden

Als "Making a Great Gatsby" im Dezember 2020 ursprünglich hätte Premiere haben sollen, war der alte US-Präsident schon abgewählt und hatte der neue noch keine Gelegenheit zu enttäuschen. Die pathetische Rede, die Katrija Lehmanns in der stark hochstilisierten Rolle der Mechanikersgattin Myrtle Wilson recht früh im Stück einschiebt, enthielt damals womöglich schon die von Martin Luther King und Kamala Harris, aber sicher noch nicht die von Amanda Gorman geklauten Passagen.

Making a Great Gatsby 1 Katrija Lehmann Lisa Birke Balzer Alice Peterhans c Karelly Lamprecht1Voller Körper- und Musik-Einsatz: Katrija Lehmann, Lisa Birke Balzer, Alice Peterhans © Karelly Lamprecht

Man merkt, Bossard und ihr Team wollen nicht einfach eine Prosahandlung nacherzählen. In den Grundzügen tun sie es natürlich doch. So geht sie: Nick Carraway lernt seinen exzentrischen und mythenumwobenen Nachbarn Jay Gatsby kennen. Der ist seit seiner mittellosen Jugend in Nicks Cousine Daisy verliebt und hat, als er reich wurde, extra ein Haus in der Bucht gegenüber von ihr und ihrem Mann Tom Buchanan gekauft. Hier gibt er üppige Partys, um Daisy zu beeindrucken. All dies mündet in einen tragischen Autounfall und eine fehlgeleitete Racheaktion.

Jenseits der Greatness

Im Roman ist die Handlung garniert mit feinen Beobachtungen und so einem Lebensgefühl ungreifbarer Aufgeregtheit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bossard versucht das szenisch zu rekonstruieren, indem sie ihr Ensemble die Partys ausagieren lässt, in geistreichen, aber ziellosen Gesprächen einerseits, in Musikeinlagen andererseits: Da folgt auf rührend komische Schmachtfetzen ein schier endloser Diskoexzess auf der sich drehenden Bühne, bis wirklich niemand mehr wagt, die Rekrutierung einer vierköpfigen Band und einer Choreografin (Marta Navaridas) infrage zu stellen.

making a great gatsby 3 alexej lochmann fredrik jan hofmann alice peterhans c karelly lamprecht1Bis zum Autounfall: Alexej Lochmann, Fredrik Jan Hofmann, Alice Peterhans © Karelly Lamprecht

So wohlwollend (und neidisch) man dabei auch über die FFP2-Maske hinweg zuschaut, erschließt sich doch nie so recht, wo die Reise an diesem Abend hingehen soll. Das liegt auch an den abseits ihres Party-People-tums sehr unscharf gezeichneten Protagonist:innen: Nick, im Roman der zurückhaltende Ich-Erzähler, ist bei Frieder Langenberger ein Schwätzer vor dem Herrn, worin er Andri Schenardi als Gatsby sogar noch übertrifft. Die jeweils dazugehörigen Frauen Lisa Birke Balzer und Henriette Blumenau bleiben bloße "love interests", für die sich aber niemand richtig interessiert.

In Katerstimmung

Griffiger die Nebenfiguren: Fredrik Jan Hofmann mit der stets virulenten Great Depression des Heiner Müller zitierenden Dienstleisters George, Nico Link mit Tom Buchanans geerdeter Verachtung für alles Extravagante. Und Katrija Lehmann als zwischen den Welten Arm und Reich pendelnde Myrtle wirkt sowieso, als erträume sie die ganze Szenerie.

Wäre die Produktion im Dezember 2020 zur Premiere gekommen, vielleicht hätte sie der Hoffnung auf neue Greatness nach der US-Wahl einen Akzent hinzugefügt. Inzwischen ist in Amerika wieder alles irgendwie meh. Das spiegelt, absichtlich oder nicht, auch diese ambitionierte, ambivalente Inszenierung wider. Man kann die Vergangenheit nicht wiederherstellen, lautet eine der Weisheiten in der Geschichte vom großen Romantiker Gatsby. Quod erat aber sowas von demonstrandum.

 

Making a Great Gatsby
nach dem Roman "The Great Gatsby" von F. Scott Fitzgerald, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und bearbeitet von Claudia Bossard und Barbara Juch
Regie: Claudia Bossard, Bühne und Kostüme: Frank Holldack, Elisabeth Weiß, Choreografie: Marta Navaridas, Textarbeit: Barbara Juch, Komposition: Antonia Manhartsberger, Alice Peterhans, Anna Tropper-Lener, Licht: Viktor Fellegi, Dramaturgie: Franziska Betz.
Mit: Lisa Birke Balzer, Henriette Blumenau, Fredrik Jan Hofmann, Frieder Langenberger, Katrija Lehmann, Nico Link, Alexej Lochmann, Matthias Lodd, Alice Peterhans, Andri Schenardi, Live-Musik: Antonia Manhartsberger, Alice Peterhans, Anna Tropper-Lener, Felix-Paul Mayerhofer.
Premiere am 14. Januar 2022 am Schauspielhaus Graz
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus-graz.com

Kritikenrundschau

Zwar findet Ronald Pohl von der Wiener Tageszeitung Der Standard (18.1.2022) das Ensemble "vorbildlich fidel". An der Inszenierung jedoch vermist er insgesamt Entschiedenheit - zum Beispiel was eine Entscheidung darüber betrifft, welches Amerika hier nun genau zur Anschauung gelangen soll. "Ein bisschen mehr Exzess, mehr irregeleiteten Glauben an die zerstörerische Macht der Illusion" hätte der Abend aus Pohls Sicht schon propagieren, die Folgen der Kündigung des Sozialvertrags durch die Trump-Administration etwas schärfer herausarbeiten können.

"Es ist ein interessanter Abend, mit schönen Schauspieldarbietungen" schreibt Martin Grasser von der Kleinen Zeitung (15.1.2022). Regisseurin Claudia Bossard will das Stück seinem Eindruck zufolge "analysierend zerlegen, aber bleibt dabei oft zu sehr im Ungefähren, Beliebigen." Die Inszenierung werde aber dort stark, "wo in Tanzszenen die Schleier der Konvention abfallen, und wo sich das Menschliche noch als Körper und schiere Präsenz behauptet."

Das Ensemble biete hervorragende Leistungen und sei auch unterhaltsam, schreibt Christoph Hartner in der Steiermärkischen Ausgabe der Kronenzeitung (16.1.2022). Trotzdem wirkt die Inszenierung aus seiner Sicht verloren zwischen Werktreue und Dekonstruktion.

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