Offener Brief von 400asa

Zürich 19. November 2008.

 

Sehr geehrte Festivalleitung, sehr geehrte Jury, liebe Bundeszentrale für politische Bildung,

400asa schliesst sich der holländischen Gruppe "Hotel Modern" an und möchte sich aus dem Wettbewerb des Festivals ausschliessen. Der Grund dafür ist die Setzung der Preisverleihung. In dem Programmheft steht, dass "die beste" Produktion des Festivals ausgezeichnet wird. Wir meinen, dass sich diese durch das Adjektiv "die beste" vollzogene Kategorisierung für freies politisches Theater nicht eignet. Wir zweifeln keineswegs die Unabhängigkeit und Kompetenz der Jury an, im Gegenteil, wir wissen, dass es sich bei den Mitgliedern der Jury um sehr kompetente Experten handelt. Dies lässt aber die grundsätzliche Setzung nicht verschwinden.

Wir würden uns freuen, wenn durch unseren Rückzug eine Diskussion ausgelöst würde, inwiefern die PR-steigernde Massnahme einer Preisverleihung auf Kosten einer anderen Diskussion geht, die weniger wettbewerbs- sondern inhaltsorientierter wäre.

Damit wollen wir keinesfalls sagen, dass es diese "andere" Diskussion nicht gegeben hätte am Festival. Wir haben den Austausch mit dem Publikum und anderen Gruppen durchaus sehr fruchtbar empfunden und uns sehr über die Plattform gefreut, die uns das Festival ermöglicht hat. Beispielsweise hat sich durch unseren Auftritt auch die Tür zu einem ein Gastpiel in Israel aufgemacht. Wir sind also sehr zufrieden mit dem Ergebnis unserer Reise.

Natürlich wissen wir von der Faszination, die von Preisverleihungen ausgeht, bei der "die Besten" prämiert werden. Doch gerade der Verzicht auf dieses Ritual, das immer endet in medialisiertem Jubel der Gewinner und Frust der Verlierer, würde das Festival eben gerade von anderen Formaten unterscheiden. Denn leider impliziert diese Zuordnung "die beste" eben gerade jene Unfehlbarkeit der Jury, die uns beispielsweise in den trivialen Castingformaten im Fernsehen tagtäglich vorexerziert wird und die unser gesellschaftliches Leben anscheinend mehr vergiftet hat, als wir zuzugeben wagen. Auch das Vertrauen in die Schnittigkeit der Anlageberater und die – geheime – Bewunderung der Siegermentalität arroganter Machtmenschen ist einer der Gründe für die apokalyptische Finanzkrise, die uns zu erwarten scheint.

Der Hype um den Sieger, die Unterordnung unter Entscheide von Experten, das Akzeptieren der angeblichen Realität, dass es in jedem Bereich des Lebens "Sieger" und "Verlierer" geben muss... genau solche Realitätsdefinitionen suchen wir aber an einem solchen Festival nicht. Wir meinen, dass es eher zu einem solchen Festival passen würde, dass es die Unsicherheit, Unberechenbarkeit und Vielschichtigkeit unserer (politischen) Realität zum Thema macht. Mit dem Jurieren des "Besten" scheut man aber die Unsicherheit und gibt der Ungewissheit wieder jenen beruhigenden Rahmen, der eine Verkleinerung und Minimierung der gesellschaftlichen und spirituellen Komplexität zur Folge hat und setzt wieder – auf das unserer Meinung nach – im Moment ausgediente Modell des Hypes.

Im Minimum sollte man auf die Zuordnung "die beste Produktion" verzichten und so auch die Subjektivität der Juryentscheidung offenlegen.

Trotz der grundsätzlichen Kritik möchten wir festhalten, dass das Festival mit seinem Programm einzigartig ist. Wir haben die Zeit in Köln sehr genossen und den riesigen Aufwand und die Liebe, die die Macher in das Programm investiert haben, sehr geschätzt. "Politik im Freien Theater" ist ein sehr schützenswertes Projekt. Deshalb kündigen  wir diesen Rückzug auch vor der Preisverleihung an. Eine Kritik des Verfahrens nach der Preisverleihung würde – im Falle des Gewinns des Preises kokett wirken und im Falle des Nichtgewinns als frustrierter Zorn des Verlierers. Deshalb verzichten wir auf die Teilnahme am Wettbewerb, auch wenn wir das Preisgeld durchaus gut brauchen könnten, in der Hoffnung, dadurch das Profil des Festivals schärfen zu helfen. Wir bitten Sie, diesen Brief den Medien weiterzuleiten, damit die Diskussion in die Öffentlichkeit weitergetragen wird.

Mit besten Grüssen,
für 400asa
Samuel Schwarz

 

Die Künstlergruppe 400asa wurde 1998 von Samuel Schwarz, Lukas Bärfuss und Udo Israel gegründet und gilt als eine der wichtigsten freien Theaterformationen der Schweiz. 400asa produziert Theater, Filme und Hörspiele und veröffentlichte 1999 zur Premiere der "Italienischen Nacht" ihr "Bekenntnis99", das – ähnlich dem Dogma der dänischen Filmemacher – ein Regelwerk für eine einfachere und billigere Art des Theaterproduzierens darstellen soll. Zur Kerngruppe gehören außerdem Meret Hottinger, Wanda Wylowa, Urs Bräm, Julian M. Grünthal und Michael Sauter.
400asa ist mit ihrer Produktion von Lukas Bärfuss' "Der Bus" zum Festival Politik im Freien Theater eingeladen.

www.400asa.ch


Mehr zum Festival Politik im Freien Theater? Lesen Sie den Essay der Politikwissenschaftlerin und Autorin Sandra Nuy über das Zusammenspiel von Politik und Theater oder unsere Rezension zu Stalin – Eine Diskussion über das (griechische) Theater. Und hier lesen Sie, was die Festival-Veranstalter zum Wettbewerb schreiben.

Außerdem haben wir bereits im August 2007 über die ebenfalls eingeladene Produktion Kamp von der holländischen Gruppe "Hotel Modern" geschrieben, die außer Konkurrenz am Festival teilnahmen.

 

 

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