Von Grünflächen und Schwarzer Kultur

25. Januar 2022. Claudia Roth wird Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien. Im Radio erklärte sie sich "parteiisch für die Kultur", die "in ihrer Vielfalt" verankert werden soll. Doch damit sichert sie Kunst- und Kulturfreiheit nicht für alle.

Von Natasha A. Kelly

25. Januar 2022. Der Schwarze deutsche Philosoph Anton Wilhelm Amo (ca. 1703–1753) sagte einst, es genüge nicht, die Wahrheit zu sagen, wenn nicht auch die Ursache der Unwahrheit bestimmt werde. Als Wissenschaftler und Gelehrter der europäischen Aufklärung gehörte es zu seinen Aufgaben, die Wahrheit zu suchen, sie zu finden und zu verteidigen.

Bis heute wird als Folge der Aufklärung in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes die Freiheit von Kunst und Wissenschaft geschützt, wenngleich dies nicht "von der Treue zur Verfassung" entbindet. Und hier liegt ein Dilemma: Laut Koalitionsvertrag plant die neue Ampelregierung weiterhin, den Begriff "Rasse" im Grundgesetz zu ersetzen. Damit aber würde sie sich eines strukturellen Problems entledigen und Rassismus auf intendiertes Handeln reduzieren: als wäre Rassismus nicht strukturell sondern allein das Problem individuellen Verhaltens. Gleichzeitig bestärkt die neue Bundesregierung mit diesem Vorgehen bestehende rassistische Strukturen und zwingt Schwarze Künstler*innen weiterhin, sich in ein weißes Weltbild einzupassen.

Marode Machtstukturen

Aus meiner Schwarzen, feministischen Perspektive zunächst eine wahrhaftige Befreiung: Nach acht Jahren als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages erhält Claudia Roth den Ritterinnenschlag und wird die erste Grüne Kulturministerin Deutschlands. Erklärtes Ziel: Kultur in ihrer Vielfalt zu verankern. Im Koalitionsvertrag heißt es weiter, dass der Gender-Pay-Gap geschlossen, Jurys und Gremien paritätisch und divers besetzt und ihre Amtszeiten begrenzt werden sollen. Zur Besserung der sozialen Lage soll ein Mindesthonorar für Kreativarbeiter:innen eingeführt werden – sofern der Bund Arbeitgeber ist. Soloselbstständige und Hybridbeschäftigte sollen besser abgesichert und die KSK (oder wer von ihr profitiert) finanziell stabilisiert werden.

Auch die Strukturen der Freien Szene und des Bündnisses der internationalen Produktionshäuser werden künftig gestärkt. Und das alles im Namen der Vielfalt! Mit Transkulturalität und Transnationalität als Ingredienzen für Wirtschaftlichkeit lassen sich marode Machstrukturen aber nicht verändern. Was es braucht, ist eine vierte Säule, in der Schwarze Kulturarbeiter:innen und Kulturarbeiter:innen of Color eigenständig Fragen der Ästhetik verhandeln und ihre Perspektive auf die Welt verstetigen können.

Weißwaschung deutscher Kunst und Kultur

Neben dem Kulturministerium ging auch das Außenministerium an die Grünen. Damit besetzt die mitregierende Partei erstmals zwei Minister:innenposten, die für das Gelingen der nationalen und internationalen Kulturpolitik wichtig sind. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock sieht die auswärtige Kulturpolitik als drittwichtigsten Pfeiler ihres Aufgabenbereichs. Und mit Claudia Roth an der Spitze des BKM entsteht eine große Chance, Innen- und Außenpolitik in Sachen Kultur zu verbinden. In der Vergangenheit standen diese sich oft im Weg, was häufig zur Nationalisierung deutscher Kunst und Kultur und damit einhergehend zu ihrer Weißwaschung im In- und Ausland führte.

Einen ersten Aufschlag wagte Kulturministerin Roth bei der Veranstaltung Kultur im Kanzleramt kurz vor der Jahreswende. Unter dem Motto, "Flucht und Exil, Heimat und Weltoffenheit" waren Kulturarbeiter:innen of Color eingeladen, ihr Können in der europäisch-klassischen Musik unter Beweis zu stellen. Dabei blieb die eurozentrische Perspektive des mehrheitlich weißen Publikums maßgebend – für jegliche Fragen des künstlerischen Ausdrucks, Körper und Kleidung inbegriffen. Mit der light-skinned Moderatorin war auch für eine Token-Schwarze gesorgt, die die weißen Sehgewohnheiten des Publikums nicht zu stark irritierte. Die Strukturen selbst oder gar Weltbilder und damit verbundene weiß geframte Kulturformen blieben von dieser kurzzeitigen Umbesetzung weißer Rollen mit Schwarzen und PoC-Künstler:innen unangetastet. Die Lesung eines Textes des türkischen Schriftstellers und Journalisten Barbaros Altuğ zeugte zwar von Mut, unangenehme politische Themen in und durch Kunst und Kultur anzusprechen, allerdings vermittelte es auch den Eindruck als könnten Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund lediglich Literatur von außen (und nicht von innen) beisteuern.

Keine Rede von Schwarzer Kunst und Kultur

Das gesagt, sind wir auch schon bei der Kulturvermittlung angekommen. Ziel der neuen Kulturpolitik ist es laut neuem Koalitionsvertrag, die Goethe Institute weiter auszubauen und ihre Rolle als Kulturvermittlerinnen im Inland zu stärken. Zudem sollen der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und das Institut für Auslandsbeziehungen gestärkt werden und weiterhin Einfluss auf die kulturelle Bildung in Deutschland nehmen. Damit ist eins zu befürchten: Kunst und Kultur bleiben weiterhin weiß, denn von Schwarzer Kunst und Kultur ist nirgends die Rede. Eine vierte Säule, die Transkulturalität ihre Eigenständigkeit verleihen würde, ist weiter fernab der Realität. Der allgemeine Kulturwert steigt lediglich für Grünflächen, Schwarze Kacheln haben ausgedient.

Denn wenn wir der "Klimaregierung" Glauben schenken wollen, dann ist "Green Culture" der neue Kulturauftrag. Und da wird ökologische Nachhaltigkeit großgeschrieben. So soll die Produktion reiner Produkte durch Energieeinsparung, reine Technologie, Schonung der Umwelt und minimale natürliche Ressourcen in künstlerischen Produktionsprozessen gesteigert werden. Die Klimakrise soll auch stärker in die Kreativinhalte einfließen. Die digitale Kultur soll ihren eigenen Raum bekommen, der sparten- und länderübergreifend Zugang zu Kultur ermöglicht. Was das alles im Detail heißt, wird künftig ein Kompetenzzentrum entscheiden. Ziel sei es, einen holistischen Ansatz für einen nachhaltigen Seinszustand zu erreichen – Sein oder Nichtsein ist hier tatsächlich auch die Frage.

Ganzheitliche Klimapolitik

Seit den 1980er Jahren macht das global agierende Black Earth Kollektiv mit einem Ableger in Deutschland auf den Umweltrassismus aufmerksam: Die strukturelle Schaffung einer "Zone des Nichtseins" (Frantz Fanon, 1952), wo menschliches Leben bald unmöglich sein wird, Schwarze Menschen und People of Color aber gezwungen sind als Folge der Versklavung und Kolonialisierung dort vor sich hin zu vegetieren – auch kulturell betrachtet. Und auch in Deutschland. Die ganzheitliche Klimapolitik des Black Earth Kollektivs berücksichtigt aber gezielt Schwarze Perspektiven und nimmt gleichzeitig Intersektionalität zum Ausgangspunkt ihrer Analysen. Letzteres erlaubt auch Mehrfachdiskriminierung in den Blick zu nehmen, um überhaupt den Zusammenhang zwischen Rassismus und Klimaungerechtigkeit zu erkennen.

Verstehen wir die Klimakrise als Systemkrise, dann dürfen wir nicht darüber hinwegtäuschen, dass "grüne Kultur" auch einen Raum für Schwarze Kunst und Kultur schaffen muss. Das bedarf aber der uneingeschränkten Dekonstruktion von rassistischen, sexistischen und kapitalistischen Strukturen, Verhaltens- und Denkweisen, die auch Fragen der Ästhetik betreffen. Das Ziel muss sein, die nachhaltige Kreativwirtschaft nicht nur für weiße, ökologisch bewusste Kulturarbeiter:innen zugänglich zu machen, sondern die intersektionale Kulturbewegung von Schwarzen, feministischen, antikapitalistischen Perspektiven zu fordern und fördern.

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Theatermacherin. In ihrer Kolumne "Die vierte Säule" schreibt sie über Kunst, Freiheit und andere Unwahrheiten.

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Kommentare  
Kolumne Kelly: Zwischenschritt?
Die Widersprüche, die Natasha Kelly aufzeigt sind treffend formuliert. Ich lese in ihrer Forderung nach einer 4.Säule in der Schwarze Kunstschaffende und Kunstschaffende of color ihre Perspektive auf Welt verstetigen einen Zwischenschritt hin zu einer "Normalisierung" der bislang marginalisierten Perspektiven. Eine Verstetigung von Abgrenzung birgt jedoch die Gefahr einer fortschreitenden Fragmentierung der Gesellschaft zuzuarbeiten, wo es doch darum gilt gläserne Decken und Zugangsschwellen abzubauen. Starke Abgrenzungen verfestigen die Mauern in Köpfen und befördern eine Echokammer-Mechanik. Deshalb wünsche ich mir die Forderungen von Natasha Kelly als einen Zwischenschritt hin zu einer Gesellschaft, die sich über gemeinsame Werte und die Realisierung dieser definiert als über Differenzen (deren Benennung ein notwendiger Weg hin zu einem Dialog über diese darstellt)
Kolumne Kelly: Geben wir Claudia Roth Zeit
Habe von Anfang an nicht allzu viel von Frau Roth erwartet: ihre Ambitionen sind durchaus glaubwürdig, aber sie wird sich allein nicht gegen den allgemeinen Rassismus, bzw. die oft rein weiße Sicht in der Kultur-Welt, stemmen können. Aber geben wir ihr trotzdem noch etwas Zeit, sich zu profilieren - ich lasse mich gerne positiv überraschen...
Kolumne Kelly: Mulmiges Gefühl
Ehrlich gesagt wird mir schon etwas mulmig, wenn Natasha Kelly die Moderatorin Annabelle Mandeng sehr obenhin mit den Begriffen "light-skinned Moderatorin" und "Token-Schwarze" belegt. Sie reduziert Mandeng damit auf ihre Hautfarbe, die, oder verstehe ich das falsch, nicht ausreichend ist, um für Schwarze Kultur einstehen zu können. Mandeng wird auf die Funktion herabgewürdigt, "die weißen Sehgewohnheiten des Publikums nicht zu stark" zu irritieren. Mir kommt diese Denke falsch vor, weil sie gar nicht mehr in Personen sondern nur noch in Markierungen denkt. Ich bin übrigens Weiße - falls das für meine Sehweise wichtig ist.
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