nachtkritik-Theatertreffen 2022: das Ergebnis
Die Auserwählten 2022
31. Januar 2022. Das 15. virtuelle nachtkritik-Theatertreffen 2022 ist entschieden! Die Leser:innen von nachtkritik.de haben aus den 36 Vorschlägen, die ihnen die nachtkritik-Autor:innen und -Redakteur:innen vorgelegt hatten, ein Tableau aus 10 Inszenierungen gewählt. Insgesamt stimmten 5711 Wähler:innen ab und vergaben 8165 Stimmen.
Das Theaterjahr 2021 war weit entfernt von Normalität. Viele Premieren fanden statt, wenn auch vor reduziertem Publikum. Die pandemiebedingten Schließungen im Frühjahr führten zu hoher Schlagzahl im Herbst. Trotz allem war es eine theaterreiche Zeit, wie die Nominierungsliste mit 36 Arbeiten zeigt, darunter auch experimentelle Projekte, die weitenteils online gedacht wurden wie "Oblomow revisited", oder auf Instagram spielten wie "Fräulein Else".
Wie im vergangenen Jahr war es nicht möglich, mehrfach aus demselben Netzwerk abzustimmen. Es kamen auch dieses Mal wieder Hinweise, allerdings sehr vereinzelt, dass Rechner vom System blockiert wurden. Warum genau, ließ sich im Einzelfall nicht immer bestimmen.
Das Ergebnis sind die folgenden zehn Inszenierungen in alphabetischer Reihenfolge (mit den Begründungen unserer Autor:innen für ihre Nominierung).
Das neue Leben – Where do we go from here frei nach Dante Alighieri, Meat Loaf, Britney Spears "So viel Liebe, so viel Gefühl, so viel Leben. Und so viel Nähe zu diesen vier Dante-Erzähl-Darsteller:innen, die um Worte wie Begegnungen ringen, die sich in Liebeshymnen von Britney Spears bis Meat Loaf schmerzvoll verzehren. Ein Zuschauglück in diesen pandemischen Zeiten." (Sarah Heppekausen) |
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Der Zauberberg nach Thomas Mann "Das intuitive, sinnliche Bühnenvokabular von Sara Ostertag (und ihrem großartigen Ensemble!) bringt Thomas Manns Großschriftsteller-Werk aus eisiger apollinischer Höhenluft auf den Boden des 21. Jahrhunderts. Was soll man sagen? Zauberhaft." (Andrea Heinz) |
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Die Nibelungen von Friedrich Hebbel |
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Einfache Leute von Anna Gschnitzer "Großer kleiner Abend. Aktuelles Stück über Herkunft, Klassismus, soziale Scham und den ganzen verdammten Rest. Die Dramatikerin Anna Gschnitzer erzählt eine alte Geschichte aufregend neu. Regisseur Alexander Nerlich macht daraus einen ebenso kurzweiligen wie ideen- und erkenntnisreichen Abend. Toller Sound, top eingespieltes Ensemble; umwerfende Ausstattung. Kurzum: Alles, wie es soll." (Shirin Sojitrawalla) |
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Fabian oder der Gang vor die Hunde nach Erich Kästner "In dieser genial gebauten Ego-Show macht es wahnsinnigen Spaß, an einer kaputten Welt und mit ihren Bewohnern zu verzweifeln. Ein atemberaubendes Ensemble, ein perfektes Bühnenbild, ein dichter Drehschwindel – und ein kompromissloser Abend, der keine Angst vor Streitbarkeit hat und auch deshalb einiges an Eindruck hinterlässt." (Stefan Forth) |
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Garland von Svenja Viola Bungarten "(...) "Garland" hat alles: einen gut gebauten Plot, Humor und diesen gewissen verzweifelten Wahnsinn, dem man angesichts der Klimakrise – die hier heftig thematisiert wird – verfallen möchte. Anita Vulesica musste das Stück nur noch mit ihrem Gespür für Timing und einem bestens gelaunten Ensemble auf die Welt bringen." (Martin Thomas Pesl) |
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Good bye, Lenin! nach dem Film von Wolfgang Becker "Gesellschaftskritisches Theater mit einem großartig aufspielenden Ensemble. Kein platter Film-Abklatsch, sondern etwas sehr Eigenes, denn es wird ausschließlich mit Mitteln des Theaters gearbeitet. Man muss zweimal rein, um den vielen witzigen Details (auch der Ausstattung) die verdiente Aufmerksamkeit schenken zu können." (Verena Großkreutz) |
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Im Process von Pièrre.Vers "Es geht um den so genannten Majdanek-Prozess von 1975–1981. Hinter einer Plexiglasscheibe sitzen der Richter, der Staatsanwalt, ein Anwalt der Verteidigung und vier prominente Angeklagte. (...) "Im Process" teilt keine unbekannten Informationen mit. Man kann sie in Büchern nachlesen oder etwa Eberhard Fechners Dokumentarfilm von 1984 entnehmen. Aber wer tut das schon? Vielleicht erreicht das Theater Zuschauer, die ansonsten absent blieben." (Thomas Rothschild) |
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Pfisters Mühle: Ein Heimatverein nach Wilhelm Raabe "(...) Rebekka Davids echtes Kunststück bei Dramatisierung und Inszenierung von Wilhelm Raabes "Pfisters Mühle" ist es, sich auch auf der Höhe der Klimadebatte nicht im Engagement zu verschanzen, sondern auch berechtigte Sorgen einzureihen in einen dichten Reigen aus Erinnerung, Verdrängtem und allerlei Projektion: eine nostalgische Nostalgiekritik über verlorene Heimat, Umwelt und Mensch-Sein, durch die auch noch eine außerordentlich zauberhafte Besetzung spukt." (Jan-Paul Koopmann) |
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Slippery Slope von Yael Ronen, Shlomi Shaban, Riah Knight und Itai Reicher |
Hier die Nominierungen, aus denen in diesem Jahr gewählt werden konnte, inklusive ausführlicher Nominierungsbegründungen.
Mehr zu den Gewinnern der vergangenen Jahre: Ergebnis 2021, Ergebnis 2020, Ergebnis 2019, Ergebnis 2018, Ergebnis 2017, Ergebnis 2016.
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Ich reiche ein: Jan Bosse Eurotrash, Florentina Holzinger Divine Comedy (eigentlich glaub ich's ja nicht, aber die Jury lädt immer ein Jahr länger ein, als es nötig wär; siehe Fritsch), Simon Stone Komplizen, Anna Bergmann Medea. Und safe: Irgendwas von Rüping. Und der Richard aus dem HHer Schauspielhaus ist doch auch jury-konform; und hilft der Quote. Schaffen es die tanzenden She She Pops?
Spannend wird sein, ob Bremen und Brandenburg und MV weiterhin die Theaterpampas bleiben, wie sie es laut Juries die letzten Jahre jedenfalls gewesen sein müssen. #bundeslaenderquote (Oder glaubt irgendjemand ernsthaft, dass in Brandenburg weniger bemerkenswertes Theater gemacht würde?)
Unter den Arbeiten aus dem NK-Tableau klang "Before the sly falls" (Schauspielhaus Zürich) besonders bemerkenswert, auch "humanistää" (Volkstheater Wien) könnte gute Chancen haben und Christopher Rüping muss man natürlich immer auf der Rechnung haben, entweder mit seiner Bochumer Inszenierung aus dem NK-Tableau oder der ganz neuen Zürcher Arbeit. Als Überraschungs-Kandidat kann ich mir "Gespenst der Normalität" (Bochum) gut vorstellen.
Aus dem heute veröffentlichten Mülheimer Tableu hat mich vor allem "Wounds are forever" (Mannheim) überzeugt. Gut vorstellen könnte ich mir auch fürs tt die dort eingeladene neue Rimini Protokoll-Arbeit, die ich noch nicht sehen konnte. "Dance me!" von She She Pop konnte mich dagegen ebenso wenig überzeugen wie "Eurotrash" und "Divine Comedy", die Sie ins Spiel bringen, lieber Hans Zisch.
Die Aufzählung ist noch viel zu Metropolen- und Promi-lastig. Ich gehe davon aus, dass uns die Jury morgen wieder mit Arbeiten überraschen wird, die kaum jemand auf dem Radar hatte.