Schlag gegen den Spargelprinzen

29. Januar 2022. In seinem neuen Stück nimmt sich Dirk Laucke die Verhältnisse in der Spargel-Industrie vor und erzählt von einer aus der Not geborenen Solidargemeinschaf in einer Arbeiter-Unterkunft. Lars-Ole Walburg hat "Auf Wache" am Staatstheater Kassel uraufgeführt. Lauckes Realismus mit Schnauze ist bei ihm in guten Händen.

Von Gerhard Preußer

Wachen und Bewachte in Dirk Lauckes neuem Stück, von Lars-Ole Walburg in Kassel uraufgeführt © Isabel Machado Rios

Kassel, 29. Januar 2022. Bald ist wieder Spargelzeit. Dirk Laucke will uns den Appetit verderben. Er hat für das Staatstheater Kassel ein Stück über spargelstechende Saisonarbeiter geschrieben. Genauer: über die Wachleute, die die Unterkünfte der rumänischen Spargelstecher kontrollieren. Die Verhältnisse sind nicht erfunden, nur kompiliert aus den Nachrichten des letzten Jahres. Die Handlung geht etwa so: Ein Security-Mann schießt mit einer selbstgebauten Waffe auf einen Eindringling. Er bewacht mit seiner Kollegin eine Arbeiterunterkunft für Saisonarbeiter, Spargelstecher in Arbeitsquarantäne eben. Der Eindringling stellt sich als eine Frau heraus. Sie wurde nicht getroffen, liegt aber am Boden, scheinbar verletzt. Die Kollegin des Wachmannes kennt das Opfer: eine rumänische Saisonarbeiterin, der zu wenig Lohn ausgezahlt wurde. Sie will zurück in die Unterkunft und ihr Geld einfordern.

Lohndumping überall

Die Wachleute sollen die Saisonarbeiter nicht daran hindern, die Unterkunft zu verlassen, sondern daran, zurückzukehren. Aber eine Wächterin solidarisiert sich mit der rumänischen Erntehelferin. Als der Wachmann seinen Chef über den Vorfall informiert, erfährt er, dass der Spargelunternehmer pleite ist. Es ist betrügerischer Bankrott. Sein Sohn macht ungestört weiter mit Lohndumping im Spargel-Erdbeer-Geschäft. Da schlägt der Wachmann bei nächster Gelegenheit zu, auf den Spargelprinzen.

AufWache 1 IsabelMachadoRios uDer Eingang ist versperrt nach Protesten der Wanderarbeiter in "Die Wache" © Isabel Machado Rios

Diese Handlung ist sichtlich zusammenkonstruiert, aber nicht völlig unwahrscheinlich. Bis auf den appellativen, politisch überkorrekten Schluss. Das meiste in Deutschland angebaute Gemüse wird von Wanderarbeitern geerntet. Daran geht die rumänische Landwirtschaft zu Grunde, weil ihre Arbeitskräfte in einer Saison in Deutschland, herangekarrt in Bussen und in Containern zusammengepfercht, mehr verdienen, aber auch im eigenen Land fehlen würden.

Politisch, aber mit Witz

Dirk Lauckes Markenzeichen sind die Dialoge. Er kann diese schnippischen Stummeldialoge schreiben, in denen der proletarische Witz im restringierten Code glänzt. "Worum streiten Arbeiter?" - "Recht." - "Geld." - "Geld ist Recht." Wachfrau Eddie (Lisa Natalie Arnold) sagt über ihre Sprache: "Als hätte uns jemand mit einem Schraubenschlüssel das Sprachzentrum lädiert".

So eloquent kann die Sprachlosigkeit sich selbst kommentieren. Wachmann Wasja (Hagen Oechel) weiß vieles. Er kennt die Selbstmordraten von NRW und Sachsen-Anhalt, die Eigentumsverhältnisse der Nachrichtensender. Er ist Judoka und Prepper und scheinselbstständiger Security-Unternehmer, kann aber auch schöne Sätze zitieren: "Hoffnung ist eine evolutionär bedingte Wahrnehmungsverschiebung" oder "Arbeit ist der Türöffner des Gedankens". Eigentlich wollte er Ofensetzer werden, klingt aber manchmal doch so, als wäre er Wirtschaftsstatistiker oder abgebrochener Philosophiestudent.

Sprung durch Wände

Dirk Laucke macht politisches Theater mit Witz. Die größte Gefahr für ein Theaterstück, das sich mit tatsächlichen, aktuellen Verhältnissen befasst, ist Realismus. Das weiß Regisseur Lars-Ole Walburg. Also beginnt der Abend wie Shakespeares "Macbeth".

Hinter einen Papierwand sieht man die Schatten dreier wilder langhaariger Gestalten, tanzend, gestikulierend. Sie verkünden den Titel und die Internetadresse des Autors. Der Sprung durch die Papierwand zeigt, es sind Steinzeitmenschen, in spärliche Lederfetzen gehüllt. So führt der Abend zunächst in eine völlig falsche Richtung - um so die steile Kurve zur Sozialkritik zu meistern.

AufWache 2 IsabelMachadoRios uHagen Oechel als Wasja Meyer und Lisa Natalie Arnold als Edith "Eddie" Michel © Isabel Machado Rios

Walburgs Bühnenwitz als Komplettierung von Lauckes Sprachwitz. Aber bald hat man sie wirklich vor sich, die Wachleute mit den dicken Westen, mit Teleskopschlagstock und selbstgedruckter Pistole. Immer wieder kommt die Inszenierung auf ihr anti-realistisches Prinzip zurück. Tänze unterbrechen die Szenen.

Vivien (Annalena Haering), die vermeintlich Angeschossene, singt den alten Schlager "Roter Vogel, schwarzer Himmel", spricht Regieanweisungen und reicht Wasja und Eddie die Requisiten. Wenn die beiden Frauen, Bewacherin und Bewachte, sich schwesterlich versöhnen, ertönt süßliche Kitschmusik. Solidarität ist auf der Bühne nur gebrochen darstellbar.

Dirk Lauckes artifizieller Realismus mit Schnauze trifft auf Lars-Ole Walburgs spielerische Abbildverweigerung. Das passt.

 

Auf Wache
Ein Stück Arbeit von Dirk Laucke
(Uraufführung)
Regie und Bühne: Lars-Ole Walburg, Kostüme: Ama Tomberli, Musik: Felix Stachelhaus, Dramaturgie: Dirk Baumann.
Mit: Lisa Natalie Arnold, Hagen Oechel, Annalena Haering
Premiere am 28. Januar 2022
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-kassel.de

Kritikenrundschau

Regisseur Lars-Ole Walburg lasse sich auf "das Spielerisch-Gewitzte von Lauckes Dialogen" ein, lobt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (30.1.2022), indem er "dem Trio auf der Bühne Raum gibt, im Typischen doch ganz eigensinnig zu sein, und der den etwas kompliziert erzählten Handlungsverlauf beschwingt darlegt". Das "Harte" werde hier "locker erzählt", im Ergebnis entstehe ein "kurzer Abend für viele Gefühle und Ideen", so die Kritikerin.

"Vor hundert Jahren" wäre aus dem Stoff wahrscheinlich "ein mehr oder weniger rührseliges naturlastisches Drama oder eins in Agit-Prop-Manier geworden", meint Andreas Gebhardt in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (31.1.2022). Im "modernen Sprechtheater" gehe es aber "feinsinniger" zu, was allerdings auch dazu führe, dass man frage: "Na, und?" Die Figuren rissen nicht mit, "weder emotional noch verstandesmäßig", findet der Rezensent, und fragt sich, ob das Sujet in einer "gut recherchierten Reportage" nicht besser aufgehoben gewesen wäre.

Walburg habe Lauckes Stück "sehr präzise und (mit) viel Liebe zu eigenwilligen Ideen" umgsetzt, freut sich das Göttinger Tageblatt (30.1.2022). Man schaue "gerne" dabei zu, wie die Darsteller*innen die große Bühne füllen, und zeigen, wie Menschen mit "viel Größe und einigem Witz" ihr Leben meistern. Fazit: "Ein strahlender Abend."

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