Penthesilea - Theater Basel
Heiteres Morden
30. Januar 2022. Etwas Komik steckt auch in Heinrich von Kleists tödlichem Trauerspiel. Die Filmemacherin Eva Trobisch, die "Penthesilea" in Basel inszeniert und damit erstmals am Theater arbeitet, holt Düster-Komisches heraus und hat dafür genau das richtige Ensemble.
Von Thomas Rothschild
30. Januar 2022. So viel gelacht wurde bei "Penthesilea" wohl noch nie. Zu dem Eindruck, dass es sich bei diesem "Trauerspiel" um eine Komödie handelt, trägt nicht unwesentlich Fabian Krüger in der Rolle des Achilles bei. Er hat nichts Heldisches, sieht aus wie eine Kreuzung aus Frank Zappa, Sacha Baron Cohen und Cosmo Kramer aus der Sitcom "Seinfeld" und begleitet jedes Syntagma mit Gesten, die sich eines Clowns als würdig erwiesen. Seine Gegenspielerin Aenne Schwarz als Penthesilea tut alles, um ihm Paroli zu bieten, und Sven Schelker scheint seinen Odysseus, zugegeben: mit Bravour, dem Sosias aus Kleists Amphitryon annähern zu wollen.
Die Küsse, die Bisse
Zwei entgegengesetzte und nicht vereinbare Topoi wiederholen sich in der feministischen Agitation: die "Frau als Opfer" und die – von Männern verteufelte oder aus dem Kanon entsorgte – "starke Frau“ In der dramatischen Literatur steht Ibsens Nora paradigmatisch für den ersten und Penthesilea für den zweiten Typus. Wer sich für das Opfermodell entscheidet, hat es nicht schwer, das Unrecht, das Frauen zugefügt wurde und wird, nachzuweisen.
Problematischer wird es beim Typus der starken – als Vorbild angebotenen – Frau. Wie argumentieren, wenn die Frau ihre Stärke just mit Eigenschaften und Mitteln bestätigt, die Männern zu Recht als negativ angekreidet wird? Wie lässt sich die Ausübung von (mörderischer) Gewalt, die als typisch männlich verurteilt wird, ins Positive wenden, wenn sie einer Frau zugeschrieben wird?
Dieses Problem stellt sich jeder Regisseurin, jedem Regisseur bei einer Inszenierung von Kleists wohl vertracktestem Drama. Eva Trobisch, die als mehrfach preisgekrönte Filmemacherin mit dieser "Penthesilea" erstmals am Theater inszeniert, löst das Problem, indem sie es ignoriert. Der komödiantische Ansatz nimmt dem Stück trotz und mithilfe der blutüberströmten Protagonist:innen seine Schwärze. Und ersetzt den Schrecken – siehe oben – durch Lachen.
Kraft der Fluktuation
Dabei kann sich die Regisseurin auf die fabelhaften Darsteller:innen verlassen, die den Gegensatz von Regie- und Schauspielertheater in den Bereich der Fiktion verweisen. "Burgschauspieler". Das Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es schmeckt wie "Grande Dame" oder "Doyen". Zugegeben, ein wenig affig, aber respekteinflößend und unwiderlegbar. Schon der mittlerweile nach München übersiedelte Andreas Beck kooperierte, in habitueller Konkurrenz mit Zürich, als Basler Intendant mit dem Burgtheater, und sein Nachfolger Benedikt von Peter und das Leitungsteam der Schauspielsparte profitieren von der zunehmenden Fluktuation an den deutschsprachigen Theatern, seit jeder Intendantenwechsel Entlassungen und Neuengagements, vornehmlich aus dem vormaligen Wirkungskreis der Neubestallten, zur Folge hat.
So konnte Eva Trobisch zwei der auf vier zusammengestrichenen Figuren in ihrer "Penthesilea" am Rhein (Johan Simons kam in Salzburg mit insgesamt zwei, mit Sandra Hüller und Jens Harzer aus) mit einer bewährten Schauspielerin und einem nicht minder bewährten Schauspieler von der Donau besetzen. Man leckt sich die Lippen. Die anderen zwei waren Ensemblemitglieder am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und am Thalia Theater. Auch keine schlechte Adressen. Wenngleich – man muss es leider zugeben – "Thaliaschauspieler", zu Recht oder zu Unrecht, nicht ganz so edel klingt wie "Burgschauspieler".
Köpfe in den Kühlschrank
Wer auf Stimmigkeit und Konsequenz beim Bühnenbild und den Kostümen pocht, wird bei dieser "Penthesilea" irritiert sein. Gespielt wird vor einem mobilen Grill inklusive Insektenfalle aus grünen Leuchtstoffröhren ohne erkennbare Funktion und einem mit Flaschen und Wassermelonen gefüllten Kühlschrank, in dem im Lauf des Abends abgehackte Köpfe deponiert werden. Die Kostüme sind weder zeitlich noch örtlich lokalisierbar. Neben roten Overalls überraschen eine nicht weniger rote Uschanka und ein verdreckter Schlafrock.
Aus einer ausgedehnten Melonenverspeisung macht das Quartett eine Reminiszenz an die Happenings der sechziger Jahre. Auch gegenüber Kleists viel gepriesener Sprache kennt Eva Trobisch keine Berührungsängste. Wenn Penthesilea sagt: "Geh und befreie – geh! ich will nichts wissen! Von deinem hassenswürd'gen Anblick mich!", so leitet Trobisch den verschachtelten Satz mit einem saloppen "Hau ab!" ein. Gegen Ende kippt die Aufführung dann doch in ein gemäßigtes Pathos. Das Lachen verstummt.
Penthesilea kommt im schwarzen T-Shirt und mit nacktem Hintern angekrochen und knabbert an Achilles' Innereien. Die töten musste, was sie liebt, kündigt an: "Diesem Dolch jetzt reich ich meine Brust" und entschwindet durch den Zuschauerraum. Kräftiger Premierenapplaus, großzügig verteilt auf die vier Akteur:innen und das sichtlich erfreute Regie-Team.
Auf dem Heimweg dann ein Blick ins Programmheft. Und einmal mehr verwundert die Diskrepanz zwischen dem, was man hier lesen kann, und dem, was auf der Bühne zu sehen war. Das Lachen jedenfalls, das einem in den Ohren schallt, lässt sich bei der Lektüre der Inhaltsangabe und den Gedanken der Dramaturgin nicht erahnen. Wo also liegt die Wahrheit? Vielleicht bei Odysseus, der, noch ehe die Vorstellung beginnt, wie tot auf dem Boden liegt, mit verhülltem Haupt, leichtem weißen Gewand und klobigen Stiefeln.
Penthesilea
von Heinrich von Kleist
Regie: Eva Trobisch, Bühne: Renate Schmaderer, Kostüme: Birgit Bungum, Dramaturgie: Angela Osthoff.
Mit: Aenne Schwarz, Gala Othero Winter, Fabian Krüger, Sven Schelker.
Premiere am 29. Januar 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-basel.ch/de
Mehr zu "Penthesilea"-Inszenierungen der jüngeren Zeit: Johan Simons machte 2018 daraus ein empathisches Kammerspiel für zwei, Cihan Inan inszenierte das tödliche Trauerspiel 2017 in Bern, Michael Thalheimer 2015 in Fankfurt/Main.
"Fast kein Wunder, dass das Premierenpublikum seinen feixenden Spaß hat an dem ausweglosen Geschehen, das zwei Menschen in den Tod treibt", schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (1.2.2022). Eva Trobisch inszeniere ein Kammerspiel mit vier Figuren, zwischendurch als Splattermovie mit abgeschlagenen Köpfen. Auf der einen Seite: Aenne Schwarz als hocherregte, so hysterische wie ekstatische Liebende, die sich dem Objekt ihrer Begierde nicht einfach hingegeben kann. "In der Eingangsszene überwältigen und vergewaltigen die Kriegerinnen einen jungen Mann." Auf der anderen Seite: Fabian Krüger "als versehrter, geschlagener, resignierter, des Kämpfens endlos müder Antikrieger, im geblümten Bademantel über dem blutigen Wams". Aenne Schwarz meistere die schwierige, extrem schwankende Gefühlslagen abfordernde Rolle mit Bravour. "Und wie Fabian Krüger den müden weißen Mann gibt, das ist unbedingt sehenswert."
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