Echt geile Granaten

30. Januar 2022. Vom Massenmord an Demonstranten in Guinea 2009 erzählt Hakim Bahs Dramendebüt. In grellen Farben, die Tim Egloff bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Osnabrück noch einmal grotesk aufhellt.

Von Jens Fischer

"Auf dem Rasen" von Hakim Bah am Theater Osnabrück © Uwe Lewandowski

30. Januar 2022. Die brüllen nur, die beißen nicht. Die sind doch ausschließlich in ein Sprachspiel über Macht, Schuld, und Verantwortung verstrickt. Poet Hakim Bah, Jahrgang 1987, hat im Prolog der Print-Fassung seines dramatischen Debüts "Auf dem Rasen" die Struktur bereits optisch verdeutlicht: Im mal rechts-, mal linksbündigen Layout-Durcheinander sind die maskulin autoritären Ansagen von Kommandant Fick-Schiss (im Original: Commandant Fout la trouille) in Versalien formatiert, ebenso die Antworten der ihren Rang als Namen tragenden Kollegin: die Gefreite.

Ihre Dialoge bestehen in den gelungenen Momenten aus rhythmisch akzentuierten, in Wiederholungen dezent variierten und dabei um einen Begriff kreiselnden Satzarchitekturen, sozusagen Minimal Music in Worten, die eher als formaler Jux denn inhaltlich versierte Kommunikation daherkommt. Kursiv in poetisch gemeinter Stapelung meldet sich der Autor mit persönlichen Assoziationen zu Wort zur szenischen Ausgestaltung und Einordnung, zur inhaltlichen Ergänzung und gedankliche Erweiterung. Dafür steht ein den Singsang der Formulierungen karg arrangierender Frauenchor am Rand des Geschehens, das die Spieler:innen Mario Lopatta und Laila Richter in einem plüschig verhangenen Rondell gestalten.

Soldantenpuppen im Vollmontur

Die bewaffnete Gefreite ist nicht wie erwartet devote Befehlsempfängerin, sondern guckt als kernige Soldatin fies tatwütig. Ihr schmerzhaft eitler Chef wirkt in seiner großkotzigen Hohlschwätzerei vor allem panisch. Da beide Darsteller in aufgeplusterten Comickostümen auftreten, die wie Entwürfe für eine neue Playmobil-Produktlinie aussehen, interessiert sich die fantasievoll souveräne Regie von Tim Egloff auch nicht groß für psychologisches Theater, sondern für Menschenpuppen mit popanzigen Anwandlungen.

AufdemRasen2 UweLewandowski uVerbrecher gegen die Menschlichkeit: Laila Richter und Mario Lopatta (mit dem Frauenchor im Hintergrund) lungern im Bühnen- und Kostümbild von Sina Barbra Gentsch © Uwe Lewandowski

Die Inszenierung holt so mehr Spaßeffekte aus dem Text, als hineingeschrieben sind. Wobei die Antagonisten diverse Rollengestaltungen ausprobieren: Als Grand-Guignol-Figuren agieren sie, geben Weißclown und dummen August, mit der Hinwendung ins Absurde wandelt der Kommandant auch auf den geckenhaften Pfaden von König Ubu.

Massaker in Guinea

Der gern reale Situationen ins Allgemeingültige abstrahierende Autor geht für diesen Text von einem Massaker in seinem Geburtsland Guinea aus. Am 28. September 2009, Jahrestag des 1958er Votums für die Unabhängigkeit von den französischen Kolonialherren, demonstrierten 50.000 Menschen friedlich in der Hauptstadt gegen das damalige Militärregime. Die Soldateska eröffnete das Feuer, mehr als 150 Tote und weit über 100 Vergewaltigungen vermeldete die UN und sprach von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", für das bis heute kein Schuldiger vor Gericht stand.

AufdemRasen3 UweLewandowski uSchuld ohne Sühne: Mario Lopatta und Laila Richter erzählen vom Massenmord an Demonstranten in Guinea 2009 © Uwe Lewandowski

Der historische Hintergrund wird aber nirgendwo auch nur ansatzweise erläutert. Im Stück bleibt völlig unklar, warum, wo und für wen die Protagonisten morden. Nur die Konstellation ist geblieben. Menschen mit Waffenmacht sollen Kritiker eines Terrorregimes aufhalten und putschen sich dafür gegenseitig auf. "Wir karabinieren sie", so lautet die geradezu erotisch aufgeladene Verheißung der kommenden Exzesse. Aber alles bleibt Erzählung. Niemand schießt auf der Bühne, nicht mal mit Platzpatronen.

Und Egloff inszeniert keine Vergewaltigung, zeigt aber den Kommandanten beim jubilierenden Berichten, auch noch seine Kalaschnikow in die Vagina der Opfer gesteckt zu haben. Das Verhalten rechtfertigt er als Strafe für Frauen, die politisch aktiv werden, anstatt daheim zu kochen, zu waschen und Kinder zu versorgen. Beim Ausplaudern der Gräuel reibt und quetscht Fick-Schiss seine Brustnippel zur Erregungssteigerung. Ein Psychopath, keine Frage. Leider gibt sein Darsteller vor allem das schreihalsig kindische Macho-Arschloch, bleibt undifferenziert in seiner Kraftmeierei, stilisiert sie auch nicht konsequent zur Groteske, und bekommt daher den Bruch vom empörend lächerlichen Brachialtäter zum tragischen Opfer politischer Systeme nicht hin.

Kreislauf der Gewalt

Denn plötzlich tragen die Protagonisten ihre Traumata vor: Der Kommandant spricht über die Deportation seines Vaters während der "Revolution", von der nichts weiter zu erfahren ist, die Gefreite findet immerhin zu einer ernsten Tonlage, als sie von der öffentlichen Hinrichtung ihres Vaters berichtet. Überdeutlich und recht plump, was mit der Gegenüberstellung behauptet werden soll: Gewalterfahrung führt zu Gewaltausübung.

Hakim Bah lässt die Gefreite sexuell erregt sein von der kerligen Widerwärtigkeit, "was für ein strammer Kerl du bist", und bekommt Lust zu tanzen, will "das Männliche im Weiblichen spüren". Der Kommandant macht mit österreichischem Akzent den Strizzi, kaspert Geilheit, nennt sie eine "echt geile Granate" und der Chor skandiert: "Körper Körper Körper / Lust oh / Lust ah / Lust / Körper an Körper".

Bleibt die Schuldfrage. Der Kommandant weist sie von sich, er habe seine Pflicht erfüllt und die Barbarei gegen Frauen sei doch eher Oscar-würdig gewesen. Das gibt natürlich keine Sympathiepunkte. Die kann auch die Gefreite nicht sammeln, wird sie doch zunehmend zur arroganten Anklägerin und behauptet, sie selbst sei „rein wie weiße Baumwollwäsche“, habe Schüsse auf die Zivilbevölkerung nicht zu verantworten, nur Befehle ausgeführt. Das Rausreden und Abstreiten kennen wir leider nur zu gut aus den deutschen Nachkriegsjahren. Weswegen im Abblendlicht der Premiere wohl nicht nur der Schriftzug Guinea 2009, auch Deutschland 1945 aufleuchtet. Aber letztlich ist das Stück kaum mehr als eine ästhetisch ansatzweise reizvolle Fingerübung, die diese eine Fragestellung zuspitzt und mit verbalen Jonglagen garniert.

 

Auf dem Rasen
von Hakim Bah
aus dem Französischen von Claudius Lünstedt
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Tim Egloff, Bühne und Kostüme: Sina Barbra Gentsch, Dramaturgie: Leila Etheridge.
Mit: Mario Lopatta, Laila Richter, Hannah Hupfauer und Frauenchor (Zoe Rentmeister, Johanna Wittbrodt, Rebekka Möller, Doerthe Loske).
Premiere am 29. Januar 2022
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.theater-osnabrueck.de

Kritikenrundschau

"Kühn" sei der Regieansatz von Tim Egloff, findet Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (31.1.2022), doch "hinter der Lakonie glüht es, lodert der Zorn auf durchgeknallte Machthaber". Obwohl die Rezensentin sich durch einiges "Gezappel und Gegreine" von Hauptdarsteller Mario Lopatta "genervt" zeigt, ist sie ingesamt angetan von diesem Abend: Diese "bewunderns- und bedenkswerte" habe "Wucht, Gewicht und Plausibilität". 

Kommentare  
Auf dem Rasen, Osnabrück: Schuster, bleib bei deinen Leisten
Männer schreiben Stücke über Vergewaltigungen, die Männer inszenieren und ein Mann schreibt eine Kritik in dem er die "Macho-Arschloch"-Darstellung kritisiert und gleichzeitig weder die an dem Abend beteiligte Dramaturgin, noch die Ausstatterin, noch die dritte Spielerin namentlich erwähnt. Stadttheater at it's best.
Und ob es dem Abend inhaltlich geholfen hätte, den Kommandanten als "tragisches Opfer politischer Systeme" zu spielen, wage ich doch sehr stark zu bezweifeln.
Sich als Regisseur lieber mit Themen und Perspektiven zu beschäftigen, zu denen Mann im Diskurs wirklich was beizutragen hat, wäre für uns alle denke ich, eine Bereicherung und würde auch dazu führen, dass nicht die Spielenden ausbaden müssen, was Regie und Dramaturgie versäumt haben.
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