Beglückende Leere zwischen den Bonmots

von Otto Paul Burkhardt

Karlsruhe, 20. November 2008. Erst kreist das Gespräch – ein Sechs-Personen-Abendessen beim Firmenchef – noch vorsichtig um Pinienkerne, um Kunst und die Sehnsucht nach dem Unerwarteten. 90 Minuten später hat sich die Konversation zur handfesten Schlägerei entwickelt. Michael und Kai, zwei Konkurrenten um den Chefposten in der Firma, prügeln sich blutig, der eine tunkt des anderen Kopf ins Klo. Später wird der Gastgeber, der noch amtierende Firmenboss, bedauern, dass der Abend "ein bisschen aus dem Leim ging".

Wieder jemand, der uns vorführt, wie dünn doch der Firnis der Zivilisation ist? Wie hinter der manierlichen Maske Mensch die Bestie lauert? Ja, nur dass der aus Klagenfurt stammende Autor Peter Truschner (Jahrgang 1967) mit seinem Theaterstück "Kampfgesellschaft" das Thema systemkritisch zu variieren versucht: Wie Geld- und Karrieregeilheit alle menschlichen Beziehungen nachhaltig vergiften. Ein uraltes Thema, klar. In der Tat: Über weite Strecken mutet dieses Stück auch wie ein neuerlicher Schonschleudergang verbrauchter Motive an – Zeitkritik irgendwo zwischen Yasmina Reza und Michel Houellebecq, zwischen "Gott des Gemetzels" und "Ausweitung der Kampfzone".

Gott, was sind wir wieder tiefsinnig!

Déjà-vu-Erlebnisse bis ins Detail: Nur dass statt eines großen monochromen Weiß-Gemäldes (aus Rezas Quotenbringer "Kunst") bei Truschner eben eine Porträtbüste vorkommt, die aus Künstlerscheiße geformt ist (was an die "merda d'artista" des Konzept-Artisten Piero Manzoni 1961 erinnert) – garniert mit der altklugen, zitatreif gedrechselten Bemerkung: "Die Kunst ist ein Markt, in dem der Kampf um Aufmerksamkeit tobt."

Kurz, Truschner, der in Maria Saal aufwuchs (weshalb viele in ihm einen Thomas Bernhard und Peter Turrini wieder heraufdämmern sehen), jongliert mit hinlänglich bekannten Motiven. Seine Figuren zitieren Nietzsche und süffeln Chianti, betreiben "Schwipsphilosophie" und schießen Wortgiftpfeile aufeinander los, zerfressen von privater Entfremdung und beruflicher Konkurrenz. Doch ehrlich: Die reale Zock- und Kampfgesellschaft sieht unendlich viel brutaler aus. Also was bleibt? Vage Zeitkritik, Zynismus light, boulevardmäßig locker-flockig aufgeschäumt. So what?

Dass das ganze Geplänkel doch verfängt, liegt am stark aufspielenden Karlsruher Ensemble und an einer sehr musikalisch durchgehörten, ebenso bösartig ätzenden wie feinsinnig mitleidenden Regie. Hermann Beil, langjähriger Peymann-Berater und einer der bedeutendsten Dramaturgen des deutschsprachigen Theaters, reichert Truschners sprachgewandtes Plapperstück ("Gott, was sind wir wieder tiefsinnig") mit vielen kleinen beredten Pausen an, in denen viel Leere zwischen gebildeten Bonmots und verbalen Fangschüssen aufbricht: Selbstgewisse Phrasen schrumpfen so zu Trostlosigkeitsbekundungen. Und mit ein bisschen Künstlichkeit – Sitzecke, Schlafzimmer und Toilette gehen ohne Wände auf einer großen Simultanspielfläche ineinander über – verzaubert er ihn zur bizarren Versuchsanordnung.

Eigentlich ist das Leben ein Elend

Derartig grundiert, entfaltet Truschners Tableau doch einige Wirkung. Boss Richard Minks, bei Stefan Viering ein dauerdozierender Firmenpatriarch mit nachlassendem Raubtierinstinkt, geht mit seiner Teamideologie und seinen Lobeshymnen auf die Solidaritätspraxis des britischen Polarforschers Shackleton allen gewaltig auf den Zeiger – seine herbe Frau Katja (Eva Derleder) erträgt ihn um ihres Wohlstands willen.

Die beiden Nachfolge-Konkurrenten – Kai, ein Choleriker (Sebastian Kreutz), und Michael, ein Machttaktiker (Timo Tank) – haben Begleiterinnen bei sich, die nicht immer mitspielen. Bea (Teresa Trauth) hat ein Faible für partytaugliche Binsenweisheiten ("1000 Euro sind 1000 Euro, und sterben müssen wir alle"), und Doro (Anja Lechle) gibt die somnambule Identitätszweiflerin ("Was ist, wenn ich schon längst eine andere bin?"). Konkurrenzkampf und Beziehungskälte – eigentlich ist das Leben ein Elend. Doch man witzelt ganz gut darüber hinweg – mit allerlei Gequatsche über Maronenpüree und Bachs "Johannespassion".

Wenn dann Big Boss Richard den Wandel "von der Solidargemeinschaft zurück zur Kampfgemeinschaft" beklagt, hat Bea genug von diesen Männerspielchen: "Mich erinnert das Ganze ein wenig an große Jungs, die als kleine Jungs zu viele Batman-Comics gelesen haben." Alles in allem: Hermann Beil lässt im schwipsphilosophischen Dampfgeplauder der Truschnerschen "Kampfgesellschaft" sehr dezent eine bedrohliche Leere durchscheinen. Das Ergebnis ist sehenswert: unterhaltsam und bissig, amüsant und trostlos, komisch und katastrophal.

 

Kampfgesellschaft (UA)
von Peter Truschner
Regie: Hermann Beil, Bühne: Steven Gordon Koop, Kostüme: Ursina Zürcher.
Mit: Eva Derleder, Rolf Jenewein, Sebastian Kreutz, Anja Lechle, Timo Tank, Teresa Trauth und Stefan Vierig.

www.staatstheater-karlsruhe.de

 

Kritikenrundschau

Trotz nuancierter Schauspielführung und abgründiger Zwischentöne konnte sich Andreas Jüttner in den Badischen Neuesten Nachrichten (22.11.) für die Aufführung nicht recht begeistern. Denn aus seiner Sicht bewegen sich Text und Inszenierung meist "mit gezogener Handbremse" auf den erwartbaren Crash und die finale Enthüllung zu. Auch haben aus Jüttners Sicht Yasmina Rezas Stücke oder Jordi Galcerans "Grönholm Methode" die Mechanismen von Markt und menschenverachtendem Karrierismus schon unterhaltsamer bloß gelegt, so dass Jüttner ein wenig ratlos fragt, warum die alles nun noch einmal durchdekliniert werden muss.

"Man hat wenige Theaterstücke, die sich das trauen: Kapitalisten als komische Menschen, nicht als tragische Klischees zu nehmen", schreibt hingegen Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen (22.11.) über Peter Truschners in "konversationstiefer, pointensatter Sprache" verfasstes Stück. Der Autor schaue seinen Figuren "neugierig bei ihrem Leben zu, schlägt ihnen kein anderes vor". Als "leichthin kontrapunktisches polyphonisches Stimmenwerk" habe Hermann Beil, der "kluge Dramaturg und menschenmusikfreundliche Regisseur", das "hübsche Kapitalistenkampfding" inszeniert, indem er, "was Truschner noch paarweise plappern lässt", aufbreche und "schärfer solistisch" instrumentiere, "wo Truschner noch in dämpfenden Harmonien denkt". In Steven Koops offenem Bühnenraum höre und sehe jeder jedem zu: "Alles durchdringt, durchtönt sich. Kammermusik der Kapitalisten in einer zerfließenden Welt". Zusammen mache das "einen fabelhaft amüsanten Abgrundklang".

 

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