Wenn das Kastrationsblut spritzt

20. Februar 2022. August Strindbergs Stücke werden heute nur noch selten gespielt, weil sie wahlweise zu misogyn oder zu mystisch wirken. Jetzt hat Evgeny Titov am Hessischen Staatstheater Wiesbaden Strindbergs "Der Vater" inszeniert – und dem alten weißen Mann ein kurzweiliges, aber blutiges Begräbnis verschafft.

Von Shirin Sojitrawalla

"Der Vater" am Hessischen Staatstheater Wiesbaden © Karl und Monika Forster

20. Februar 2022. Im Vergleich mit Strindbergs "Der Vater" wirkt Albees Eheschlacht-Klassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" wie ein Kindergeburtstag. Das gilt umso mehr, wenn man Evgeny Titovs Strindberg-Neufassung liest. Der mag es gern dunkel, horroresk und optisch wuchtig. In Wiesbaden steckte er schon Molières Eingebildeten Kranken in einen Kerker und bereitete Wassa Schelesnowa als Gothic-Groteske auf. Jetzt also Strindberg, in seiner unheilbaren Düsternis wie gemacht für Titov. Das Stück wird heutzutage eher selten gespielt; zuletzt machte Nicolas Stemann davon reden: An den Münchner Kammerspielen nutzte er es zur Abrechnung mit Patriarchat und toxischen Männlichkeitsidealen.

Perfider Frauenhass, aktuelle Geschlechterfragen

Das relativ kurze Stück erzählt eine verquere Ehegeschichte: Adolf und Laura sind sich über die Zukunft ihrer 17 Jahre alten Tochter Bertha uneinig. Die Mutter möchte sie zu Hause zur Künstlerin reifen lassen, der Vater sie sonstwohin zum Studium schicken. Im Zuge des Streites sät die Mutter den Verdacht, dass es sich bei Bertha um ein so genanntes Kuckuckskind handeln könnte, Adolf also nicht ihr leiblicher Vater sei. Der Verdacht entfacht im Kopf des Mannes einen Weltenbrand. Ob Adolf der Vater ist, sagt Strindberg nicht. Adolf stirbt, die Frau erscheint als niederträchtiges Etwas. Der Frauenhass, der sich in dem Stück entlädt, ist zwar perfide, die darin gestellten Fragen nach dem Geschlechterverhältnis sind dennoch nicht überholt. Kinder gehören den Müttern? Das scheint bei allem Fortschritt immer noch überwiegend zu gelten, wenn man etwa den Anteil alleinerziehender Mütter mit dem alleinerziehender Väter vergleicht.

Vater 1 Karl und Monika ForsterTobias Gondolf, Maria Wördemann, Ingrid Domann © Karl und Monika Forster

Auf der Bühne des Kleinen Hauses ein großzügiger Salon: Schreibtisch links, hinten Bücherwand und rechts vorm knisternden Kamin zwei Sessel im Louis-Quatorze-Stil. Darin Adolf und der Pastor, die über Laura sprechen, des Pastors Schwester, und die anderen Frauen im Haus. Adolfs Amme, die Tochter Bertha. Sie reden verächtlich über die Frauen, der schmierige Pastor (Peter Clös) lacht künstlich und fuchtelt wild herum. Rainer Kühn präsentiert Adolf als älteren Mann in gut sitzendem Anzug und mit spleenig roten Schuhen an den Füßen. Seine Frau Laura (Anne Lebinsky) stolziert hochtrabend aufreizend herein und sieht dabei aus, wie sich der Fernsehvorabend ein Verhängnis vorstellt. Hohe schwarze Stiefel gehören in jedem Fall dazu. Die trägt auch Tochter Bertha, die sich den ganzen Abend so sonderbar benimmt, als wäre sie eine Schimäre. Sie ist zwar Zankapfel, aber im Grunde geht es nie um sie. Sie bleibt bloßes Objekt der Begierde. In Latexleggings und schwarzem Jäckchen wirkt Maria Wördemann in dieser Rolle wahlweise wie eine Dompteuse oder eine Torera oder eine Schlange Marke oversexed. Eine Projektion.

Nichts an diesem kurzweiligen Abend ist eindeutig

In jedem Fall bekommt sie alles mit, sieht, wie ihre Eltern sich in die Haare kriegen über ihren Lebensweg, sich ineinander verkrallen, sich auf dem Schreibtisch verhaken, so dass es mal aussieht, als wolle der Vater zurück in den Mutterschoß und es mal so scheint, als wolle er sich an seiner Frau vergehen. Unklare Verhältnisse. Bei Strindberg wirft der Vater eine Lampe in Richtung seiner Frau, bei Titov setzt er ihr einen Lampenschirm wie ein Zitat auf den Kopf und geht ihr dafür später richtig an den Hals.

Rainer Kühns kahler Schädel wirkt in dem meist schummrigen Lichtverhältnissen auf der Bühne nosferatuhaft. Auch Laura trägt in all ihrer Affektiertheit vampirhafte Züge, und ihre Tochter scheint sowieso nicht von dieser Welt. Die Amme der Ingrid Domann, die zumeist schrill und nicht mütterlich daherkommt, komplettiert das Frauen-Trio-Infernale. Dabei ist nichts an diesem kurzweiligen Abend eindeutig. Die Männer sind keine Mannsbilder, die Frauen nicht nur Weibchen und nie ist klar, ob alles bloß ein Traumspiel ist. Wo die Wirklichkeit endet und der Wahn beginnt, weiß der Himmel.

Der alte weiße Mann wird abserviert

Rainer Kühn tänzelt sich als Adolf in eine schön hamletmäßige Verrücktheit hinein. Erst verschanzt er sich hinter seiner Bibliothek, bevor er später samt den Regalen ins Zimmer kracht. Da bewohnt er längst eine weiße Zelle, eine Mischung aus Irrenhaus, Knast und Jenseits. Dort redet er sich in einen wahren Rausch übers mütterliche Prinzip, die Frauen an sich und die weibliche Anziehungskraft. Ein wahnsinniger Monolog und nur eine der vielen Farben dieser Figur, die tobt, zittert, heult. Kurz darauf spricht er den wahren und traurigen Satz: "Wie schön das Leben war und was daraus geworden ist." Strindberg war nicht nur Frauenhasser, sondern auch Lebenskenner.

Vater 2 Karl und Monika ForsterPapa ist jetzt verrückt: Maria Wördemann, Ingrid Domann, Rainer Kühn © Karl und Monika Forster

Titov hat für seine Fassung den Text gekürzt, Nebenfiguren gestrichen und einigen Fremdtext eingestreut. Am Ende fällt bei ihm gleich zweimal die Phrase vom alten weißen Mann. Dabei hätte selbst das Großväterchen in Reihe 18 begriffen, dass Adolf hier als solcher vorgeführt wird. Damit nicht genug, die Frauen kastrieren ihn und verspritzen für ein Stück Fleischwurst viel Theaterblut. Das könnte schockieren, wirkt aber eher peinlich und ein bisschen zu dick aufgetragen. Das gilt auch für andere Momente und die bis auf die Knochen typisierten Figuren. Der Vater bildet die Ausnahme: Schicksal Titelfigur. Er ist als einziger facettenreich, bekommt den meisten Text und die größte Aufmerksamkeit. Manches ändert sich eben nie.

 

Der Vater
von August Strindberg
Deutsch von Christine Richter Nilsson und Bo Magnus Nilsson
In einer Fassung von Evgeny Titov
Regie: Evgeny Titov, Bühne: Duri Bischoff, Florian Schaaf, Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Musik: Moritz Wallmüller, Dramaturgie: Wolfgang Behrens.
Mit: Rainer Kühn, Anne Lebinsky, Maria Wördemann, Peter Clös, Tobias Gondolf und Ingrid Domann.
Premiere am 19. Februar 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-wiesbaden.de


Kritikenrundschau

Eine "brachiale Variante" des Strindberg-Dramas, in der die Regie es "zum allgemeinen theoretischen und praktischen Kampf der Geschlechter hin aufsprengt", hat Judith von Sternburg für die Frankfurter Rundschau (24.2.2022) in Wiesbaden gesehen. Der Abend nehme sich wie ein "Befreiungsversuch" aus – "für das Theater endgültig heraus aus einem Text, mit dem es offenbar wenig anfangen kann". Der Text "wendet sich zunehmend einer Collage zu, die die Frauenfeindlichkeit aus abgrundtiefer Angst und den Männerhass aus ebenso großer Langeweile und Unterforderung heraus zu entwickeln scheint und sich mit dem Plakativsten begnügt."

Als patriarchalen Wahnsinn inszeniere Evgeny Titov das Strindberg-Drama, so Bettina Boyens in der Frankfurter Neuen Presse (21.2.2022). Die Ehehölle lasse er gediege starten in einer detailverlieben Kamin-Bibliothek der Gründerzeit, darin quälen sich die Eheleute nach allen Regeln der Kunst, "verhöhnen, peinigen und verletzen sich, bis Adolf mit der Plutarch-Büste die gesamte Bücherwand einreißt". Fazit: "Viel Beifall für Titov und sein Team, die mit körperbetontem Spiel Geschlechterkampf und Irrewerden minutiös durchexerzieren, wobei man sich den effekthascherischen Tarantino-Schluss locker hätte sparen können."

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