In Wirklichkeit ein Unglück

von Nikolaus Merck

Berlin, 21. November 2008. Fast genau auf den Tag vor 70 Jahren wurde sie geboren: Christa Päffgen. Die Synagogen im deutschen Nazi-Reich brannten bei ihrer Taufe, Bomben illuminierten die Geburtsstadt Köln zu ihrem fünften Geburtstag. Flucht in den Spreewald bei Berlin. Mit 16 entdeckt vom prominenten Modefotografen Herbert Tobias, wurde aus der vaterlos aufgewachsenen Christa Päffgen so etwas wie eine frühe Claudia Schiffer. Doch während Schiffer in bravem Glamour ihre Bestimmung findet, ging Päffgen den entgegengesetzten Weg.

Als ihr Konterfei in den Fünfzigern die Titel der großen Illustrierten zierte, war aus Christa längst Nico geworden, die blondierte Kunstfigur mit Potenz zur Ikone. In Rom sah Federico Fellini sie auf einer Party und besetzte sie in "La dolce vita", in New York schenkte ihr Bob Dylan ein Lied und Andy Warhol platzierte sie als singende Frontfrau in seiner Band "The Velvet Underground". Nico, die Schöne aus dem Teutonenland, für Warhol, Dylan, Lou Reed und John Cale muss in den Sechzigern etwas dunkel schimmernd Germanisch-Grusliges um sie gewesen sein.

Schwarze Milch meine Muttersprache

Auch wenn sie bis 1988 ihre schwere Heroinsucht und den Abstieg in den untersten Underground überlebte, gehört Nico recht eigentlich zur "live fast and die young"-Generation der Brian Jones, Jim Morrison und Jimi Hendrix. Sie ist etwas aus der Mode gekommen, diese Attitüde. Der Baudelaire-Jünger Morrison, einer der zahllosen Geliebten Nicos, soll sie auch ermutigt haben, eigene Texte und Lieder zu schreiben.

Just an diesem Punkt, Nicos großer Liebe zu Morrison, setzt Werner Fritschs "Nico. Sphinx aus Eis" ein. Ein Stück "steile" Dramatik, schrieb die Neue Zürcher Zeitung milde. In Wirklichkeit ist Fritschs Monolog der sich im Moment des Todes an ihr Leben erinnernden Christa Päffgen ein Unglück, ein zwischen Feier des Drogen-Deliriums und der dröhnenden Flachheit von Rockmusik-Lyrik unentschieden hin und her schwankendes Getüm: "Schwarze Milch meine Muttersprache/ in der Mundhöhle Rauchpilze/ aus Ruinen Apfelschimmel im Rauhreif". Expressionistelnd, kitschend, grauslich.

Das Nazireich aus dem sie kam

Wieso ausgerechnet Päffgen zur Ikone wurde, "das kann doch nicht alles gewesen sein, das bisschen Busen und langbeinig Sein …", bei Fritsch bleibt es schleierhaft. Der Schmarren hat dennoch ein Verdienst. Während Päffgen in ihren Interviews immer neue Geschichten über ihre Herkunft erfand, verwurzelt Fritsch seine Nico unbeirrt im Nazireich, aus dem sie kam. Er unterminiert Nicos Name-Dropping aus der Rock'n roll-Ära und ihre Erlebnisse in der bundesrepublikanischen Biedermeier-Moderne mit Bomben, Terror und Angst der vierziger Jahre. Daraus hätte etwas werden können.

Oliver Sturm jedoch, dessen Beckett-Collage "Residua" von vor zweieinhalb Jahren noch in lebhaftester Erinnerung ist, kann den gelernten Hörspielregisseur in sich für dieses Mal nicht überwinden. Er lässt fünf SchauspielerInnen aufmarschieren, dazu drei MusikerInnen und die Stimme von Irm Hermann. Die Spieler stellt er in einer Reihe auf und verteilt den Text auf sie. Dazu flimmern hinten Videos der Schauspieler und seitwärts ein Warhol-Standbild auf zehn Monitoren, als wolle der alte Silberfuchs seinen Senf auch noch dazu geben. Wenn die Schauspieler, die zum Teil auch Originale sind – wie Harry Hass, der "Freund des Lumpenproletariats" –, genug Fritsch unter sich aufgeteilt haben, nehmen sie andere Aufgaben wahr.

Rumorendes Avantgarde-Hörstück

Birgit Doll spielt Nico als ältere Dame, Effi Rabsilber die Nico der Sechziger, weshalb sie mit Stephen Jacob als Lou Reed kost und kabbelt; Annika Hofestädt schweigt meistenteils und macht dabei die bella figura der Covergirl-Nico aus den fünfziger Jahren, die Stimme von Irm Hermann als Mutter oder Tante Päffgen mahnt gelegentlich: "Schau nicht zurück!", derweil die 18-jährige Soap & Skin, die eigentlich Anja Plaschg heißt und aus der Steiermark kommt, noch ein Nico-Lied singt und, weil mit Herz und Seele engagiert, der einzige Lichtblick des als Theateraufführung missratenen Abends ist.

Denn natürlich ist der gleichsam innergehirnliche Soundscape, den Oliver Sturm in Rede und Gegenrede und mit Nico-Songs und den rumorenden Geräuschen und Melodien von Gerd Bessler und Alexander Christou entwirft, ein ordentlich avantgardistisches Hörstück. Und weil das Ganze als Teil des Projektes "68/69 – Kunst. Zeit. Geschichte" beworben und subventioniert wird, muss der Satz: "Ich war bei Ulrikes (Meinhofs) Beerdigung, ich war nicht auf der meiner Mutter in Berlin", ordentlich oft wiederholt werden. Doch dafür hätten wir nicht eigens in die Sophiensaele kommen müssen.

 

Nico. Sphinx aus Eis
von Werner Fritsch
Regie: Oliver Sturm, Musikalische Leitung und szenische Musik: Gerd Bessler, Bühne: Till Exit. Mit: Gerd Besseler, Alexander Christou, Birgit Doll, Harry Hass, Irm Hermann (Stimme), Annika Hofestädt, Stephen Jacob, Effi Rabsilber und Soap & Skin (Anja Plaschg).

www.sophiensaele.com

 

Kritikenrundschau

"Was tut man aber, wenn man eben nicht der Kirche derer angehört, die Andy Warhol und die Seinen anbeten, wenn einem die Musik und die Drogen jener Jahre gleichgültig sind, wenn also, kann ja mal vorkommen, der Hagiographie die religiöse Inbrunst fehlt?", fragt Peter Richter in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (23.11.) anlässlich von "Nico", des "sogenannten Theaterprojektes" von Oliver Sturm in den Berliner Sophiensaelen. Und meint, dass man dann in so einem Theaterabend säße "wie im Gottesdienst einer fremden Konfession". Das könne zwar "auch sehr stimmungsvoll sein" und "die junge Sängerin Anja Plaschg war wohl auch sehr gut". Über 1968 sei allerdings vor allem zu lernen, "dass von all dem damit verbundenen Infragestellen, Kritisieren, Dämonisieren und Rehabilitieren ausgerechnet die Künste auch weiterhin sicher ausgeschlossen bleiben".

Für Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (24.11.) ist der Text von Werner Fritsch "ein Steinbruch (...), durch den Songzeilen, Hölderlin-Fetzen, der 'Styx' und die 'schwarze Milch' Celans fließen und immer wieder ein 'Deutschland, Deutschland' alles durchschneidet." Die vier Bühnen-Nicos zelebrierten diese "Sprecharien, allen voran die famose Birgit Doll, die mit ihrer tiefen, rauen Stimme Nicos Verheißungen und Verzweiflungen in jedermanns Ohren kratzt". Anja Plaschg habe sich die Figur "am intensivsten auf den Leib geschrieben", nur spiele sie nicht "die süchtige Nico, die in der Hässlichkeit Erlösung sucht, sondern sich selbst". Der Autor reiße mit seinem "dichten, zuweilen überladenen Langgedicht die nie verheilenden Wunden und naiven Träume deutscher Geschichte auf". Sturm bohre den Finger "nicht tiefer hinein in die Wunden", sondern gebe "dem schwierigen Text nur Raum". Jedoch bleibe der Abend "zu zeremoniell. Im Text springen die inneren Stimmen wie Leuchtraketen aus dem Dunkel. Auf der Bühne glimmen sie nur".

"In guten Momenten" gehe Fritschs Text "als expressiv durch", lehne sich an Poplyrik von Bob Dylan und Iggy Pop an, "in schlechten Momenten" wirke der Monolog "einfach nur flach", schreibt Joanna Itzek in der taz Berlin (24.11.). Sturm lege den Abend als "mediales Crossover à la Warhol" an, "zwischen Schauspiel, Popkonzert und bildender Kunst". Dafür werde "mächtig aufgefahren" – jedoch: "Es ist wirklich viel da. Und nichts kommt zusammen." "Was denn nun Nico zu der Ikone macht", würde ohne Anja Plaschg, die "mit großer Hingabe und einer erschütternden Traurigkeit in der Stimme" Nicos Lieder singe und "auf der Bühne fast etwas Vampirhaftes" habe, wohl "völlig untergehen". "Die junge Frau erweckt in einem die Faszination für Nico, vermutlich weil Plaschg selbst so von Nico fasziniert ist."

 

Kommentare  
Nico. Sphinx aus Eis: alt
Auf Ihrer Übersichtsseite schreiben Sie von einer Uraufführung - der Text ist aber einige Jahre alt.
Nico. Sphinx aus Eis: Nicht sonderlich dramatisch
Nico. Sphinx aus Eis
22.11.2008 um 10:49 Uhr

Premiere in den Sophiensaelen: Nico. Sphinx aus Eis Die Bühne könnte die Factory sein, in der Mitte befindet sich ein Podest, auf dem ein Modell posiert und später Birgit Doll als Nico zurechtgemacht wird. Linksseitig stehen Instrumente, Shooting-Star Anja Plaschg alias Soap & Skin singt eigene Songs oder dann als Nico Stücke von deren später Platte “Desertshore”, der Beatnik Harry Hass deklamiert zwischendurch “Drogenkitsch”, über die Wand laufen an der Factory-Ästhetik orientierte Projektionen, auf der rechten Seite zeigen etwa zwanzig Monitore unter anderem das Porträt Andy Warhols. Eine spektakuläre Show mit irrer Besetzung, die Oliver Sturm da inszeniert hat. Vor allem Anja Plaschg ist ein Highlight, die düstere Intensität ihrer Stücke, besonders der eigenen. Und Birgit Doll, eine umwerfende Schauspielerin mit wahnsinniger Bühnenpräsenz, hält das Ganze zusammen. Das ist auch dringend notwendig, denn sonderlich dramatisch geht es nicht zu. Der Abend ist ein Patchwork aus den verschiedenen künstlerischen Elementen. Sturm bemüht sich zwar redlich, das dramaturgische Problem liegt aber wohl eher beim Text, der Vorlage von Werner Fritsch. Der Monolog ist nicht nur gänzlich undramatisch, sondern auch irgendwie pathetisch, abgeschmackt. Geht eigentlich gar nicht. Dass er wirklich viel mit der realen Nico zu tun hat, bezweifelt übrigens nach der Vorstellung beim Bier Lüül, der Musiker und einstige Lebensgefährte Nicos.

“Lästig der Text zwischen den Songs”, sagt einer… “Gut, dass der Text ordentlich Sturm abbekommen hat…”

Tobias-Schwartz.de
Nico. Sphinx aus Eis: Kritik inhaltlich daneben
"Berlin, 21. November 2008. Fast genau auf den Tag vor 70 Jahren wurde sie geboren: Christa Päffgen."
So beginnen Sie Ihre Kritik.
Hiermit liegen Sie etwa fünf Wochen daneben(der 16.10. wars).
Inhaltlich liegen Sie aus meiner Sicht ebenso daneben.
Nico: hochkomplexe Soundinstallation
So ist das: Der eine kennt die Celan Zitate in Fritschs Text, der andere findet sie "expressionistelnd, kitschend, grauslich". Grauslich ist meiner Meinung nach diese ignorante Kritik, die eine hochkomplexe Soundinstallation mal eben als ein "ordentlich avantgardistisches Hörstück" abtut. Wahrscheinlich fehlt dem Kritiker auch hierfür jedes Handwerk und Wissen, um diesen Teil des Abends differenziert betrachten zu können.
Nico: Für Celan-Kitsch ist nicht Celan verantwortlich
@ Ein kritiker: Es ehrt Sie, dass Sie offenbar ein Celan-Kenner sind! Aber glauben Sie denn, dass die Verwendung von Celan-Zitaten einen Text davor bewahren kann, "expressionistelnd, kitschend, grauslich" zu sein? Gern wird heute Celan eingesetzt - wahlweise auch Hölderlin -, um sich mit Macht als Künstler zu nobilitieren und in die rechte "Nachfolge" zu rücken. Meist ist es bloß nur halb durchdachter Missbrauch, der da getrieben wird: Es entsteht dann Celan- oder Hölderlin-Kitsch oder ein Celan- und Hölderlin-Graus. (Wofür - nicht falsch verstehen - nicht Celan und Hölderlin verantwortlich sind). So etwa bei Mussbach und Ruzicka in ihren Celan- und Hölderlin-Opern, so auch tendenziell bei Werner Fritsch.
Zur "hochkomplexen" Soundinstallation: Komplexität ist in der Kunst noch kein Wert an sich. Komplexität herstellen ist relativ leicht. Schwer ist es, Komplexität als Komplexität sich mitteilen, künstlerisch evident werden zu lassen. Letzteres ist nach meiner nicht ganz laienhaften Ansicht bei Oliver Sturm nicht passiert. Insofern finde ich die Formel "ordentlich avantgardistisches Hörstück" ziemlich treffend.
Nico: Wie nun mit den Zitaten?
Warum werfen sie Werner Fritsch nicht vor, Nico zu zitieren? Also nochmal, Hölderlin und Celan sind verboten, Nico erlaubt? Dürfen Mussbach und Ruzicka denn eine Oper über Nico machen? Wo darf die denn dann stattfinden? In der Staatsoper oder in den Sophiensaelen? Welchen Knopf muss man drücken, um ihnen zu gefallen?
Nico: Zitate allein sagen nichts
Werner Fritsch darf Celan zitieren, und Mussbach darf sogar eine Oper über Nico schreiben, wenn er das denn möchte. Aber beide müssen sich auch kritisieren lassen, wenn sie mit ihren Zitaten und Anleihen eine künstlerische Höhe behaupten, die sie dann nicht einlösen können. Das ist alles.
(In Ihrem ersten Beitrag, Herr verwirrter Kritiker, taten Sie so, als habe Herr Merck die Qualität der Aufführung nicht zuletzt deswegen verkannt, weil ihm die Celan-Zitate entgingen - ich aber sage, um es noch einmal zu wiederholen, daß die Celan-Zitate über die Qualität des Textes noch gar nichts aussagen.)
Nico: Zitate muss man erkennen
Natürlich sagt das Zitat an sich noch nichts über die Qualität eines Textes aus, aber selbstverständlich müssen sie die Zitate eines Autors erkennen, um über die Qualität seines Textes urteilen zu können. Vor allem dann, wenn sie die Celan-Textstelle bei Fritsch als "kitschend" beschreiben. Das ist ja wohl das 1x1 der Kritik.
Nico: gegen Zitat-Gläubigkeit
sorry, aber was ist denn das für ein Schwachsinn - man muss Zitate erkennen, um die Qualität eines Textes beurteilen zu können? Du liebe Güte.
Erstens: es gibt viele Texte, bei dem es nicht nur viele, viele Zitate gibt (Faust zB), sondern noch sehr viel mehr, von denen der Autor gar nicht wusste, dass es Zitate sind (auch Faust zB)
Zweitens: wenn man den Text nur versteht (oder schätzen kann), wenn man das Zitat kennt, ist es kein guter Text, denn er will ja nicht Zitat sein (Zitate-Erkennen ist in Zusatz, aber nicht die Voraussetzung - die Reihenfolge muss man schon auseinanderhalten)
drittens: diese Gläubigkeit an Zitate ist die Gläubigkeit an eine Autorität - nur weil es X oder Y gesagt hat, ist es weder wahr noch schön noch sonst etwas. Zitate funktionieren im Kontext oder nicht, egal von wem sie sind
viertens: die Voraussetzung, einen Text zu beurteilen, ist kein Bildungsgut, sondern die Fähigkeit, seine Struktur zu begreifen, nicht EINFACH seinen Inhalt.

Alles klar? Denken hilft übrigens immer.
Nico: Fritsch' "Schwarze Milch" mit "Apfelschimmel"
Na, jetzt schlägt's aber 27. Um über die Qualität eines Textes urteilen zu können, muss man alle Zitate erkennen? Dann viel Vergnügen bei der Lektüre von Arno Schmidt ... der entzieht sich dann wohl jeder Beurteilung. Und wenn ich bei Heiner Müller ein Ernst-Jünger-Zitat nicht erkenne, dann bin ich wohl auch rettungslos verloren. Willkommen in der neuen Hermetik!
Und jetzt klären Sie uns mal auf: Ist "Schwarze Milch meine Muttersprache/ in der Mundhöhle Rauchpilze/ aus Ruinen Apfelschimmel im Rauhreif" reiner Celan? Oder ist es nur ein Anklang? So wie Fritsch es verwendet, ist es übrigens in beiden Fällen Kitsch. Das bringt mich auf ein lustiges Wortspiel: Der Kitsch-Fritsch! Der Fritsch-Kitsch! Hihi, das versöhnt mich jetzt schon wieder ...
Nico in den Sophiensaelen: sehr gelungen
Oliver Sturm inszeniert in den Sophiensälen: Nico. Sphinx aus Eis

"Nico. Sphinx aus Eis" gleitet in der Inszenierung von Oliver Sturm nicht in Underground-Kitsch und falsche Heroisierungen der Drogenkaputtheiten ab.

Sturm, Schnee und ein Temperatursturz um knapp zehn Grad. Grau zogen die Wolken über den Himmel von Mitte. Das Wetter meinte es gut mit den Sophiensälen. Punktgenau zur Uraufführung des Stücks "Nico. Sphinx aus Eis" über das Leben der düsteren Underground-Ikone, kam der Wintereinbruch: Nico-Wetter zur Nico-Premiere. Gleich vier Nicos bringt Regisseur Oliver Sturm ins fahle Licht einer kahlen Bühne, um dem schillernden Leben der Warhol-Muse und Velvet-Underground-Stimme gerecht zu werden.

Fast beiläufig reiht der Text von Werner Fritsch in langen Mo­nologen die Perlen aus der kollek­tiven Erinnerung an die Sängerin Nico aneinander: Model, Warhol-Factory, Stimme von Velvet Un­der­ground, Heroinsucht, Affären mit Jim Morrison, Lou Reed und Alain Delon (der Vater ihres Kindes). Aber die Inszenierung gleitet nicht in Underground-Kitsch und falsche Heroisierungen der Drogenkaputtheiten ab. Oliver Sturm lässt Nico, geblendet von der eigenen Bedeutung und umnebelt von den Drogen, in mun­terer Selbstüberschätzung viel Quatsch erzählen: "Warum soll ich mich waschen, wenn mir die Seife unter Acid so menschlich vorkommt?"

Oliver Sturm versucht die teutonischen Wurzeln des in Lübbenau als Christa Paeffgen geborenen Chelsea Girls zu ergründen (mit Irm Hermanns Stimme als Mutter) und zeigt Nico ansonsten vor allem als auf der Suche nach Männern, Drogen und Anerkennung Scheiternde: Das It-Girl des Heroin-Chics als bemitlei­dens­wer­tes Ascherl ("Jeder Schuss ein Kuss"), das den Sohn unter LSD zeugt und ihn später anfixt: "Ich habe ihm die Brust gegeben, dann die Spritze."

Die nackten Wände des entkernten Sophien-Festsaals sorgen für Factory-Feeling. Effi Rabsilber, Birgit Doll, Annika Hofestädt, Anja Plaschg teilen sich die verschiedenen Facetten der Nico-Rolle: Die junge Sängerin, die lallende Junkie-Braut, das unnahbar, sich stumm räkelnde Model, die alternde Alkoholikerin.
Sehr gelungen ist die Mitarbeit des jungen österreichischen Popwunders Anja Plaschg alias Soap & Skin. Ihr Debütalbum war nicoesk, in den Sophiensälen steuert sie grandios interpretierte Nico-Songs zu einem wunderbaren Abend bei.

Text: Björn Trautwein
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