Medienschau: ZEIT ONLINE, NZZ, SZ, FAZ, VAN Magazin – Entlassung von Valery Gergiev
Eine Frage der Position
Eine Frage der Position
2. März 2022. Mehrere Feuilletons beschäftigen sich mit der Entlassung von Valery Gergiev, ehemals Chefdirigent der Münchner Philharmonika, und seiner Haltung zu Putins Krieg gegen die Ukraine.
Auf ZEIT ONLINE kommentiert Florian Zinnecker die Causa und eröffnet klar positioniert: Der Schritt, Gergiev zu entlassen, sei "richtig und überfällig". Gleichzeitig solle man einen Blick auf die Begründung werfen, denn hier sei ein "öffentlich subventionierter Künstler von seinem Dienstherrn rausgeworfen worden, weil er nicht das aus dessen Sicht Richtige denkt." Der Dirigent habe sich aber in der Vergangenheit bereits politisch geäußert. "Die Münchner wussten schon, als er 2015 dort anfing, wen sie sich in die Stadt holen (...)", analysiert Zinnecker und schließt seine Vermutung an, dass Gergievs Entlassung vorrangig mit der Befürchtung der Stadt München zu tun habe, ihr Image zu gefährden sowie die Beziehung zu anderen Vertragspartnern.
Doch: Es gebe keinen "legitimen Anspruch an Künstler:innen" ihre politische Gesinnung auf Anweisung eines Politikers offenzulegen. Gergiev auftreten zu lassen, sei gemäß der Kunstfreiheit so legitim, wie ihn aus individuellen Gründen nicht zu buchen. Nur in einem einzigen Fall wäre die Aufforderung an Gergiev, sich politisch zu erklären, rechtens, findet der Autor: Wenn diese aus dem Orchester gekommen wäre.
"Die Rückbesinnung des Westens auf seine Werte und die Prinzipien des Völkerrechts zwingt künftig jeden Künstler mit russischem Pass, einen politischen Offenbarungseid zu leisten", kommentiert auch Christian Wildhagen in der Neuen Zürcher Zeitung die virulent gewordene Problematik. "Darf eine freiheitliche Welt Menschen vor eine derart existenzielle Alternative stellen?", fragt der Autor und schließt mit dem Argument an, dass öffentliche Bekenntnisse gegen den Krieg leicht zu fordern seien, solange man deren persönliche Folgen unter einem Unrechtsregime nicht zu tragen habe. Auch vor weiteren "Gesinnungsprüfungen" warnt der Autor. Eine "moralisch saubere" Kulturwelt sei dadurch nicht zu erreichen, diese sei ohnehin "eine Illusion".
Pakt mit der Macht
"In Deutschland beenden wir gerade künstlerische Karrieren von Menschen, die sich nicht oder nicht mehr politisch äußern möchten", beobachtet Helmut Mauró in der Süddeutschen Zeitung mit Besorgnis. Valery Gergievs "Pakt mit der Macht" sei schlicht einer, wie ihn laut Mauró viele russische Künstler:innen eingehen: "Karriere gegen politische Hingabe". "Aber heißt sein Schweigen, dass er zu Putin hält? Und wem steht zu, das zu beurteilen?", fragt der Autor. Es gebe einen Unterschied, ob man im Krieg ökonomische oder kulturelle Verbindungen kappt. "Es wird zu fragen sein, ob ein solcher Schritt Putin schadet. Oder uns. Oder der Kunstfreiheit". Man werde den Künstler Valery Gergiev jedenfalls vermissen, ist sich Mauró sicher.
Geld gegen Ergebenheit
Gleich in mehreren Texten (erschienen vor und nach der Bekanntgabe der Entlassung des Chefdirigenten) widmet sich Feuilleton-Redakteur Jan Brachmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Situation Valery Gergievs und weiterer russischer Künstler:innen. Gergiev sei in besonderem Maße ein Exponent russischer Kulturpolitik. "Er treibt also einen Handel: Geld gegen politische Ergebenheit." Distanziere sich Gergiev von Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine, könne er seine Karriere nur außerhalb Russlands fortsetzen, müsse womöglich sogar um sein Leben fürchten. Tue er dies nicht, werde man ihn in Westeuropa auf eine kulturelle Sanktionsliste setzen. In dieser Situation sei es nicht möglich zu erfahren, wie Gergiev wirklich zu Putin und dessen Krieg stehe. "Vielleicht erzählt in fünfzig Jahren ein Roman Glaubwürdigeres über den Lärm unserer Zeit", meint der Autor.
Zu klären sei hingegen noch, ob die Kündigung in dieser Form rechtlich haltbar sei. Denn fraglich ist für Brachmann auch, ob Münchens Oberbürgermeister vor der Vertragskündigung den Hauptausschuss des Münchner Stadtrats eingeschaltet habe. Einen "Beigeschmack von Heuchelei" hat dieser Rauswurf für den Autor. Sie sei aufgrund "politischer Hochrechnungen" aus Haltungen passiert, die seit 2014 bekannt waren.
Kein Opfer
"Nein, Valery Gergiev ist nicht das Opfer", findet Hartmut Welscher im Van-Magazin deutliche Worte für den Fall. "Gergiev hat sich wie wenige klassische Musiker vor ihm mit der Macht eingelassen, von dieser profitiert und instrumentalisieren lassen." Putin habe sich bei Gergiev revanchiert und ihn zum einflussreichsten Künstler Russlands gemacht. Welscher listet für die Verbindung diverse Bespiele auf. Die enge Freundschaft mit Putin habe dem Musiker lange erlaubt, sein "legendäres Jetset-Leben" im Westen zu führen. Indes habe man von westlicher Seite gerne über die Verstrickungen Gergievs mit dem Putin-Regime hinweggeschaut, schreibt Welscher – und sieht große Versäumnisse bei den Veranstalter:innen: "Die Festivals, Orchester und Opernhäuser, die Gergiev jetzt ausladen oder Verträge mit ihm beenden, hätten als Begründung seine Komplizenschaft mit dem System Putin in allen Details erwähnen müssen. Es ist fahrlässig, dass sie dies nicht taten. So kann leichter die Mär konstruiert werden – und Abnehmer finden –, dass hier versucht werde, an einem Musiker ein Exempel zu statuieren, einfach nur, weil er Russe sei, oder von einem 'unpolitischen' Musiker eine politische Aussage zu erzwingen."
(ZEIT ONLINE, NZZ, SZ, FAZ, VAN Magazin / sdre)
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Dabei ist die Lage nicht so kompliziert.
Sie ist sogar einfach:
- kann ich mir als Regisseur vorstellen, mit einem noch so genialen Musiker (wie Gergiev) zusammen zu arbeiten, wenn er sich nicht von diesem widerlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanziert? Die Antwort ist "nein".
- kann ich mir vorstellen, mit Corona-Leugner*innen zusammenzuarbeiten? Die Antwort ist ebenfalls "nein".
Kunst existiert nicht im luftleeren Raum!
Wir wissen was richtig und falsch ist.
Es gibt nur noch schwarz und weiss.
Also braucht es überhaupt keine Kunst mehr zu differenzieren.
Was für eine katastrophale Welt der Ausgrenzung.
die Süddeutsche Zeitung hat 2016 informiert
https://www.sueddeutsche.de/politik/profil-valery-gergiev-1.2982251
und man frage: Liest man das Blatt in München ?