Kleider machen Liebe

von Reinhard Kriechbaum

Linz, 22. November 2008. Eine liebesgenerierte Beinahe-Apokalypse: Die drei sitzen da, und keiner von ihnen weiß weiter. Sie sehen einander nicht an, schon gar nicht in die Augen. Olivia ist vor den Kopf gestoßen, hat ihr der junge Mann, den sie immer noch für Cesario hält, doch die Ehe versprochen. Orsino ist natürlich entrüstet, scheint doch Cesario die Gunst der Stunde für sich selbst ausgenützt zu haben, anstatt sich für den Herzog einzusetzen. Und Viola alias Cesario? Die als Mann verkleidete Frau, die doch selbst den Herzog liebt, weiß in dem Moment am allerwenigsten, wie ihr und was rund um sie geschieht. – An dieser Stelle lässt Regisseur Gerhard Willert all das Temperament, all die ungezügelte Spielfreude, an der es dieser Aufführung von "Was Ihr wollt" fürwahr nicht mangelt, urplötzlich einfrieren.

Die Situation ist umso zugespitzter, als die Rollen der Zwillingsgeschwister Viola und Sebastian (beide glauben jeweils den anderen im Meer ertrunken) mit derselben Schauspielerin besetzt sind. Schwarzer Anzug, modische Joggingschuhe – in beiden Rollen trägt Nicole Reitzenstein dasselbe Kostüm. Wäre die Geschichte nicht Allgemeingut, die Verwirrung wäre heillos.

Verarschen ist geil

Am Ende muss es dann doch noch einen "echten" Sebastian geben. Es ist sogar gelungen, in Nick-Robin Dietrich ein männliches Beinahe-Double für die zierliche Schauspielerin zu finden. Fast unauffällig schleicht er sich in die prekäre Szene, sitzt plötzlich neben Olivia. Später, als ihm die Verwechslung bewusst wird, lacht er hell auf. In die Dreier-Umarmung der Geschwister und Olivias mischt sich dann auch Orsino, der bald drauf, wenn der Narr zu seinem Schlusswort (hier: Schlussgesang) ausholt, fragen wird: "Habt ihr was zu essen da?"

Oft wirkt die Inszenierung von Gerhard Willert genau wie eine Choreographie – mehr als passend für die von der Liebe geblendeten Traumtänzer. Des Regisseurs eigene Textfassung ist keine Übersetzung, sondern eine ins Heute gerückte Paraphrase. "Verarschen find ich geil", sagt Andrew, als man die Intrige gegen Malvolio startet. Es fehlt kein Modewort unserer Tage, und das ist alles so recht pfiffig und auf Ironie getrimmt.

Originell der Raum: eine Modeboutique, in zwei Reihen übereinander hängen im Bühnenhalbrund viele, viele Gewänder. Es ist wohl ein Ort, wo Menschen über Kleidung und Verkleidung, über ihr Outfit und ihren dadurch generierten Sex Appeal (zu viel) nachdenken. Sein und Schein, das Selbstbild und das Bild von den anderen kommen gründlich durcheinander. Ist die Mode heutzutage eine Art Fashion-Puck?

Wenig Chance, echt Mensch zu sein

Es fehlt auch nicht an sexuellen Anzüglichkeiten: Sir Tobi (ein köstlicher Komödiant: Stefan Matousch) treibt es handfest mit Olivias "Assistentin" Maria (Verena Koch). Sir Andrew (Karl M. Sibelius) ist als Volltrottel krass karikiert. Daneben finden sich durchaus nicht wenige Klischees in Gerhard Willerts zeitgeistiger Lesart: Malvolio (Manuel Klein) hat im stocksteifen, frisch gebügelten, absolut knitterfreien Anzug wenig Chance, echt Mensch zu sein – auch später nicht, wenn er in Bermudas, den obligaten gelben Strümpfen und Sandalen liebesentflammt vor Olivia herumtölpelt. Diese Olivia (Barbara Novotny) ist eine junge Frau, die hemmungslos ihrer Lust und Laune frönt, immer ein wenig zu laut, zu schrill, zu energisch. Die Dame soll in dieser Inszenierung wohl für den Verlust aller Werte stehen, wenn man will: für die Verselbständigung des Sexus auf Biegen und Brechen. Fürst Orsino (Peter Pertusini) ist eher weltfremder Träumer.

Nie kommt Willerts Inszenierung lehrhaft daher. Vor allem wird herzhafter Klamauk betrieben. Aber dann schleichen sich diese wunderbaren Momente der Verunsicherung ein: Dann halten Protagonisten jäh inne, das Doppelbödige kommt zum Vorschein. Gerade Nicole Reitzenstein in ihrer Doppelrolle findet dafür gute Optionen, Viola/Cesario/Sebastian ist durchaus kantig, selbst-reflexiv angelegt.

Sven-Christian Habich hat als Narr Feste nicht minder gute Karten. Kostümbildnerin Alexandra Pitz hat ihm einen sagenhaft altmodischen Pullover mit Karomuster verpasst. Dieser Mensch von gestern also kommentiert und unterläuft das Selbstbewusstsein der heftig entflammten Liebes-Yuppies. Habich macht das leise, unaufdringlich, mit der Liebenswürdigkeit eines fast schrulligen Großvaters.

 

Was Ihr wollt
von William Shakespeare
Deutsch von Gerhard Willert
Regie: Gerhard Willert, Bühne und Kostüme: Alexandra Pitz, Musik: Christoph Coburger, Dramaturgie: Elke Ranzinger.
Mit: Nicole Reitzenstein (Viola/Sebastian), Barbara Novotny (Olivia), Peter Pertusini (Orsino), Manuel Klein (Malvolio), Stefan Matousch (Sir Tobi), Sven-Christian Habich (Feste).

www.landestheater-linz.at


Andere Inszenierungen von Was Ihr Wollt in dieser Spielzeit: von Michael Thalheimer am Deutschen Theater Berlin und von David Bösch in Essen.

 

Kritikenrundschau

Gerhard Willert zeige uns in seiner Linzer Inszenierung von "Was Ihr wollt" "heiteren Schwank, derben Witz und plumpe Zoten", schreibt Silvia Nagl in den Oberösterreichischen Nachrichten (24.11.2008). "Das ist original Shakespeare und macht Vergnügen, wird aber dann zur Langeweile, wenn Jux und Tollerei wie eine Dampfwalze über Melancholie und Poesie drüberrasen." Figuren würden so "zu Schwachköpfen degradiert und der Lächerlichkeit preisgegeben". Die Live-Musik schrumme, schramme und nerve, "wenn sie sich wie ein Furz oder ein krachendes Mikro über den Text" lege. "Weniger Geblödel und Schmiere, dafür radikalere Textstriche und mehr Sorgfalt bei der Textverständlichkeit hätten diese Drei-Stunden-Aufführung kürzer, klarer und erträglicher gemacht."

Willert habe Shakespeare in seiner Neuübersetzung "sprachlich stark und recht witzig modernisiert und aktualisiert", konstatiert Andreas Hutter im Neuen Volksblatt (24.11.2008), und in seiner Inszenierung komme "keine Minute Langeweile auf". Willert mache "trendige Zweideutigkeit zum Prinzip", seiner Hauptdarstellerin Nicole Reitzenstein gelinge "das Kunststück, auch als junger Mann nicht lächerlich zu wirken". Die Szenen mit den komischen Figuren gehörten "zum Besten der Aufführung", wenngleich "die deftige Theaterpratz'n, die Willert Shakespeare angedeihen lässt, an einigen Stellen an der Grenze zum Klamauk" kratze.

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