Dissen am Kreuzweg

11. März 2022. Teil eins von "Zertretung" handelte sich Ärger mit einem regierungsfreundlichen Medium ein – Teil zwei macht ebenfalls Krawall und sucht sich eine noch erhabenere Feindin: die Sprache. In Boxergewand und Dialekt wird gezeigt, wie nichtpsychologisches Schauspiel und schönstes Dissen geht.

Von Martin Thomas Pesl

"Zertretung – 2. Sprache essen Abgott auf oder Du arme Drecksfut Metzger" am Volkstheater Wien © Marcel Urlaub

11. März 2022. "Wer klagt als Erster?", fragte ich hier nach der Premiere von Zertretung – 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten in der Dunkelkammer des Volkstheaters. Lydia Haiders (Hausautorin) und Kay Voges’ (Regisseur) verbale und gamifizierte Exekution diverser Vertreter des österreichischen Patriarchats war auf Provokation ausgelegt. Ein ÖVP-nahes Online-Medium klagte daraufhin zwar nicht vor Gericht, aber doch recht vehement, Ex-Kanzler Schüssel empörte sich, und ein Pressesprecher der Partei forderte das Volkstheater auf, seinen Spielplan zu überdenken. Dieses veröffentlichte daraufhin eine Kurzdoku mit dem Titel Was darf Kunst?.

Die Skandalisierung schlug weniger hohe Wellen als womöglich erhofft, aber ein bisschen Werbung für den zweiten Teil gibt sie schon her. Der heißt "Sprache essen Abgott auf oder Du arme Drecksfut Metzger" und ist: anders. Nur Schauspielerin Claudia Sabitzer firmiert in beiden Teamlisten, was kaum zählt, da in Teil eins ihr Gesicht unkenntlich war. Diesmal führt Claudia Bossard Regie, es gibt kein Egoshooter-Videospiel mehr, dafür, auch naheliegend, einen Turnplatz.

Die Rammstein unter Österreichs Autorinnen

Nach hinten begrenzt die Bühne in der Dunkelkammer weiterhin eine Leinwand, die das gleiche Bild zeigt wie sechs Flachbildschirme gegenüber. Zu Beginn ist darauf Lydia Haider in Videoaufnahmen zu sehen. Sie trägt einen Boxermantel mit einer Kapuze, die sie bei Nahaufnahmen an die Muttergottes erinnern lässt, und okkupiert rauchend, trinkend und gegen Schauspieler Uwe Schmieder Tischtennis spielend das "Führerzimmer" weiter unten im Gebäude (hier hoffte das Volkstheater in der Nazizeit Hitler zu empfangen, der aber nie kam – Direktor Schottenberg ließ 2005 die Holzvertäfelung angewidert entfernen und musste sie dann, da denkmalgeschützt, auf eigene Kosten wiederherstellen lassen). Wird Schrift eingeblendet, dann Fraktur, ein Markenzeichen Haiders. Was das Spiel mit historisch vorbelasteten Symbolen angeht, ist sie die Rammstein unter Österreichs Autorinnen. Gewalt und Hassreden kommen ja sonst immer nur von Männern, sie als Frau soll auch mal dürfen.

Zertretung Marcel Urlaub uUwe Schmieder und Autorin Lydia Haider im Mutter-Gottes-/Boxer:innen-Gewand © Marcel Urlaub

Dass Bossard die Verfasserin in ihre Inszenierung eingebunden hat, leuchtet ein, läuft doch der ganze Text – eine hoffentlich zulässige Interpretation dieses sehr lyrischen Ausbruchs – im Wesentlichen auf ein Duell zwischen ihr, der schreibenden Haider, und der Sprache selbst hinaus. In 14 Kampfrunden/Kapiteln, die nach den Stationen von Christi Kreuzweg betitelt sind, arbeitet sich Haider mit Sprache an Sprache ab und disst sie aufs zünftigste ohne Punkt und Komma.

Spritzgack-Lyrik

Konkrete Personen greift sie diesmal keine an, was ihren Text seinerseits recht un(an)greifbar macht. Das ist – ein arg strapazierter Vergleich, aber es hilft ja nix – sehr jelinek'sch, aber auch von Ernst Jandl, der am Volkstheater neuerdings gekonnt gepflegt wird, ist was zu erkennen. Man kann sich noch so bemühen, genau hinzuhören, es bleiben vor allem kreative Beflegelungen wie "Spritzgack als Scharfgeschoss" hängen.

Dabei hat Claudia Bossard, ganz im Gegensatz zu Kay Voges bei "Zertretung – 1.", mit den Schauspielerinnen extrem detailliert in den Text hineingearbeitet. In grotesker Amazonengewandung sagen ihn Claudia Sabitzer, Clara-Luise Bauer und Anna Rieser mit größtmöglicher Natürlichkeit. Schönes Bühnensprech über Bord werfend hängen sie sich in ihre jeweiligen Dialekte rein, schleudern die Schimpfworte ("du Oberblunze") lässig einander entgegen, murmeln, höhnen, schreien, aber nur ein bisschen, und zeigen, wie nichtpsychologisches, vom Inhalt gelöstes Schauspiel geht. Verstünden die Zuschauer:innen nicht Deutsch, sie wären sicher, dass hier was Tiefsinniges verhandelt wird. Besonders Anna Rieser ist eine Meisterin in dem Schauspiel, das so tut, als wäre es keines.

Der linke Haken der Sprache

Uwe Schmieder kriecht dann auch noch hinter der Leinwand hervor und bringt ein Holzschwein mit, wohl in Anspielung an den titelgebenden "Metzger". Derlei beherztes Ausnutzen der Freiheiten, die ein Text wie dieser bietet, nötigt Respekt ab und hält das Publikum auch gerade so lang bei der Stange, wie dieser Abend dauert (70 Minuten). Mehr muss dann aber auch wirklich nicht sein. Die Autorin verbeugte sich stilsicher in ihrem Boxergewand. Nach dem Verklingen des Premierenapplauses verhedderte sie sich zum eigenen Amüsement beim Aussprechen einer freundlichen Einladung zur Premierenparty. Sprache – Lydia Haider 1:0.

 

Zertretung – 2. Sprache essen Abgott auf oder Du arme Drecksfut Metzger
von Lydia Haider
Uraufführung
Regie: Claudia Bossard, Bühne: Luisa Berghammer, Kostüm: Golnaz Bashiri, Video und Sound: Annalena Fröhlich, Licht: Markus Hirscher, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Clara-Luise Bauer, Anna Rieser, Claudia Sabitzer, Uwe Schmieder, im Video: Lydia Haider.
Premiere am 10. März 2022
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

Wut und Hass auf, ja, die Sprache prasselten auf die vier, fünf Dutzend Zuschauer im Dachgeschoß des Volkstheaters nieder, schreibt Stephan Hilpold im Standard (11.3.2022). Die drei Schauspielerinnen brüllten und kreischten "die atemlosen und kraftmeierischen Wortkaskaden Haiders in das intime Halbrund der Dunkelkammer". Für das Verhältnis von Körper und Sprache, dem Haider nachspüren wolle, finde sie "keinen poetologischen Zugang – und einen theatralischen schon gar nicht".

Der Stücktext sei eine "furiose, in drastischen Wortschwallen und Wortschwellungen formatierte Hassliebeserklärung an die Sprache", findet Guido Tartarrotti im Kurier (12. März 2022). Die Darsteller:innen seien "großartig". Das Fazit des Kritikers fällt klar und kompakt aus: "Ein mehrwürdiger, aber hoch interessanter Abend!"

 

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