Was ist der Mensch?

13. März 2022. William Shakespeares "Der Sturm" steckt voller Humanismusmelancholie und Kolonialismuskritik. Thorleifur Örn Arnarsson interessiert sich an der Wiener Burg mehr für die große Show – und die Abgründe der Komik.

Von Gabi Hift

"Der Sturm" am Wiener Burgtheater © Matthias Horn

13. März 2022. Die erste Viertelstunde ist aus dem Stoff, aus dem die Träume sind. Auf der Drehbühne wirkt alles wie zu einem Rockkonzert aufgebaut: himmelstürmende Lautsprechertürme, an deren Vorderseite Ballonseide flattert, dazu eine ganze Batterie von Instrumenten. Einer der Musiker, Gabriel Gazes, sitzt schon am Klavier. Nach und nach kommen die Festgäste, alle in Weiß, greifen zu den Instrumenten, singen Schlager aus allen Zeiten. Der Hochzeitsmarsch klingt an, "And when the saints go marching in", dazu dreht sich die Bühne. Die Rückseiten der Türme sind bronzene Spiegel, der prunkvoll erleuchtete Zuschauerraum dreht sich darin mit. Eine Festtafel wird aufgebaut, Nebel in der Luft, alles ist Schall und Rauch. Die Gäste werden ausgelassener, rampensäuischer. Roland Koch ist ein Trompetenvirtuose, New-Orleans-Jazz und "You can’t always get what you want", Florian Teichtmeister will in der Mitte ganz allein seine Rocksongs röhren und wird weggedrängt. Zum Walzer klackern und gurren Geistergeräusche, die Herren rodeln bäuchlings über den Festtisch.

Prospero hat ihre Gefühle nicht im Griff

So schön dieser Anfang ist, so sehr steckt auch das Problem des gesamten Abends darin. Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson etabliert an der Wiener Burg eine melancholische, aber hoffnungsvolle Grundstimmung. Er scheint sich mehr für die große Show und die Abgründe der Komik zu interessieren als für die Abgründe von Kolonialismus und Machtmissbrauch, die ja auch im "Sturm" stecken. Das zeigt sich etwa an der Figur des Prospero, den Maria Happel spielt. Was wollte man mit dieser Besetzung? Natürlich kann man die Figur zu einer Frau zu machen, Helen Mirren hat sie vor einigen Jahren im Film "The tempest" gespielt und Hildegard Schmahl 2007 an den Münchner Kammerspielen.

Sturm2 c Matthias Horn uDas romantische Paar mit 50er-Jahre-Aura: Nils Strunk und Lili Winderlich © Matthias Horn

Happel spielt ihren Prospero so, als wäre diese Herrin der Insel aus dem Gehirn eines üblen Sexisten entsprungen, der an ihrem Beispiel am Stammtisch erklären wollte, warum Frauen für Machtpositionen leider nicht geeignet sind: haben ihre Gefühle nicht im Griff, einmal im Monat die Regel, sind ewig nachtragend usw. Als Prospero seiner Tochter erzählt, wie er vom eigenen Bruder entmachtet und auf dem Meer ausgesetzt worden ist, zittert ihr / ihm die Stimme noch nach zwölf Jahren vor Selbstmitleid. Redet Prospero mit seinen Untertanen Ariel und Caliban, keift und zetert er, begibt sich ständig in die Defensive. Plant er, das Schiff mit seinen Feinden zum Kentern zu bringen, ist er konfus und unsicher. Hätte er nicht den patenten, coolen Luftgeist Ariel in seinen Diensten (Mavie Hörbiger), wäre er hilflos.

Wo bleibt der Kolonialismus?

So entsteht der Verdacht, dass Prospero mit einer Frau besetzt ist, weil hier partout kein souveräner alter weißer Patriarch gezeigt werden soll, schon gar kein Theatergenie, weil das heutzutage als zu kontrovers gilt und Arnarsson dem lieber ausweichen möchte. Dafür spricht, dass alle anderen Figuren nicht nur ihrem Geschlecht entsprechend, sondern auch noch sehr konventionell typbesetzt sind. Besonders auffällig ist das bei Miranda, die nun wirklich keine so süße blondgelockte Zuckerschnecke sein müsste. Lili Winderlich spielt die Liebesszenen mit dem Königssohn Ferdinand so reizend neckisch, dass man glaubt, man sei in einem Film aus den 1950er Jahren.

Auch das Verhältnis zwischen Prospero und Florian Teichtmeisters Caliban ist vor allem amüsant. Dass Prospero dem Ureinwohner der Insel, den er versklavt hat, via Magie grässliche Schmerzen zufügen kann und ihn so zum Gehorsam zwingt, wird einfach nicht gespielt. Das Thema Kolonialismus, sonst am Theater gerade allgegenwärtig, bleibt hier, wo es bei Shakespeare tatsächlich im Zentrum steht, blass und unbedeutend, als hätte es mit der Welt nichts zu tun.

Die alten Nummern funktionieren noch

Ernst machen erst die beiden Narren. Stefano und Trinculo sind zwei schmierige abgehalfterte Entertainer. Beide waren auf dem im Sturm gekenterten Schiff und denken zunächst, sie seien der einzige Überlebende. Michael Maertens als Trinculo wird von den bösen Zaubern der Insel in Gestalt eines aggressiven Scheinwerferstrahls gejagt. Immer wenn er von ihm erwischt wird, ist er gezwungen einen Song zu performen,"I did it my way" – so kläglich, wie man das wahrscheinlich noch nie gehört hat. Nach einer halben Ewigkeit (nach der man schon restlos in ihn verliebt ist), fährt ein Pixieklo mit der Neonaufschrift "Bar" auf die Bühne, aus dem Roland Koch als Stefano herausklettert.

Sturm4 c Matthias Horn uKomiker-Könige unter sich: Michael Maertens und Roland Koch, im Hintergrund: Dietmar König, Johannes Zirner © Matthias Horn

Über den Kopf des schlafenden Monsters Caliban hinweg finden die beiden Freunde und Partner einander wieder und beginnen, überglücklich, ihre alten Nummern zu performen. Als Caliban erwacht und sie entdecken, dass er sprechen kann, planen sie sofort, ihn mitzunehmen, weil sie sicher sind, dass er in Europa eine Sensation sein wird und sie sich mit ihm zusammen wunderbar verkaufen werden.

Drei düstere Sunny Boys

Die drei liefern als düstere Sunny Boys einen wahren Höllenritt in die Abgründe des Menschseins. Wo sich bei Miranda und Ferdinand selbst halbnackt nichts bewegt hat, bebt bei einem scheuen Versöhnungsbussi zwischen Stefano und Trinculo die Erde. Als sie schließlich planen, Prospero zu ermorden und Herren der Insel zu werden, wird es endgültig ernst inmitten der Lächerlichkeit. Wenn sie drüber sprechen, dass sie ganz andere Menschen sein werden, dass sie frei sein könnten, wird einem ganz anders zumut. Die Szenen zwischen Koch und Maertens sind eine Sternstunde der Komik und des tiefen Ernstes. Erst diese beiden bringen einen zum Nachdenken über die Frage, was der Mensch ist – die der Rest des Abends mit einem heiteren "Is' eh alles wurscht" wegzuwischen versucht.

Wäre diese Inszenierung, wie geplant, in eine Zeit der zu Ende gehenden Corona Pandemie gefallen, dann hätte Arnarssons Konzept aufgehen können: endlich wieder zusammen feiern, über Konflikte hinwegblödeln. Aber jetzt, wo nicht weit weg Krieg herrscht, kommt es einem durch und durch falsch vor, über die bei Shakespeare gestellten großen Fragen von Macht, Legitimation von Gewalt, ewigen Kreisläufen von Rache und Zerstörung und der unauflöslichen Ambivalenz mit ein wenig Bühnennebel hinwegzutanzen.

 

Der Sturm
von William Shakespeare
Deutsch von Gabriele Groenewold
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Elín Hansdóttir, Kostüme: Karen Briem, Musik: Gabriel Cazes, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Michael Maertens, Dietmar König, Maria Happel, Johannes Zirner, Nils Strunk, Roland Koch, Florian Teichtmeister, Lili Winderlich, Mavie Hörbiger; Live-Musik: Gabriel Cazes.
Premiere am 12. März 2022
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Kasperl auf Shakespeares Zauberinsel" titelt Norbert Mayer seine Rezension in Die Presse (13.3.2022) und schreibt, dass dies auch eine passende Überschrift für den Abend gewesen wäre: "140 Minuten Show mit versierten Entertainern, insgesamt wirkte sie aber enttäuschend flach. Die deutsche Übersetzung scheint wenig inspiriert, recht viele der im Original mitschwingenden Bedeutungen werden ignoriert." Es sei trotzdem immer noch erstaunlich viel gut gegangen – wie besipielsweise Mavie Hörbiger als Luftgeist Ariel und Florian Teichtmeister als Insulaner Caliban: "Beide werden großartig spielen – sie leichtfüßig und mit einem Anflug an Trauer, er der Rolle entsprechend plump, brütend, beide geborene Komödianten und Sprachartisten."

"Langsam, sehr langsam füllt sich die rotierende Drehbühne mit Menschen, Requisiten, Theaternebel - und vor allem viel Musik," schreibt Wolfangang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (13.3.2022). Musik spiele auch im weiteren Verlauf der Aufführung eine tragende Rolle. Doch: "Sobald es, zwischen den Musiknummern, darum geht, irgendwie auch noch das Stück zu erzählen, wirkt die Inszenierung deutlich uninspirierter. Reichlich konventionell, teils sogar ziemlich lustlos kommen viele Szenen daher."

"Während des lange auslaufenden, am Ende auch merklich luftlosen Abends muss befürchtet werden, dass sich die schlechte Welt weiterdrehen wird wie bisher," schreibt Margarete Affenzeller im Standard (13.3.2022). Daran lasse die vor allem auf Atmosphäre und einer erstaunlich unaufdringlichen Medley-Stimmung basierende Inszenierung keinen Zweifel.

Was sich Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson neben der Musicalisierung inhaltlich zum "Sturm" gedacht haben mag, werde in den knapp 140 Minuten nicht klar, so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.3.2022). Viele seiner Fragen bleiben offen: "Verbindet den Luftgeist und den selbst gelehrten Zauberer da gar so etwas wie Liebe, die der Spiritus nicht wahrhaben, der Magier nicht zulassen, sich nicht eingestehen will? Hätte man ausbauen können, wird in der Luft hängen gelassen." Die Romanze zwischen Miranda und Ferdinand werde verblödelt. "Selbst das Premierenpublikum schien sich nicht einig, denn neben großem, wenn auch nicht übermäßigem Applaus waren zahlreiche laute Buhrufe zu vernehmen."

Kommentare  
Der Sturm, Wien: Nebel
Mir war es nicht genug Nebel. Was eine verstaubte Veranstaltung .
Der Sturm, Wien: Kindergarten
Kindergarten. Musikalische Platitüden statt Theater.
Der Sturm, Wien: andere Akzente
Tja, was ist schief gelaufen? Da sind versierte Schauspieler und Schauspielerinnen auf der ansprechenden, abwechslungsreichen Bühne. Mit weißer und grauer Fallschirmseide werden interessante Effekte und Räume geschaffen. Und doch bleibt vieles an der Oberfläche und packt einen nicht so richtig. Vielleicht erwartet man in der aktuellen politischen Lage einfach andere Akzente. Nun kann aber das Konzept nach Kriegsbeginn nicht in den letzten zwei Wochen vor der Premiere umgestellt werden. Das Programmheft erlaubt einen Einblick in die eigentliche Idee. Die Insel als Freiheitsraum ohne materiellen Besitz und Konventionen. Nur das Wesentliche wird gerettet. Was ist das Wesentliche?! Vielleicht deshalb die musikalischen Einlagen, die eher eine weinselige Stimmung erzeugen. Shakespeares Tempest geht dabei leider zu sehr verloren.
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