Wir Subjekte des Klimawandels

8. April 2022. Kathrin Rögglas neues Stück "Das Wasser" nimmt sich satirisch bis sarkastisch der steigeden Pegelstände an – und damit der Klimakrise. Denn: "Wir hätten es wissen können, wenn man uns Bescheid gesagt hätte!" Jan Gehler hat das Auftragswerk in Dresden ebenso pointiert uraufgeführt.

Von Michael Bartsch

Kathrin Rögglas "Das Wasser" am Staatsschauspiel Dresden © Sebastian Hoppe

8. April 2022. "Die Zukunft war früher auch besser!" Der Komiker Karl Valentin könnte mit diesem Spruch die Überschrift über unsere Epoche geliefert haben. Substantive wie "Zuversicht" oder "Lebensfreude" gehören längst im Duden als "veraltend" markiert. Beschwörungen der bevorstehenden Apokalypse sind von den vermeintlichen Rettern abendländischer Werte ebenso wie von freitagsempörten Klimarettern in unser kollektives Unterbewusstsein eingesickert.

Schwärzeste und schwarzgrüne Ironie

Nun also auch die frisch mit dem Else-Lasker-Schüler-Preis ausgezeichnete Kathrin Röggla. Ein aktuelles Sturmhoch ihrer Premieren und Uraufführungen hat nach Saarbrücken, Stuttgart oder Dortmund auch Dresden erreicht. Im Programmheftinterview zu "Das Wasser" beschreibt sie unsere gegenwärtige Situation als "angsterfüllt-resignativ-aktivistisch". Die Attribute eignen sich auch als Zusammenfassung ihres Auftragswerkes für das Dresdner Staatsschauspiel.

DasWasser2 805 Sebastian Hoppe uIm Über-Fluss: Marlene Reiter, Thomas Eisen, Sarah Schmidt, Franziskus Claus © Sebastian Hoppe

Bedrohliche Phänomene um unser Lebens-Wasser stehen dabei stellvertretend für den Klimawandel und andere Untaten der Zauberlehrlinge des Anthropozäns. "Flut“, "Über-Fluss", "Hochdrückende Gewässer" und "Dürre" sind die vier ineinanderfließenden Abteilungen überschrieben. In pointiertester Sprache kabarettistischer Qualität gefasst, wie zu erwarten war, von schwärzester oder schwarzgrüner Ironie, so wirklich, dass es bitterböse wirken muss.

Vor der Meeres-Wand

Doch bevor ein Wort fällt, darf man erst einmal das starke Bühnenbild von Sabrina Rox auf sich wirken lassen. Über die gesamte Bühnenbreite und -höhe des Kleinen Hauses hat sie eine finstere unüberwindliche Mauer gebaut, mit einem optimistischen Durchbruch allerdings versehen, der den Blick auf ein sanft plätscherndes Meer freigibt.  Wenn die sieben Spieler dann mit Mühe ein gelegentlich traktiertes Klavier hereinschieben, stimmt an ihren Klamotten zwischen Freizeit und Lifestyle ebensowenig etwas zusammen wie an unserem Umgang mit der Mutter Erde. Katja Strohschneider hat wunderbar schiefe Patchworks geschaffen, halb Jacke, halb Fell, schief übergezogene Westen, skurrile Verknotungen um die Extremitäten.

Auch später im Bauch des Walfisches blüht die Phantasie der Kostümbildnerin. Diese Geschichte des Propheten Jona aus dem Alten Testament hat Kathrin Röggla inspiriert. Soll er doch der Stadt Ninive Gottes Zorn und den drohenden Untergang verkünden, kneift aber und befindet sich nach seiner Seenotrettung im Bauch des Wales sozusagen im Zustand der Läuterung. Denn "Gott will, dass alle gerettet werden".

Die Wut des Flut-Bürgers

Doch zunächst werden wir wie in einem Exposé mit der "Flut" konfrontiert, mit der konkreten Erfahrung des Flusses im Wohnzimmer, der zuvor eine Straße war. Wie in Sachsen 2002, wo die Autorin zum Stück recherchiert hat. Die erste halbe Stunde läuft ein chorisch oder verteilt gesprochener Monolog eines prototypischen Bürgers, der es im Wortsinn ausbaden muss. Adressat ist das Publikum, beim Vorrücken der Gruppe an die Rampe beinahe attackiert, oder sind anonymer "die da oben", an die man jegliche Verantwortung delegieren kann. "Wir hätten es wissen können, wenn man uns Bescheid gesagt hätte!"

DasWasser4 805 Sebastian Hoppe uAuf wen wollen wir zuerst verzichten? Sarah Schmidt, Moritz Dürr, Franziskus Claus, Christine Hoppe, Thomas Eisen, Marlene Reiter © Sebastian Hoppe

Dieser blockartige Auftritt löst sich in lose Rollen auf, Voraussetzung für köstliche Parodien der immer schuldlosen Verantwortungslosigkeitsträger, aber auch des Durchschnittsspießers. "Wir kochen auch nur mit Wasser", sagen sie, und wir dürfen ausdrücklich lachen. "Ohne Komik wäre es ja nicht auszuhalten", ermuntert Kathrin Röggla. Tragikomisch erscheint die "Frau mit Zukunft", einer sehr befristeten Zukunft, die sich um den Klimawandel kümmern wird, "wenn die Kinder groß sind". Der "Mann mit Vergangenheit" bei DAX und Daimler versucht wohl, sich von dieser zu lösen, aber die Zukunft bleibt ihm immer 20 Jahre voraus.

Eine dieser Karikaturen, einen Unternehmensberater, spielte Regisseur Jan Gehler selbst und rettete damit die bereits einmal wegen der Pandemie verschobene Premiere. Viel Gutes hat man von ihm in seiner Zeit als Hausregisseur in Dresden 2013 bis 2016 schon gesehen, nicht aber so hinreißende darstellerische Fähigkeiten.

Selbstdezimierung als Gottes Plan

Völlig klar, was uns Autorin und Regie sagen und wovor sie warnen wollen. Und doch hält Kathrin Röggla in einer Art von weisem Sarkasmus Äquidistanz zu allen, agitiert überhaupt nicht. Auch die modernen Prophetinnen und Propheten des Untergangs müssen Spott einstecken. Da aber geht die Szene schon in die Schlussdepression über. Und die Autorin in Zynismus, wenn Gottes Plan in unserer Dezimierung durch die Klimakatastrophe besteht und wir uns nur noch einigen müssen, auf wen wir zuerst verzichten wollen. Eine Art Neo-Malthusianismus, nur noch übertroffen von der zuvor geäußerten Anregung einer Öko-Diktatur durch ein "Kurzzeitchina".

Das alles hat bei der Autorin und in der Inszenierung eine bestürzende Logik, bedarf überhaupt keiner Umwege, um zu wirken. Wohl mag es gute Schauspieler auszeichnen, wenn sie sich auch in ihnen gar nicht adäquate Typen hineinversetzen können. Diese sieben engagierten Akteure aber erweckten den Eindruck, als sprächen die zugespitzten Warnungen auch ihr persönliches Empfinden aus.

Das Wasser (UA)
von Kathrin Röggla
Regie: Jan Gehler, Bühne: Sabrina Rox, Kostüme: Katja Strohschneider, Musik: Vredeber Albrecht.
Mit: Franziskus Claus, Moritz Dürr, Thomas Eisen, Jan Gehler (in der Premiere), Christine Hoppe, Marlene Reiter, Sarah Schmidt, Philipp Lux.
Premiere am 7. April 20222
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

Kritikenrundschau

"Das Wasser" schwingt die Moralkeule mehr als energisch, aber gleichmäßig; es bietet Satire, die in jede Ritze der Gesellschaft vordringt", findet Josphine Bewerunge in den Dresdner Neuesten Nachrichten (9./10.4. 2022). Allen Darsteller:innen gelinge die Verkörperung eines anspruchsvollen Wechselbades der Gefühle, das durch die existentielle Bedrohung des Klimawandels hervorgerufen werde, schreibt die Kritikerin. "Beeindruckend und bedrückend zugleich" sei das große Finale dieses Abends. "Und wir ahnen, dass wir mitten im Bauch des Wales sitzen bevor die Lichter wieder angehen für einen langen und wohlverdienten Applaus".

In der Sächsischen Zeitung (11.4.2022) beschreibt Sebastian Thiele, wieviel "Herzblut" seiner Meinung nach in dieser Inszenierung steckt: "Hier wollen alle etwas bewegen. Ohne Agitation und Schlaumeierei". Das Ensemble sei "voller Energie" und spielerisch auf absoluter Höhe". Die Groteske bleibe nicht "auf der Kabarettebene" stehen. Und spätestens im letzten Akt ersterbe das Lachen, schreibt der beeindruckte Kritiker.

 

 

Kommentare  
Wasser, Dresden: Wochen geprobt und genannt
Auch wenn Jan Gehler die Premiere gespielt hat - könnten Sie ihn bitte aus der Besetzungsliste nehmen und durch den Schauspieler ersetzen, der 8 Wochen lang dieses Stück geprobt und nun auch jede Vorstellung spielt?

(Anm. Red. Werter Theateralarm, danke für die Nachricht! Philipp Lux ist jetzt im Besetzungskasten ergänzt worden.)
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