Bienchen, summ herum

13. Mai 2022. Jetzt übernehmen die Maschinen. Zum Auftakt des Klagenfurt Festivals inszeniert Bernd Liepold-Mosser Büchners Klassiker in einer Drohnenhalle. Auch ein Roboter mischt sich unter das allzu menschliche Ensemble.

Von Martin Thomas Pesl

"Woyzeck Panopticon" beim Klagenfurt Festival © Stefan Reichmann

13. Mai 2022. Stell dir vor, du bist Schauspieler:in. Dein schlimmster Albtraum war bisher, auf der Bühne Kinder und Tiere beigestellt zu kriegen. Da sie nicht wussten, was sie taten, liebte das Publikum sie automatisch mehr als dich. Und jetzt stell dir vor, es kommt noch schlimmer: Deine Spielpartner:innen sind ein Roboter und eine Handvoll Drohnen! Noch dazu wird Georg Büchners "Woyzeck" gegeben, wo sowieso der Mensch als dysfunktionales Wesen entlarvt und zertreten wird, mit der Ergänzung "Panopticon" im Titel als Verweis auf von Foucault diskutierte Überwachungsmechanismen. Statt im Theater spielst du in einer Drohnenhalle im hypermodernen Lakeside Science & Technology-Park der Alpen-Adria-Universität. Entmenschlichung und Rampenneid 4.0 beim Klagenfurt Festival?

Es ist die zweite Ausgabe des Festivals. Bernd Liepold-Mosser, umtriebiger Kärntner Theaterguru und Philosophieprofessor, rief es ins Leben. Hauptsächlich lädt der Intendant bequem tourbare Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum ein. Nach Kritik aus Kärntens freier Szene ist diese nun ebenfalls vertreten, und natürlich steuert Liepold-Mosser eigene Regiearbeiten bei, dieses Jahr "Woyzeck Panopticon".

Riskantes Spiel

Hierbei steht zunächst nicht die Überwachung der Menschen im Zentrum, sondern ihre Sicherheit. Daher hockt man in der Drohnenhalle, die – logisch eigentlich – eher in die Höhe als in die Weite geht, recht eng aufeinander und starrt auf und durch ein Netz, das ein Ausbüchsen der motorisierten Bienchen ins Publikum verhindert. Mehrmals weist eine Stimme darauf hin, dass die Handys diesmal wirklich ausgeschaltet und außerdem weggepackt gehören, weil reflektierende Flächen die Drohnen ablenken, was den Spieler:innen gefährlich werden könne. Spannend.

Und dann? Der Roboter fährt seelenruhig durch den Raum, neigt keck seinen Greifarm wie ein Schwan den Kopf, tanzt steif mit, wenn es clubbig zugeht, oder übergibt der ihn eindringlich anblickenden Birgit Fuchs als Marie einen kleinen Lederbeutel mit Ohrringen, als er den Tambourmajor "spielt". Die Drohnen schwirren ein paar Mal brummend im Raum herum, ihr signifikantester Moment ist jener, als Woyzeck-Darsteller Andreas Jähnert sie kurz, aber treffend nachäfft.

Woyzeck panopticon 2 ReichmannÜberwachte Menschen in "Woyzeck Panoptikum" von Bernd Liepold-Mosser © Stefan Reichmann

Technisch war das sicher alles höchst kompliziert, inhaltlich trägt der Aufwand zum Konzept "einer Parabel über die Zumutungen an das Menschsein in unserer digitalen Gegenwart" kaum bei, auch weil Liepold-Mosser Büchners Drama (1836/37) vom Soldaten, den sein Umfeld in den Wahnsinn und zum Mord an seiner Freundin treibt, in seiner Zeit lässt und bei der Einordnung insgesamt vage bleibt. Fürs Kostüm steht nicht einmal jemand auf der Stabliste (und das, obwohl nur Christoph Griesser in seiner ersten Szene als Hauptmann keines trägt, er marschiert nackt ein, um sich von Woyzeck die eh schon babyglatte Brust waxen zu lassen).

Dafür bestimmen Video und Ton die Ästhetik: Leon Bernhofer bespielt zwei Projektionsflächen – eine im "Käfig", eine seitlich davor – mit Bewegtbildern, die Zuspitzungen der jeweils schon nicht unbedingt subtilen Szenen zeigen. Hat der Doktor gerade einen humorigen Tag, lacht er (auch Griesser) im Video noch mehr. Oliver Welter, Frontman der Band Naked Lunch und langjähriger Kollaborateur Liepold-Mossers, drückt mit Songs und Sound auf die Tube und übertönt bisweilen sogar den Dialog.

Peinlich plakativ

Sicherlich verstärkt durchs Umfeld – buchstäblich Uni-Gelände – weht einen der Duft einer ambitionierten Studi-Inszenierung an. Der äußert sich einerseits in peinlicher Plakativität, wenn Woyzeck Marie tötet und dahinter fett "Femizid" eingeblendet wird (nicht etwa die Zahl der in Österreich seit Beginn des Jahres ermordeten Frauen oder ein Aufruf "Stoppt Femizide!", das wäre zwar nicht originell, aber engagiert – nein, nur das Wort "Femizid", als verstünde man sonst nicht, was im Stück passiert). Andererseits zieht sich der nerdig-akademische Zugang auch ins Spiel des Ensembles, wo er weitgehend gut funktioniert. Psychologische Bögen sind in Büchners fragmentarischem Drama ohnehin nicht gefragt, warum also nicht vom Kollegen Roboter lernen und den Körper für jede Szene neu "programmieren"?

Über das Panopticon spricht Bernd Liepold-Mosser dieses Jahr mit seinen Studierenden im Philosophie-Seminar. Schade, dass die Auseinandersetzung dem Festivalpublikum vorenthalten bleibt. Dabei prickelte vorher alles so aufregend und klug und neu und theateruntypisch. Wenigstens müssen sich die Schauspieler:innen nicht fürchten, dass ihnen noch wer die Show stiehlt.

 

Woyzeck Panopticon
nach Georg Büchner
Konzept und Regie: Bernd Liepold-Mosser, Musik: Oliver Welter, Video: Leon Bernhofer, Lichtdesign: Martin Berger, Leitung Drohnen: Univ. Prof. Stephan Weiss, AAU-Klagenfurt, Institut für Intelligente Systemtechnologie, Leitung Roboter: Univ. Prof. Michael Hofbaur, ROBOTICS – Institut für Robotik und Mechatronik der JOANNEUM RESEARCH, Drohnentechnik: Ing. Fred Arneitz, Robotertechnik: Bernhard Holzfeind.
Mit: Andreas Jähnert, Birgit Fuchs, Christoph Griesser, dem Roboter "Chimera" und vier Drohnen.
Premiere am 12. Mai 2022
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.klagenfurtfestival.com

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