Melancholie und Jalousie

14. Mai 2022. Es steht nicht gut um diese Hausgemeinschaft. Alle sind sehnsüchtig, niemand packt an. Nur die Rollläden geben noch Schwung. In Theresia Walsers neuer Komödie "Kängurus am Pool", mit der die Bayerischen Theatertage 2022 in Bamberg eröffnet werden.

Von Karolin Berg

"Kängurus am Pool" von Theresia Walser in Bamberg © Martin Kaufhold

14. Mai 2022. Theresia Walsers Stück, das zum Start der 38. Bayerischen Theatertage in Bamberg seine Uraufführung fand, zeigt mit viel Wortwitz und bisweilen bissigen Kommentaren eine vereinzelte Hausgemeinschaft, die bevorzugt in Dunkelheit lebt und die Stille ersehnt, aber aus dem Reden nicht rauskommt.

Die Figuren dieser Nachbarschaft hängen ihren Sehnsüchten aus besserer Vergangenheit und erträumter Zukunft nach, hadern mit der Pflege ihrer Angehörigen und zerplatzten Karrieren. Projektionsfläche dieser Sehnsüchte sind die Kartowskis, vor Kurzem ausgezogen, nachdem sie unverhofft zu Seifen-Millionären aufstiegen. Nun residieren sie in einer Villa in Bad Homburg, samt Pool und Tristan und Isolde, zwei Kängurus.

Mitteilungsdrang im Mietshaus

Mit ihrem Blick auf die Abwesenden, auf Gewinner und Verlierer, auf die Kartowskis und die Toten verharrt diese Schicksalsgemeinschaft wie im Vakuum. Walsers Figuren warten, prokrastinieren und vor allem: Sie reden und verstecken sich dabei. Dieser Mitteilungsdrang wird im Bühnenbild von Trixy Royeck, das mit schmalen Wohnkästen und verschachtelten Stufen an eine Mischung aus Puppen- und Tiny-House erinnert, ausgelebt. Man sieht Leute im Treppenhaus, Wohnzimmer, auf Balkonen oder im Hinterhof.

Das Reden beginnt mit Ada und Säm, einem Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat. Auch farblich: Er gleicht sich der orangefarbenen Tür, der Treppe und dem Boden an; sie wird gestreift und gemustert in Grautönen zu einer Einheit mit dem Sofa. Es ist früher Morgen, eigentlich noch Nacht, da ergehen sie sich in Loriot'scher Manier über das Schlafen und das Sich-wieder-Hinlegen.

Kaengurus 1 Martin KaufholdIm Dunkel der unerfüllten Existenzen: Das Bamberger Ensemble spielt im Bühnenbild von Trixy Royeck © Martin Kaufhold

Nach diesem Auftakt kommt die Inszenierung Sibylle Broll-Papes etwas schwer in Schwung. Das liegt mitunter an der Diskrepanz zwischen der philosophisch-phrasenhaft changierenden Sprache, die Walser ihren Figuren in den Mund legt und die befremdlich künstlich und gestelzt im Ton bleibt. Es fehlt der Mut zu Beiläufigkeit, zu rasanten Repliken; das Timing stockt.

Clara Kroneck als suspendierte Lehrerin Sonja sticht aus diesem eintönigen Gleichklang heraus, weil sie das nervliche Zerriebensein ihrer Figur facettenreich ausspielt und plastisch werden lässt. Zumeist erzählen die Figuren lieber von ihren Konflikten, die sie hinter Rollläden verstecken, als sie auszufechten, das ist in Walsers Text so angelegt. Erst gegen Ende werden in den Monologen von Ada und Elly die emotionalen Ausschläge stärker herausgearbeitet und das Tempo variiert.

Klingt als schnäuze sich das Haus

Walsers Text hat Humor, Sätze blitzen auf wie: "Schlechter Eichendorff ist meist Hesse". Im Gedächtnis bleiben die als Leitmotiv fungierenden Rollläden, die hinuntergeschlonzt, geratscht, gezupft, schnappend, sausend oder schleppend heruntergelassen werden, denn "Rollläden sagen alles über dein Leben". In diesem Sinn kapseln sich die Figuren in ihren engen Räumen ab. Ada, Elly und Tschill entwickeln auf der Bank im Hof eine ausgefeilte Rollladen-Psychologie, denn "es kommt darauf an, wie man die Rollläden runterlässt". Zuweilen höre es sich an, "als schnäuze sich das Haus". 

Kaengurus 3 Martin KaufholdSchweiger in den Redestürmen: Stephan Ullrich als Vater mit seinen Brockhaus-Bänden © Martin Kaufhold

Dem Haus kann man diese Abstoßungsreaktion nicht übelnehmen, schließlich beherbergt es Menschen, die allesamt um sich selbst kreisen, frustriert sind, aber nach Außen stets den scheinheiligen Optimismus versprühen, dass schon alles liefe. Was diese unglücklichen Existenzen zu diesen werden ließ, bleibt im Vagen. Da ist die Rede von Lieferengpässen, doch eigentlich stellt sich der Eindruck ein, dass die nicht nur durch den Rollladen verursachte "Dunkelheit wie im Sarg" eine selbst erzeugte ist.

"Du bist, was du tust"

Ellys Vater spiegelt im Kleinen die Sinnlosigkeit, der die gesamte Hausgemeinschaft nicht zu entrinnen vermag. Der Demenzkranke stapelt ununterbrochen Brockhaus-Bände, bis sie von selbst umfallen oder umgestoßen werden – einfach nur weil alle wissen, dass Ellys Vater wieder von vorn anfangen wird, denn auch er ergeht sich, wie die anderen, in seinem Tun oder vielmehr Nichttun mit stoischer Beharrlichkeit: "Du bist, was du tust." Nur schweigt er, während die anderen unentwegt reden, obwohl sie eigentlich die Stille ersehnen.

 

Kängurus am Pool
von Theresia Walser
Regie: Sibylle Broll-Pape, Bühne und Kostüme: Trixy Royeck, Musik: Ingmar Kurenbach, Dramaturgie: Victoria Weich.
Mit: Marie-Paulina Schendel, Philine Bührer, Antonia Bockelmann, Katharina Brenner, Clara Kroneck, Ansgar Sauren, Florian Walter, Stefan Herrmann, Stephan Ullrich.
Premiere am 13. Mai 2022
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

theater.bamberg.de

 

Kritikenrundschau

Theresia Walser finde die Komik in der Verlorenheit und die Verlorenheit in der Komik. "Dabei bildet sie die Ereignislosigkeit ab und den verzweifelten Wunsch, sich aus diesem Zustand zu befreien. Über all dem liegt das Sterben", schreibt Yvonne Poppek von der Süddeutschen Zeitung (15.5.20220). Man könne nun nach zwei Jahren Pandemie auch einmal lachen "über diese verzweifelten Versuche, nicht durchzudrehen". Und weiter: "Broll-Pape und ihr wunderbares Ensemble haben für dieses Stück einen guten, sanften Ton gefunden."

Das Bamberger Theater habe den "rasenden Stillstand", "den Aufschub in Permanenz" bespielt, so Christoph Hägele vom Fränkischen Tag (16.5.2022). "Aber die Schauspieler bespielten diese Leere derart erhellende Weise, dass am Ende das Publikum laut und anhaltend klatschte. Ein Theatersaal war Zeuge davon geworden, was die Kunstform des Theaters zu leisten vermag." Politisch informiertes Gegenwartstheater sei von zwei Fallen umstellt. "Es droht erstens anzumuten wie eine Dramatisierung von Leitartikeln. Es droht zweitens belehrend zu sein. Beide Fallen umschifft Theresia Walser mit glänzenden Dialogen und beneidenswert kreativen Wortschöpfungen."

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