Drei Fragen und der Elefant im Raum

23. Mai 2022. Mit ihrer "Tartuffe"-Neuschreibung stoßen sich Volker Lösch und Soeren Voima bei Molière ab und landen mitten in den sozialen Verwerfungen der spätkapitalistischen Wachstumswirtschaft. Was ist dran an ihrer Politrevue? Wir haben Danijel Višević, Gründer des World Fund, eines Wagniskapitalfonds, der in Climate Tech Startups investiert, in die Theatertreffen-Aufführung geschickt.

Von Danijel Višević

 

"Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie" aus Dresden in der Regie von Volker Lösch beim Berliner Theatertreffen © Sebastian Hoppe

23. Mai 2022. Ich habe selten, nein, noch nie ein solch politisiertes Stück gesehen. Spätestens am Ende wurde mir das klar, als ein Teil des Publikums zustimmend johlte und ein anderer aus Protest das Theater verließ. Es war der Moment, in dem die Schauspieler:innen explizit ihre antikapitalistischen Positionen artikulierten. Oder waren es die Positionen des Regisseurs Volker Lösch? An einer Stelle wurde es ungewollt komisch, als eine Schauspielerin kurz ihren Text vergaß und bat, dass er ihr vorgesagt werde.

Drei Fragen sind es, die mich beschäftigt haben, nachdem ich "Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie" gesehen habe: 1. Wie sehr darf ein Stück politisieren und dabei selbst klar Position beziehen und letztlich polarisieren? 2. Ist "Kapitalismus" wirklich so grausam? 3. Warum spielt mit der Klimakrise DAS Thema unserer Zeit in der Aufführung gar keine Rolle, welches maßgeblich zu dem zentralen Problemgegenstand des Stückes beiträgt: der wachsenden Ungleichheit in unseren Gesellschaften?

Darf Kunst polarisieren?

Zur ersten Frage: Ja, ein Stück darf politisieren, das gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Kunst. Auch klar Position zu beziehen, ist angebracht, solange die eigenen Motive erkennbar und möglichst evidenzbasiert verargumentiert werden. Aber darf Kunst polarisieren? Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass Theater und Kunst am Ende Menschen zusammenführen und zusammenbringen sollten. Ob das Volker Lösch mit diesem Stück gelungen ist, glaube ich eher nicht. Immerhin versucht Lösch evidenzbasiert zu polarisieren. Gerade am Ende, als er die Schauspieler:innen die wesentlichen Erkenntnisse aus Thomas Pikettys Buch “Das Kapital im 21. Jahrhundert” vortragen lässt, wird deutlich, dass seit den 80er Jahren in den meisten Gesellschaften immer mehr Kapital bei immer weniger Superreichen akkumuliert wird.

tartuffekapitalideologie 0015 presse fotosebastianhoppeAntikapitalistische Spiele: kredenzt vom Ensemble des Staatsschauspiels Dresden © Sebastian Hoppe

Damit sind wir bei der zweiten Frage: Ist Kapitalismus wirklich so grausam? Vorneweg: Es ist nicht gut, wenn sich immer mehr Kapital bei immer weniger Superreichen akkumuliert. Dem stimmen vermutlich fast alle zu, auch viele Superreiche selbst. Und grundsätzlich stimme ich auch zu, dass das Wirtschaftssystem, so wie wir es seit den 80er Jahren umgesetzt haben, zu grausamen Ergebnissen geführt hat. Das Grausamste ist die sich immer weiter verschärfende Klimakrise. Dazu gleich mehr. Aber auch abgesehen von der Klimakrise hat unser Wirtschaftssystem im Ergebnis zu weniger Miteinander und Solidarität geführt, zu einer deutlich vergrößerten Kluft zwischen den sozialen Klassen, und zu vielen weiteren sozialen Spannungen und Spaltungen in unseren Gesellschaften. Von vielen Superreichen, die ich kenne, weiß ich, dass sie durch ihren Superreichtum nicht superglücklich geworden sind. Ich kenne aber auch sehr viele Selbständige, deren Existenzängste sich verschärft haben. Sie sind unglücklicher geworden – und das ist sicherlich eine der Grausamkeiten des Wirtschaftssystems, wie wir es seit den 80er Jahren umsetzen.

Kapital kann Gutes bewirken

Kurzer Einschub: Warum ich den Begriff Kapitalismus vermeide: Er ist mir zu platt und zu behaftet. Kapital und Geld sind an und für sich neutral. Was wir damit tun, macht es gut oder schlecht. Ein Kapitalismus könnte daher auch verdammt gut sein. Ich selbst versuche mit World Fund, dem VC Fonds, den ich mitgegründet habe, so viel Wagniskapital wie nur irgendmöglich in Climate Tech Startups zu lenken, weil wir ein Wunder brauchen, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern. Sicherlich werden uns Technologien und viel Kapital allein nicht helfen, dieses Wunder zu vollbringen, aber sie werden einen maßgeblichen Beitrag leisten.

Womit wir bei der dritten Frage sind: Warum spielt mit der Klimakrise DAS Thema unserer Zeit in der Aufführung gar keine Rolle, welches maßgeblich mit zu dem Problem beiträgt, das in dem Stück zuvorderst behandelt wird: die wachsende Ungleichheit in unseren Gesellschaften? Das ist mir unbegreiflich, zumal das Stück vom Autorenkollektiv Soeren Voima stammt und Soeren Voima (alias Christian Tschirner) selbst bereits zur Klimakrise geschrieben hat (auch hier auf nachtkritik.de). Das Wirtschaftssystem, welches in dem Stück so angeprangert wird, hat die Klimakrise verursacht und sie wird zu weit größerer gesellschaftlicher Spaltung führen. Für mich war das der Elefant im Raum.

Wir werden die Probleme der wachsenden Ungleichheit nicht lösen können, wenn wir die Bewältigung der Klimakrise nicht mitdenken. In dieser Aufgabe sind wir Ende doch alle eins, und ein Stück wie "Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie", das die Spaltung der Gesellschaft anprangert, sollte selbst zu mehr Miteinander und weniger Spaltung führen.

 

Danijel VisevicDanijel Višević ist Gründer des World Fund, des größten Climate Tech Wagnisfonds in Europa. Zuvor war er Kommunikationsdirektor bei Project A Ventures und mitverantwortlich für die audiovisuelle Kommunikation der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Laufe der Jahre hat er sich zu einem der weitreichendsten Vordenker im Bereich Climate Tech und Venture Capital entwickelt. World Fund investiert vor allem in europäische Start-ups, die mindestens 100 Mio. t CO2e-Emissionen pro Jahr einsparen können. Als Journalist arbeitete er u.a. für die Deutsche Welle und Krautreporter.

 

In der Reihe Das Theatertreffen 2022 von außen betrachtet hat nachtkritik.de theaterferne Expert:innen gebeten, die Berliner Festivalgastspiele zu begutachten. Aus frei gewähltem Blickwinkel, ohne formale oder inhaltliche Vorgaben. Zu fast allen Einladungen finden sich auch Nachtkritiken, die bereits zur Premiere der Produktionen entstanden.


Hier geht's zur Nachtkritik der Premiere vom Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie am Staatsschauspiel Dresden.

Zur Festivalübersicht des Berliner Theatertreffens 2022 geht es hier entlang.

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