Ein Beben

14. August 2022. Flashdance und Cindy Lauper, Kohl und Thatcher, "A-Team" und "Dallas", Prince und Queen, Ost und West: Bei der diesjährigen Ausgabe des "Volkstheatersommers" in Rostock wirft sich ein gut eingegroovtes Ensemble auf Musik, Mode und Machenschaften der 1980er-Jahre. Und die große Welle schafft es locker bis ins Publikum.

Von Frank Schlößer

"Heat Wave" von Stephan Brauer am Volkstheater Rostock: Veronika Hörmann, Bastian Inglin und Band © Dorit Gätjen

14. August 2022. Alljährlich zieht das Volkstheater Rostock für den "Volkstheatersommer" in die "Halle 207" um – näher am Wasser, mit industriellem Charme und sehr guter Akustik. Diese 1911 errichtete Halle einer Schiffsschlosserei auf dem ehemaligen Gelände der "Neptunwerft" befindet sich heute im Besitz des "Fördervereins Tradition Ostseeschiffahrt e.V." und das Vertragswerk ist eine interessante Konstruktion: Das Volkstheater – also die Stadt – bezahlt Geld an einen Verein, in dem ein ehemaliger Bürgermeister Vorsitzender ist. Wobei die interessantere Summe nicht die Hallenmiete sein soll, sondern die Miete für die bereitgestellte Ausstattung – samt der eingebauten Zuschauertribüne mit den Stühlen. 

An der Pommesbude in der geteilten Stadt

Zweifellos macht Theater den Zuschauern dort mehr Spaß als im Großen Haus, der Hauptgig der "Sommer" wird regelmäßig so groß beworben, dass man damit sogar ein paar Ostseetouristen erreicht – und nach den Musicals "Blues Brothers" (2020) und "Disko Fieber" (2021) ist auch eine eingespielte Truppe beisammen, die sich jetzt auf die achtziger Jahre wirft: Reagan, Kohl und Thatcher, Breshnew, Honecker und Gorbatschow, Pershing und SS20, "A-Team", "Magnum" und "Dallas", Space-Shuttle, C64, Compact Disk, Walkman und die Normalität einer geteilten Stadt im kalten Krieg. All das bildet den Hintergrund für die Geschichte der Clique um Tina, die sich an der Pommesbude von Gitti trifft. Gitti hat kurz vor dem Mauerbau in den Westen rübergemacht und trauert seitdem um den Prenzlauer Berg. Tina will die langweilige Mode dieser spießigen Stillstands- und Wohlstandszeit aufmischen. Aber um ihre Entwürfe auch nähen zu können, dafür fehlt es an Stoff.

heat wave2 dorit gaetjen uMit Gittis Pommes im Bauch die Wohlstandszeit aufmischen: Veronika Hörmann und Ensemble © Dorit Gätjen

GI Nick hat die Lösung: Wenn man aus Schwertern Pflugscharen machen sollte, warum sollte man dann nicht aus Klamotten aus Fallschirmen nähen? Die lagern im Depot der US-Army, man muss sie da nur irgendwie rausholen. Als dann noch bekannt wird, dass sich die Modekolumnistin Sybille von Heimwerth in Westberlin aufhält, ist die Geschichte so gut wie fertig gestrickt – das Finale des Musicals ist eine grandiose Modenschau. Nebenbei hat Tina erfahren, dass ihre richtigen Eltern auf der anderen Seite der Mauer leben und sie kurz vor dem Mauerbau ihrer Tante mitgegeben wurde. Kein Wunder, dass sie sich hier so unverstanden fühlt: 1984 scheint Ostberlin der interessantere Teil dieser Stadt zu sein. Jan hat entdeckt, dass er schwul ist und Mücke hat sich vom Biertrinker zum Manager verwandelt. Der rote Faden des Abends ist die Suche nach einem Wort, das das fade gewordene "dufte" ablösen soll – es ist ein neues Jahrzehnt und es muss doch ein neues Wort her für etwas, das "toll", "urst" oder "hervorragend" ist.

Die stabile Präsenz einer Ära

Auf diese Handlung sind – so scheint es – sämtliche Hits der 1980er Jahre aufgefädelt. Wenn man die einigermaßen heile rüberbringt, dann sind die standing ovations garantiert – zumal etliche Radiostationen dafür sorgen, dass dieses traditionelle Liedgut auch nach 30 Jahren nicht in Vergessenheit gerät: Flashdance und Cindy Lauper, Soft Cell und Depeche Mode, Prince und Queen, Survivor und Eurythmics, Madonna und Queen – die haben bis heute alle eine merkwürdig stabile Präsenz. Man kann sich diesen Erinnerungen nicht entziehen und sie sind selbst in ihren heute peinlich anmutenden Frisuren durchweg positiv besetzt.

Das "Hüben" und "Drüben" spielt dabei kaum eine Rolle – einerseits erschienen etliche Alben auch in Lizenz beim Ost-Label "Amiga" und wurden natürlich auch im DDR-Jugendradio DT64 gespielt, andererseits hatten die Ossis in den Achtzigern schon lange keine Probleme mehr, sich ausführlich über die Charts zu informieren. Die 60-40-Regel über den Mindestanteil der Ostmugge in den Diskotheken existierte eh nur noch auf dem Papier. Auch bei der Auswahl der zwei Ost-Hits umschifften die Musicalmacher die Klischees. Mont Klamott von Silly kann gut als Song für ganz Berlin gelten und die Ballade Wie ein Fischlein unterm Eis von Karussell ist auch noch nicht abgenudelt. (Nebenbei: Hier wurden Lieder von zwei Textern ausgewählt, deren Einfluss gar nicht unterschätzt werden kann. Werner Karma und Kurt Demmler sorgten maßgeblich dafür, dass die DDR-Rockmusik immer auch eine Ebene der politischen Auseinandersetzung war.)  

heat wave3 dorit gaetjen uEinstige Frisuren, zeitlose Songs: Bastian Inglin, Özgür Platte, Veronika Hörmann und Ensemble © Dorit Gätjen

An diesem Abend ging nichts schief – die "Heat Wave" schwappte von der Bühne ins Publikum und von dort zurück auf die Bühne. Die achtköpfige Band um den Musiker John R. Carlson lieferte auf ihrer Bühne im "zweiten Stock" eine vielseitige Performance vor einem stilisierten Brandenburger Tor – bis hin zu den bekannten Gitarrenriffs. Andrea Eisensee zitierte natürlich die Klischees der Aerobic-Mode und der glänzenden Herrenanzüge, aber sie beließ es nicht dabei: Mit Stonewash-Jeans, "Turnschuhen" und Long Blazern verwies sie auch auf die Alltagsmode dieser Ära. Die Bühne von Olaf Grambow wechselte im fliegenden Umbau von der "Mauer" zur Showtreppe, von der Pommesbude zur Projektionsfläche für Videoeinspieler – eine Kunst, auf der recht engen Bühne der Halle 207 nicht nur die passenden Bilder, sondern auch viel Platz zum Tanzen bereitzustellen und dabei noch das hohe Tempo der Inszenierung mitzutragen. Natürlich wurde an Lichttechnik alles aufgefahren, was ein Stadttheater bieten kann: von der Diskokugel über den Showlaser bis zum "Moving-Head-Spot".

Ein Rundumpaket

Das alles spielte dem Ensemble zu und das Ensemble spielte zurück. 17 Leute auf der Bühne im "ersten Stock", von "eingekauften" Musicalprofis in den Hauptrollen bis zu bemerkenswert singenden Schauspielern aus dem Ensemble und den Tänzern der hauseigenen Compagnie – das alles mischte sich zu einem Beben, das vom Premierenpublikum gern noch einige Punkte auf der Richterskala hochgeschaukelt wurde: Etliche Lieder wurden mitgesungen, die Gesangsnummern wurden mit Szenenapplaus bedacht. Und natürlich beherrschte die Band den Trick, das Publikum zu rhythmischen Klatschen zu animieren: Kurz die Musik aussetzen bis der Applaus einsetzt und dann wieder in die Musik einsteigen. Ein Rundumpaket der guten Laune. Passend zum Sommer, passend zur Ostsee, passend zur Hanse Sail. Gerade als das Publikum vergessen hatte, dass man eigentlich auf der Suche nach dem Wort der Achtziger war, wurde es nachgeliefert: Natürlich, dieser Abend war erregend, klasse, spitze.

Geil.  

 

Heat Wave
Musical mit den Hits der frühen 80er
Regie und Idee: Stephan Brauer, Text und Buch: Henrik Kuhlmann, Musik: John R. Carlson, Choreografie: Sven Niemeyer, Bühne: Olaf Grambow, Kostüme: Andrea Eisensee.
Mit: Veronika Hörmann, Özgür Platte, Bastian Inglin, Petra Gorr, Ulf Perthel, Katrin Heller, Steffen Schreier, Kevin Lavenia, Katharina Paul, Pauline Gade, Guido Rieckhof, Lena Hespe, Tanz: Alan González Bravo, Tim Grambow, Miriam Kaya, Katharina Platz, Flurin Stocker, Band: Hagen Schulz, Hannes Richter, Hans Sagert, Andreas Böhm, Tobias Suffa, Matthias Strauch, Gregory Nemirovsky.
Premiere am 13. August 2022
Dauer: 2,5 Stunden, eine Pause

hwww.volkstheater-rostock.de

 

Kommentare  
Heat Wave, Rostock: Tut gut
Vielen Dank für die Kritik, die uns Anregung war, nach Rostock zu fahren!
Der Abend hat grossen Spaß gemacht. Publikumsschwund ist hier kein Thema. Tut gut, sich dran zu erinnern, was Theater auch sein kann!
Kleiner Wermutstropfen: Bei all den super Profis auf der Bühne hätte man doch auch einen Profi Autor für den Text beauftragen können...
Heat Wave, Rostock: Wie im Kessel Buntes
Das kollektive Ausrasten, auf der Zuschauerseite, zeigt doch, dass hier alles richtig gemacht wurde. Die Geschichte als roter Faden, hält die Zuschauer dicht an dem worum es geht: der Musik, dem Tanz und ja auch um ein wenig Text. Dieses Musical wollte auch keinen Autorenpreis gewinnen. Es wollte Spaß machen und genau das macht " Heat Wave" auch.Ständig ausverkauft, Mitsingen und Klatschen wie im Kessel Buntes. Manchmal sagen die Reaktionen der Zuschauer auch mehr, als jede noch so gute Kritik.
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