Blasiert, arrogant, wunderbar!

25. August 2022. Hollywood-Regisseur Gus Van Sant gastiert beim Internationalen Sommerfestival Hamburg mit einem Musical über Andy Warhol. Das ist kein gutes Theater, aber natürlich total cool. 

Von Falk Schreiber

"Trouble" von Gus Van Sant auf Kampnagel © Bruno Simֶo

25. August 2022. Das wahrscheinlich bekannteste Bonmot Andy Warhols lautet, dass in Zukunft jeder für 15 Minuten berühmt sein werde. Allgemein wird das als Ausdruck für die Celebrity-Begeisterung des Pop-Art-Künstlers gelesen, was allerdings unterschlägt, dass man für diese kurze Berühmtheit durchaus liefern muss. Man muss sexy sein, man muss jung sein, man muss Leistung bringen. Und das Ensemble in Gus Van Sants Warhol-Theaterbiografie "Trouble", ursprünglich entstanden für die Lissaboner BoCA Biennial of Contemporary Arts und jetzt beim Internationalen Sommerfestival im Hamburger Produktionshaus Kampnagel als Deutschlandpremiere zu sehen, es liefert.

Image schlägt Ästhetik

Gus Van Sant ist kein Theatermacher, er ist Filmregisseur, der wohl wichtigste Vertreter des New Queer Cinema. Was ihn an Warhol interessiert, ist ziemlich schnell klar: Warhol war queer, Warhol war Pop, Warhol war einer jener verstörten, orientierungslosen und überaus attraktiven Jugendlichen, die auch Filme wie "My Private Idaho" (1991), "Elephant" (2003) und "Milk" (2008) bevölkern. Was Van Sant am Theater interessiert, ist dabei weniger eindeutig – "Trouble" wirkt im extrem heutigen, von Florentina Holzingers A Divine Comedy bis zu Marrugekus Jurrungu Ngan-Ga voll auf Diskurshöhe segelnden Programm des Internationalen Sommerfestivals zunächst wie ein Fremdkörper, wie Theater von jemandem, der schon ziemlich lange kein zeitgenössisches Theater mehr gesehen hat. Sehr konventionell werden hier Lebensstationen Warhols (Diogo Fernandes) chronologisch nachgestellt: der schüchterne Werbegrafiker, der in der Kunstszene Manhattans belächelt wird, der Fan, der sich an Truman Capote und Jasper Johns ranschmeißt, die Kunstfigur, bei der Image wichtiger ist als Ästhetik, schließlich der Erfolgskünstler, der jeglichen Anspruch an den Kommerz verkauft hat. Kann man machen, ist dann nur von gestern. Doch dieser Vorwurf führt am eigentümlichen Charme der Inszenierung vorbei.

Weil Van Sant nämlich auf der Inhaltsebene gar nicht spannend sein will, formal aber Warhol überaus ernst nimmt. Einerseits sieht man dieses Interesse an dem portugiesischen, extra für die Festivalaufführungen in Lissabon gecasteten Ensemble: Sehr junge Schauspieler*innen sind das, zwischen 17 und 27 Jahren alt, womit das Stück schon einmal selbst zu Pop-Art-Theater im Warholschen Sinne wird. Nicht von ungefähr ist im Abendzettel ein Interview aus der "Libération" mit dem Regisseur abgedruckt, in dem dieser daran erinnert, wie Warhol davon ausging, dass "in der Zukunft nur junge Menschen eine Rolle im Film, in den Medien oder im Radio spielen würden". Also spielen hier nur junge Menschen und fühlen sich ein in diese (von Bühnenbildner José Capela und Kostümbildnerin Joyce Doret stilsicher ausgestattete) Fünfzigerjahre-Welt, in den Kritiker Clement Greenberg, die Schauspielerin Edie Sedgwick, den Manager Frederick Hughes. Blasiert, arrogant, flamboyant: wunderbar.

Trouble3 Bruno Simo uEin Start, wo er hingehört: im Scheinwerferlicht © Bruno Simֶo

Aber der Abend ist nicht nur ein Ausstattungsstück, das sich an seiner eigenen Coolness berauscht, er ist auch ein formales Experiment. Weil Van Sant ihn als campy Musical erzählt: Immer wieder verlassen die Darsteller*innen ihre Figuren und treiben die Handlung mit Gesangsnummern voran, mit pathetischem Rock, klimpernden Novelty-Songs, zwischendurch mit satirischen Spitzen. Weswegen man denn nach Los Angeles, von New York aus also in die Provinz gehen solle, fragt ein gelangweilter Warhol da, und einschmeichelnd wird ihm die Antwort ins Ohr gezwitschert: Weil es in Kalifornien "Movie stars, new homes, wallspace" gebe, alles Gelegenheiten, Kunst zu Geld zu machen. Plötzlich ist die Provinz gar nicht mehr so schlecht.

Das ist nicht nur unterhaltsam, "Trouble" wappnet sich so auch gegen Kritik. Natürlich ist diese Innovationsverweigerung, dieses grobe Chargieren kein gutes Theater, so wie die beschriebene Kunst nach traditionellen Maßstäben nicht wirklich gute Kunst war – aber es ist egal, weil in diesem Verständnis die Kriterien für gutes Theater verrutschen. "Was an Kritiken wichtig ist, ist ihre Länge", wird Warhol an einer Stelle im Stück zitiert, und nach so einem Satz lässt sich eigentlich nicht mehr kritisch über den Abend sprechen. Anders ausgedrückt: Natürlich ist es schwer auszuhalten, wenn die Valerie-Solanas-Darstellerin lächerlich kichernd mit einer Pistole über die Bühne tänzelt (Solanas verübte 1968 ein erfolgloses Attentat auf Warhol), aber, hey, das hier ist Pop Art, Theaterkritik hat hier nichts zu wollen!

Ein scheiternder Clown

Van Sant mag die Pop-Art-Welt, die er hier entwirft, Warhol mag er (wahrscheinlich) nicht. "Everybody can do everything!", wird dem Kunst-Establishment einmal entgegengeschleudert, das klingt nach subversivem Punk-Ethos, ist hier aber eher ein schnödes Geringschätzen handwerklicher Fertigkeiten: der Moment, in dem Punk in schalen Zynismus umschlägt. Am Ende porträtiert der Künstler den europäischen Adel für astronomische Summen, ein Clown, dessen Scheitern ebenfalls eine campy Melodramatik innewohnt.

Und weil Warhol dieses Scheitern wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hat, Van Sants Inszenierung sie aber dennoch zeigt, ist man spätestens jetzt versöhnt, mit diesem unzeitgemäßen, glatten, nur über seine Queerness erschließbaren Abend. Weil er in seiner Künstlichkeit auf eine ganz eigentümliche Weise echt ist.

Trouble
von Gus Van Sant
Text, Musik, Regie: Gus Van Sant, Künstlerische Mitarbeit: John Romão, Musikalische Leitung: Paulo Furtado / The Legendary Tigerman, Bühne: José Capela (assistiert von António Pedro Faria mit Bildern von José Carlo), Portraits: Bruno Simão, Kostüm: Joyce Doret (assistiert von Luana Portella), Licht: Rui Monteiro, Sound Design: João Neves, Sound-Technik: Rui Antunes, Mitarbeit Choreografie: Sónia Baptista, Sprachcoach: João Henriques And Pessoa Junior, Regieassistenz: Teresa Coutinho, Stage Manager: Inês Carvalho e Lemos, Technische Leitung: Joaquim Madaíl, Ausführende Produktion: Filipe Metelo, Produktionsleitung: Marta Cavaco, Produktion: BoCA Biennial of Contemporary Arts, Koproduktion: Internationales Sommerfestival Kampnagel, National Theatre D. Maria II, deSingel, Festival Romaeuropa, Onassis Foundation, La Comédie de Reims, Théâtre de la Cité – CDN Toulouse Occitanie, Teatro Calderón.
Mit: Carolina Amaral, Diogo Fernandes, Francisco Monteiro, Helena Caldeira, João Gouveia, Lucas Dutra, Martim Martins, Miguel Amorim, Valdemar Brito.
Deutschlandpremiere am 24. August 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

https://kampnagel.de

Kritikenrundschau

Dass Gus van Sant in seinen Anfängen auch Videoclips umsetzte, merke man der Bühnen-Ästhetik seiner ersten Theater-Inszenierung an, schreibt Katja Schwemmers in der Hamburger Mopo (25.8.2022) und lobt: "Kitsch sucht man vergeblich." Und "die blutjungen Darsteller" brächten "mit ihrem bunten Treiben die Faszination der Szene gut rüber".

"Was die Filme von Gus Van Sant so einzigartig macht - ihre lakonische Wildheit, die feine Erotik, Menschen hautnah zwischen Angst und Euphorie -, das kommt hier einfach nicht rüber", findet hingegen Peter Helling auf NDR Kultur (25.8.2022). "Schlimmer noch: Auf der schillernden Musical-Oberfläche rutscht der Abend aus." Streckenweise erinnere der Abend an eine gut gemachte Schulaufführung. "Im Einerlei der geträllerten Leidenschaft bleibt der Abend insgesamt leider: verschüttete Tomatensuppe."

Von einem "Kunst-für-Kinder-Musical", das genau das, was es in seinem Titel behaupte – nämlich "Trouble“"– "als Stoff komplett vermissen" lasse, berichtet Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (28.8.22). Andy Warhol werde darin "so rundum nett und zuversichtlich" dargestellt, "als sei er der Erzengel Popart gewesen, und nicht ein Mensch mit zahllosen Komplexen und Neurosen". Das Fazit des Kritikers: "Es ist wie in einer Schulaufführung vor Eltern oder beim Seminar-Projekt einer Schauspielschule: Für eine Eleven-Schau ist dieser 90-minütige Abend eine große Leistung, als seriöses Projekt eines weltberühmten Regisseurs aber zeigt die Show vor allem eine Menge Bad Acting und geschönte Geschichte."

 

 

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