Gendertrouble mit Beipackzettel

19. November 2022. Shakespeare ist aufgrund von Komödien wie "As You Like It" so etwas wie der Godfather des Gendertrouble. Wie man sein 1623 veröffentlichtes Verwechslungsspiel heute queer liest, zeigt Bastian Kraft – als Regisseur und, wegen Erkrankung eines Kollegen kurzfristig einspringend, als Schauspieler.

Von Gabi Hift

"As You Fucking Like It" von Bastian Kraft am Deutschen Theater Berlin © Arno Declair

19. November 2022. Da steht ein wunderschöner, fast zwei Meter großer Kerl auf der Bühne, mit platinblonder Perücke, großen Augen und noch größerem Mund, in einem hinreißenden rosa Ballkleid. Scheu, aber entschlossen geht er zum Mikrofon – und beginnt zu singen: "Blue, the dawn is growing blue…", Solo Sunny, einen der sehnsüchtigsten Songs aller Zeiten. Durch eine Ansage vor dem Vorhang wissen wir, wer das ist: Bastian Kraft, der Regisseur, der mit nur zwei Tagen Probenzeit für den erkrankten Helmut Mooshammer übernimmt, um die Premiere zu retten, und er schlägt sich fabelhaft. Alle Herzen fliegen ihm zu. Für diesen Mut muss man ihn bewundern. Schwer, ihn danach noch für irgendwas zu kritisieren, jedenfalls nicht für seine bravouröse Leistung als Schauspieler. Mit seinem Konzept und dem dubiosen Unternehmen, den "Klassiker zu befragen" und ihn "einer queeren Lesart zu unterziehen" ist es aber eine andere Sache.

Eigentlich müssten die Komödien von Shakespeare, dem Meister des Gendertrouble, viel öfter gespielt werden, weil sie perfekt zum heutigen Diskurs passen: immer wieder verkleiden sich da Frauen als Männer, um gefahrlos in die Welt hinaus ziehen zu können, und dann schlägt die Liebe quer über alle Geschlechtergrenzen hin zu.

Festspiele der Maskenbildner:innen

In "As you like it" ist es Rosalinde, die, vom Hof verbannt, als "Ganymed" verkleidet in den Ardenner Wald flieht. In Bastian Krafts Inszenierung gibt es gleich vier Rosalinden, und die spielen auch alle anderen Rollen. Zunächst liefern sie allerdings einen endlosen Beipackzettel ab, wer sich wann als was verkleidet und mit welchen Wechselwirkungen. Sie klären auf, dass zu Shakespeares Zeiten ja auch noch dazu alle Rollen von Männern oder Knaben gespielt werden mussten, die dann die jungen Mädchen spielten, die sich wiederum als Knaben verkleiden uns so weiter. Das geht so lang, bis der Verwechslungswitz völlig in Grund und Boden erklärt ist, alles in einem aufgekratzt munteren Ton, der mir schon bald auf die Nerven geht. Neben mir sitzen aber zwei Fanboys, die bei jedem "eigentlich bin ich gar nicht dies, sondern das" glücklich kichern. Vergeblich versuche ich, mich von ihrer Stimmung anstecken zu lassen.

Als es dann losgeht, wird das Stück im Schnelldurchlauf durchgezogen, das aber in einem gekonnten Video-und -live-Aufbau der Szenen. Alle Figuren außer Rosalinde/Ganymed erscheinen auf einer Videowand in vorproduzierten Filmen, wobei ihre Texte im Film nicht zu hören sind, sondern lippensynchron von Schauspieler:innen auf der Bühne mitgesprochen und gespielt werden. So erscheinen der in Rosalinde verliebte Orlando, der Schäfer Silvio, die kratzbürstige Phöbe, der ins Exil geflohene Herrscher, der Narr, das sommersprossige Käthchen. Die Maskenbildner:innen haben tolle Arbeit geleistet, die Figuren sehen so unterschiedlich aus, dass man oft nicht auf den ersten Blick erkennt, wer von den Vieren, die live auf der Bühne stehen, das gerade ist. Aber leider spielen sie meist in einem aufgesetzt lustigen Ton, der die Geschlechterklischees übertreibt, und alle, Männlein wie Weiblein, hauptsächlich dümmlich wirken lässt.

Schrecklich grimassierend um Liebe betteln

Die große Ausnahme ist die Figur der zuerst auf alle schimpfenden, dann vor aller Augen durch die Liebe in die Knie gehenden Phöbe. Helmut Mooshammer ist zwar live nicht dabei, aber auf den vorproduzierten Videos ist er als Phöbe zu sehen, die Stimme kommt von Regine Zimmermann. Der Schäferin Phöbe hat die Liebe zum unerreichbaren jungen und adeligen Ganymed den Boden unter den Füßen weggezogen, und sie richtet wahre Verheerungen in ihrem Gesicht an. Phöbe versucht vergeblich, ihre Würde zu bewahren, aber eine dunkle Kraft, der sie ausgeliefert ist, zwingt sie mit einem schrecklichen Grinsen, um Liebe zu betteln. In diesen wenigen Minuten sieht man, um welche Kräfte es hier gehen könnte. (Und dass die Vorstellung mit einem leibhaftig anwesenden Helmut Mooshammer vielleicht weniger oberflächlich wäre).

As you fucking like it 2 ArnoDeclairLiebes-Dialog zwischen Bühne und Video: Caner Sunar und Regine Zimmermann © Arno Declair

In allen anderen Konstellationen fehlt die erotische Anziehung aber völlig. Wo Lisa Hrdinas Orlando erschrecken sollte, dass er sich von Ganymed derart angezogen fühlt, obwohl das doch ein Mann ist, ist es hier, und das soll wohl die queere Lesart sein, überhaupt nicht bedrohlich für ihn und es passiert auch überhaupt nichts zwischen den beiden. Gewöhnlich tun Regisseurinnen alles, damit in dieser Szene die Luft brennt, aber sowas scheint hier unerwünscht. Warum auch – jede:r ist so wie er oder sie möchte und das ist ok.

Nett und harmlos und nicht my cup of coffee

Gegen die vermeintliche Heteronormativität von Shakespeare wird hier gezeigt, dass homosexuelle oder sonst wie queere Sexualität genauso nett und harmlos sein soll wie die heterosexuelle, und dass alle doch nur in Rosa heiraten wollen. In alten Zeiten hätten wir gesagt: umgekehrt wird ein Schuh draus! Die heterosexuelle Sexualität ist genauso gefährlich und systemsprengend wie die homosexuelle, sie ist nur durch die Gesellschaft gegängelt, weil man sie nicht ganz verbieten kann wegen der Fortpflanzung. Deshalb haben Schwulenbewegung und Frauenbewegung damals gemeinsam für sexuelle Befreiung gekämpft, und heiraten wollte da keiner und keine.

Aus solchen Zeiten komme ich und deshalb ist diese Aufführung nichts für mich. Aber das ist wohl tatsächlich ein Generationenproblem, ich bin zu alt für diese allgegenwärtige Nettigkeit. Aber rund um mich waren viele begeisterte Menschen, die Spaß hatten und das ist ja auch gut so. Für mich ist das wie Kinderfasching: gesund, sauber und pädagogisch wertvoll – und einfach nicht my cup of coffee.

 

As You Fucking Like It
nach William Shakespeare. In einer Fassung von Bastian Kraft
Regie Bastian Kraft, Bühne Peter Baur, Kostüme Jelena Miletić, Musik Pollyester, Video Jonas Link, Licht Thomas Langguth, Dramaturgie Franziska Trinkaus.
Mit: Lisa Hrdina, Helmut Mooshammer, Caner Sunar, Regine Zimmermann.
Premiere am 18. November 2022
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, ohne Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Eine "grundsympathischen Vielfalts- und Gute-Laune-Offensive in Rosa" hat Christine Wahl für den Tagesspiegel (20.11.2022) im DT erlebt. Die Shakespeare'schen Verwechslungsspiele seien auf die Spitze getrieben. "Die Botschaft hat man zwar schnell kapiert. Und das Ganze ist, wie bei Shakespeare bekanntlich auch, ein mal intelligenterer, oft aber auch durchaus bekennend platter Spaß – der genau das sein will."

"Ein großer Abend ist Kraft und seinem Team nicht gelungen, eher ein sympathischer Theaterspaß, der vielleicht gar nicht so clever ist, wie er konstruiert zu sein scheint. Aber im Großen und Ganzen: Doch, I kind of fucking like it", bekennt Fabian Wallmaier auf rbb|24 (19.11.2022)

Der spielerische Ansatz "macht wirklich Spaß"; es gäbe "tolle Verwandlungen", für die die Maske "ganze Arbeit" geleistet habe, berichtet Barbara Behrendt für das Inforadio des rbb (19.11.2022). "Es gibt so viele doppelte Böden wie nur möglich"; es sei ein "gut gelaunter, schön gespielter Abend". Aber für ein echtes Shakespeare-Spektakel sei er doch zu "wohlmeinend", "arglos" und "harmlos". Das "Titelversprechen des Rotzigen und Subversiven löst der Abend nicht ein."

"So mancher Kalauer zu viel drückt das Ganze gegen Ende damit zwar auch in sehr flache Gewässer und wirklich substanziell Neues steuert diese Durchkreuzung der ohnehin queeren Vorlage kaum bei", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (online am 20.11.2022). "Aber ein spielerisch heiterer, technisch raffinierter Abend wird daraus, der Spaß macht."

 

 

Kommentare  
As you fucking like it, Berlin: Der Vorlage nah
Überraschend nah bleibt der Abend nach einem gelungenen Intro, das die vierfache Rosalinde einführt, bei der Vorlage. Das Ensemble steigt zwar immer wieder aus den Rollen aus, viele Szenen werden mit vorproduziertem Video-Material ironisch gespiegelt, aber im Kern erleben wir das Liebeswirrwarr, das auf einer zu Shakespeares Zeit sehr angesagten Schäferroman-Schmonzette basiert. Dies führt zu einigen Längen und dramaturgischen Tälern, die Gabi Hift beschrieben hat.

Großen Jubel gab es jedoch für das alternative Ende: statt wohlgefälliger Auflösung in tradierte Heteronormativität bieten Kraft und seine Mitstreiter*innen ein queeres Empowerment. Der von Hollywood weichgespülten Botschaft der mit sieben Oscars überhäuften Historien-Schnulze „Shakespeare in Love“ (1997) werfen sie vor, dass der über #metoo-Skandale gestolperte, damals als Tausendsassa gefeierte Harvey Weinstein und seine Hauptdarstellerin Gwyneth Paltrow die Verhältnisse nur zementierten. Caner Sunar, der schon in Bastian Krafts Drag-Revue „ugly duckling“ ein zentraler Protagonist war, erinnerte sich zu Beginn der Show an seine Kindheit, als Paltrow für ihn eine Ikone war und er mit pinkem Handtuch heimlich vor dem Spiegel ihren Oscar-Auftritt imitierte. Doch heute, knapp 25 Jahre später, macht das DT-Ensemble deutlich: damals wurde vor allem das Bekenntnis zur Heterosexualität prämiert. Dem setzen die vier ein launig vorgetragenes, dennoch kraftvolles Plädoyer für queere Vielfalt entgegen.

Trotz mancher unterhaltsamer Momente bleibt nach knapp 100 Minuten der Eindruck, dass die Berliner „As you fucking like it“-Revue hinter Bastian Krafts letzten Münchner Drag-Inszenierungen zurück bleibt: sie surft nicht so elegant zwischen Vorlage und Meta-Ebenen wie seine „Lulu“ im Marstall und sie ist auch kein so rasantes Gag-Feuerwerk wie seine „Was der Butler sah“-Boulevard-Theater-Hommage/Persiflage, die vom Marstall auf die große Residenztheater-Bühne umziehen durfte.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/11/18/as-you-fucking-like-it-deutsches-theater-berlin-kritik/
Kommentar schreiben