Kommende Stürme

25. November 2022. Die fatalen Folgen des Klimawandels sind längst allgegenwärtig. Trotzdem kommt der Kampf gegen die Erderwärmung auf politischer Ebene nicht voran. In einem ebenso eindringlichen wie asketischen Abend überbringt ein Ensemble um den Dokumentartheatermacher Michael Ruf nun Botschaften aus Epizentren der Krise.

Von Christian Rakow

"Klimamonologe" im Berliner Heimathafen Neukölln © Verena Eidel 

25. November 2022. Man muss sich diesen diskreten, zurückgenommenen, durch und durch stillen Abend regelrecht erlauschen. Wo die Welt ringsum so laut geworden ist. Heute am Premierentag haben die Aktivist:innen von "Letzte Generation" den Berliner Flughafen besetzt. Nachdem sie zuvor schon Autobahnen blockierten oder Kunstschätze besudelten. Die derzeit sichtbarste Klimaprotestgruppe dreht an der Eskalationsschraube. Mit guten Gründen.

Die gerade beendete 27. Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh hat die Weltgesellschaft auf dem zwingend notwendigen Pfad der CO2-Emissionsminderung keinen Schritt vorangebracht. Das Pariser Klimaabkommen raschelt nurmehr als Papier; die 2 Grad-Erderwärmung rücken näher, während fossile Geschäfte mit Gas, Öl und Kohle Konjunktur feiern. Nach ihnen die Sintflut. Der jungen Generation läuft die Zeit davon. Sie ist das Ignorieren, das Ausweichen, das gelenkige Lavieren in Politik und Medien leid. Statt "Klima vor Acht" senden die Öffentlich-Rechtlichen weiter routiniert ihre Börsenberichte. Aber es wird keine florierenden Geschäfte geben auf einem toten Planeten.

Gletscherabbrüche und Fluten

Das ist der Echoraum, in dem sich Michael Ruf mit seinem neuen Projekt "Klima-Monologe" am Heimathafen platziert. Seine Vorgängerarbeiten (unter anderem Die NSU-Monologe, Die Asyl-Monologe, Die Mittelmeer-Monologe) sind weit getourt. Ruf realisiert sie mit einem riesigen Netzwerk an verbündeten Künstler:innen unter dem Label "Wort und Herzschlag". Es ermöglicht, die Stücktexte schnell und kostengünstig bundesweit zu adaptieren, wie Ruf im Intro seines Abends selbst ausführt.

Gedämpfte Kammermusik mit Cello, Violine und Klavier gibt die Moll-Stimmung dieses Klima-Abends vor und grundiert die ganz auf den Textvortrag abgestellte Darbietung. An vier Standmikrophonen sprechen Meri Koivisto, Gülcan Maksude Cerdik, Sara-Hiruth Zoude und Damon Zolfaghar vier ineinander verschränkte Monologe. Es sind Berichte aus Regionen, in denen der Klimawandel bereits unerbittlich zuschlägt: In Amerika ist eine Frau nur knapp den Flächenbränden in Paradise (Kalifornien) entkommen. Einer Viehhirtin aus Kenia sterben in den sich verschärfenden Dürren die Rinder-, Kamel- und Ziegenherden weg. In Bangladesch verwüsten Tropenstürme das Küstenland. Und aus Pakistan schildert ein Aktivist, wie Gletscherabbrüche und Fluten die Heimat zerstören.

Klimamonologe1 Verena Eidel uDringliche Botschaften und ihre Überbringer*innen: Meri Koivisto, Gülcan Maksude Cerdik, Sara-Hiruth Zoude und Damon Zolfaghari © Verena Eidel

Die von den Schauspieler:innen vorgebrachten Erzählungen basieren auf Interviews, die Ruf auf Recherchetouren vor Ort geführt hat und die hier "wortgetreu", wie er selbst sagt, wiedergegeben sind, lediglich verknappt und verdichtet. Es ist eine geradezu mönchische Form des Dokumentartheaters, die Texte bleiben dezidiert prosaisch, nüchtern, sachlich, deskriptiv, ohne zuspitzende poetische oder theoretische Wendungen. Der gestische Aufwand beim Vortrag ist minimal, im Grunde ist's eine konzertierte Lesung, nur dass der Text verinnerlicht ist.

Derart auf die Integrität des unmittelbar Erlebten abzustellen, hat sicherlich etwas für sich. Der Abend holt Menschen, die nicht allzu tief im Diskurs stecken, gut ab und ist im besten Sinne niedrigschwellig. Man darf ja nicht vergessen, dass in reichweitenstarken Fernsehsendungen wie "Maischberger" regelmäßig die Uninformiertheit fröhliche Urständ feiert und eben erst die Welt-Chefreporterin Anna Schneider irrlichterte, man könne sich doch an den Klimawandel anpassen, anstatt "irgendwelchen Zielen" hinterher zu hecheln, die man "offensichtlich nicht einhalten kann". Da sind Michael Rufs Botenberichte allemal dringlich. Sie geben einen bitteren Vorgeschmack darauf, was "Anpassung" in vielen Teilen der Erde noch bedeuten kann, falls das 2 Grad Ziel tatsächlich gerissen wird. "Wie oft kann man Dinge neu aufbauen?", erklingt mahnend die Stimme aus Bangladesch (gesprochen von Gülcan Maksude Cerdik), da Sturm um Sturm die Häuser wegfegt.

Ton der Überzeugung

Einen Tick anspruchsvoller angeschaut, sind andere Klimaarbeiten in ihrer Aufklärungsarbeit aber doch weiter gegangen. Besonders dort, wo auch performativ mit Expertinnen aus den Wissenschaften gearbeitet wurde: zuletzt etwa in Alexander Eisenachs Anthropos, Tyrann (Ödipus) mit Meeresbiologin Antje Boetius, oder in der musikalischen Lecture-Performance "Wir können auch anders" von Nachhaltigkeits-Ökonomin Maja Göpel. In der Anwesenheit solcher Wissensträgerinnen schärft sich das Anliegen nochmal um einiges, kommt ein eigenständigerer Ton in die Sache. Der Ton der Überzeugung. Nicht von ungefähr setzt ein Gutteil des neueren Dokumentartheaters (angeführt von Rimini Protokoll) strategisch auf das Mitwirken von Expert:innen oder auch Aktivist:innen. Bei Volker Lösch im Bonner Recht auf Jugend stand unlängst gleich die "Letzte Generation" höchstselbst auf der Bühne und focht für ihre Anliegen.

Michael Ruf bietet ein vergleichbares Moment von Beglaubigung im Rahmenprogramm der Aufführung. Jede Performance schließt mit einem Fach-Gespräch. Am Premierenabend befragte Ruf die Klimapolitikerin Kira Vinke (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) und den Aktivisten Pit Terjung von Fridays For Future. Und mit Terjung kam noch einmal gut Leben in die Bude: "Fossile Energien sind Krisenenergien! Es wird an den Realitäten vorbei regiert!" Klare Kante und ein Tonartwechsel. So klingen die, die die Klimakatastrophe nicht erdulden wollen, sondern bekämpfen. Der Beat der widerständigen Generation.

Die Klima-Monologe
von Michael Ruf | Wort und Herzschlag
Buch und Regie: Michael Ruf
Mit: Meri Koivisto, Gülcan Maksude Cerdik, Sara-Hiruth Zoude, Damon Zolfaghari. Klavier: Peer Kleinschmidt, Cello: Isabelle Klemt, Violine: Meike-Lou Schneider.
Premiere am 24. November 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause, anschließend Diskussion

www.heimathafen-neukoelln.de
www.wort-und-herzschlag.de


Kritikenrundschau

Die "Klima-Monologe" würden auch als Hörspiel funktionieren, sagt Regine Bruckmann im rbb Kulturradio (25.11.2022). "Aber die Bilder entstehen im Kopf und wirken stärker als jedes Foto." Die Informationen, die das Stück liefere, seien nicht neu. "Aber das Konzept geht auf: Mit Hilfe der Geschichten kommt man den Schicksalen der Menschen ganz nah. Man kann nicht wegschauen. Die Bilder setzen sich in Kopf und Herzen fest und fordern zum Handeln auf."

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