Tauchgang in die Kolonialgeschichte

26. November 2022. Martin Ambara vom kamerunischen Theaterlabor Othni hat ein Kapitel der unheilvollen Kolonialgeschichte Deutschlands in dem westafrikanischen Land aufgearbeitet und wandelt damit auf den Spuren von Heiner Müller.

Von Max Florian Kühlem

"Manoka Express" von Martin Ambara am Theater Krefeld und Mönchengladbach © Matthias Stutte

26. November 2022. Ein Satz wird in der Uraufführung "Manoka Express" von Martin Ambara immer wieder gesagt: "Zu viele Skelette auf dem Grund des Meeres." Und irgendwann fällt auf: Das sind ja gar keine Wellenkämme, über die das Ensemble des Theaters Krefeld und Mönchengladbach stolpert. Es ist wohl eher ein Meer aus schwarzen Leichensäcken, durch das sie sich arbeiten. Ambara, der aus Kamerun stammt und dort das Theaterlabor Othni aufgebaut hat, sieht das Stück als Teil eines Reinigungsprozesses, um den Schock zu verarbeiten, dass er die unheilvolle Geschichte der Insel Manoka vor der Atlantikküste Kameruns noch nicht kannte.

Man kann davon ausgehen, dass auch die allermeisten Besucher:innen des Theaters Krefeld-Mönchengladbach die Geschichte Manokas nicht kennen. Wahrscheinlich wissen sie noch nicht einmal von ihrer Existenz. Vielleicht wissen sie auch nicht, dass Kamerun um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert deutsche Kolonie war. Dass die deutschen Kolonialisten auf der Insel am Vorabend des Ersten Weltkriegs einen Bunker errichteten, der in der Zeit des Unabhängigkeitskrieges und in der Zeit nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960 zum Gefängnis wurde, in dem irgendwann alle (politischen) Gefangenen massakriert wurden. Um keine Zeugen für diese Gräueltaten zu haben, wurden die Einwohner:innen von Manoka umgesiedelt.

Durch ein Dickicht aus Stoff und Geschichte

Wenn man das Studio des Theaters Krefeld und Mönchengladbach, das am Rande NRWs im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt ein erstaunlich ambitioniertes Programm macht, besucht, kann man diese Geschichte vor allem aus dem Interview mit Martin Ambara erfahren, das im Programmheft abgedruckt ist. Darin erzählt er auch, dass er, als er 2010 zum Festival "Theater der Welt" ins Ruhrgebiet kam, einen Regisseur suchte, der sich mit Heiner Müller auskennt. So geriet er an die Gruppe kainkollektiv, arbeitete mit ihnen zu Müllers "Hamletmaschine". Es hilft, dies im Hinterkopf zu behalten, wenn man das Stück rezipiert, denn "Manoka Express" ist ungefähr das Gegenteil eines Schauspiels, das seine Zuschauer:innen an die Hand nimmt und durch ein Dickicht aus Stoff und Geschichte führt. Es schubst sie einfach hinein und lässt sie sich mit einem Kopf voller Fragen selbst durchwühlen.

Manoka Express 3 MatthiasStutte uDie Wasserfrau (Eva Spott) weist dem "Mädchen" (Katharina Kurschat) den Weg © Matthias Stutte

Es hilft, wenn man schonmal vom Schöpfungsmythos der Sawa gehört hat, oder von den Wasserfrauen, denen beim rituellen Fest Ngondo gehuldigt wird. Solch eine Wasserfrau wird in "Manoka Express" von Eva Spott verkörpert, die in einem wallenden türkisfarbenen Tuch steckt und sich dementsprechend verhält. Sie gibt Katharina Kurschat, die als "Das Mädchen / Die Tochter" im Zentrum des Stückes steht, quasi den Auftrag, die gewaltvolle Geschichte der Insel ans Tageslicht zu bringen – und den Mann der Wasserfrau zu finden, die ihre Flossen in Füße verwandeln kann, wenn sie unter Menschen wandeln will.

Irritationen im Groove

Die Inszenierung ist eine ambivalente Angelegenheit. Sie macht einerseits den Eindruck, politisch-rational verborgene Kolonial-Geschichte aufzuarbeiten, und reproduziert andererseits religiöse Mythen. Martin Ambara sagt einerseits, dass er begonnen habe, sich "von den Einflüssen des europäischen Theaters zu lösen. Es widert mich an". Andererseits steht sein Abend doch an vielen Stellen ziemlich eindeutig in der Tradition des europäischen, intellektuellen, postdramatischen oder Regie-Theaters. Er sagt auch, dass er sich beim Stück, das er eigentlich für ein Theater in Kamerun entwickelt hat, gefragt habe: "Wie können Deutsche das spielen?!? Aber es funktioniert ziemlich gut."

Tatsächlich kommt es genau an dieser Stelle zu Irritationen. Die deutschen Schauspieler:innen sprechen oft eine ihnen offenbar fremde Sprache (allein in Kamerun gibt es laut Wikipedia 230 verschiedene; ist es eine davon?) und untermalen oder übertönen ihren assoziativen Text mit rhythmischen Lauten und einer Art Body-Percussion. Einmal müssen sogar alle Trommeln und andere Percussion-Instrumente spielen, aber ein guter Groove will sich nicht so recht einstellen.

Im Meta-Diskurs verfangen

Natürlich sind solche Irritationen, die durch das Aufeinanderprallen von Kulturen entstehen können, interessant und genuin theatral. Trotzdem bleibt das Stück merkwürdig fern und fremd. Und vielleicht will es das ja auch. Ärgerlich ist nur, dass es sich immer wieder auch im Meta-Diskurs verfängt. Dann werden im wilden, assoziativen Ritt Linien durch Schöpfungsmythen der Weltreligionen oder europäische Geschichte gezogen oder mal eben Aristoteles, Schiller, Goethe, Hans-Thies Lehmann und "die bio-rhythmische Scheiße eines Ambara" abgekanzelt, was für ein paar Lacher unter den Auskenner:innen in der letzten Reihe sorgt. An diesen Stellen wirkt "Manoka Express" wie ein elitäres, intellektuelles Spiel für Eingeweihte, und davon gibt es im deutschen Theater ja eigentlich schon genug.

Manoka Express

Uraufführung 
von Martin Ambara

Inszenierung: Martin Ambara, Bühne und Kostüme: Emilie Cognard, Dramaturgie: Martin Vöhringer, Choreographische Arbeit: Alla Bondarevskaya.
Mit: Katharina Kurschat, EvaSpott, Christoph Hohmann, Bruno Winzen, David Kösters, Nicolas Schwarzbürger.

Premiere am 25. November 2022

Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause


www.theater-kr-mg.de

 

Kritikenrundschau

"Die Inszenierung des Stücks mit geschichtlichen und mythologischen Hintergründen ist dicht gelungen, das Ensemblespiel ausdrucksstark. Doch der Zuschauer muss sich einfinden in das Gewebe unterschiedlicher Zeit- und Wirklichkeitsebenen", schreibt Angela Wilms-Adrians von der Rheinischen Post (29.11.2022).

Kommentare  
Manoka Express, Krefeld: Ende der Maschine
Der oben im Text verlinkte Nachtkritik-Artikel zu kainkollektivs und Ambaras "Fin de Mission" aus dem Jahr 2016 (im Übrigen eine Inszenierung, in der die damalige Reise des gesamten Teams nach Manoka in einer großen Videosequenz auf der Bühne sichtbar wurde) könnte für die genannte Hamletmaschine-Referenz noch um diese frühere, sehr schöne Nachtkritik von Sascha Westphal zu "Fin de Machine. Exit Hamlet" aus dem Jahr 2013 ergänzt werden: https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=8721:fin-de-machine-exit-hamlet-eine-deutsch-kamerunische-koproduktion-erobert-innmuelheim-die-leere&catid=262&Itemid=40

(Danke für den Hinweis! Haben wir ergänzt. d. Red.)
Manoka Express, Krefeld: Kulturaustausch?
Ich fände interessant zu erfahren, was der Theatermacher von einer Gastregie in dieser fremden, ihn anwidernden Theaterkultur, erwartet. Ob es ihm jetzt nach der Begegnung besser damit geht, oder ob sich seine Einschätzung verfestigt hat?
Kann Kulturaustausch als Konzept überhaupt funktionieren? Nach dem Scheitern (?) der documenta frage ich mich das verstärkt.
Vielleicht ist das Zitat oben aber auch völlig aus dem Kontext gerissen...
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