Weltuntergang: verspätet

2. Dezember 2022. Die Galagesellschaft liefert sich ideologische Kämpfe am Buffet des Theaters, während draußen der Weltuntergang per Vulkanausbruch und Asteroid ordentlich reinhaut. Volkstheater-Intendant Kay Voges bringt die Theatersatire von Kristof Magnusson zur Uraufführung – eine Typenschau im apokalyptischen Wien.

Von Martin Thomas Pesl

"Apokalypse Miau" in der Regie von Kay Voges am Wiener Volkstheater © Birgit Hupfeld

2. Dezember 2022. Kay Voges hat eine Komödie schreiben lassen. Sein Volkstheater ist zwar hoch angesehen bei Fachleuten. Mit dem tendenziell konservativeren Publikum tat es sich in den ersten zwei Jahren der Direktion jedoch schwer. Und da in Wien die meistgehörte Frage vor Beginn der Vorstellung lautet: "Ist das ein lustiges Stück?", musste eben genau ein solches her.

Der "Destroy" wird verliehen

"Apokalypse Miau" widmet sich satirisch einem (vom Fachpublikum vergebenen) Preis, von dem Voges bei Auftragserteilung nicht wissen konnte, dass ihn sein Haus kurz vor der Premiere vierfach abräumen würde: dem Nestroy. Beim deutschen Autor Kristof Magnusson (Mitarbeit: Gunnar Klack) heißt er Destroy, weiterhin auf dem e betont. So besingt ihn zu Beginn die Moderatorin der Verleihung, die Evi Kehrstephan mit einem Akzent zwischen Linda-de-Mol-Holländisch und Schwyzerbayerisch anlegt.

Backstage spricht sie zum Glück ganz normal, oder na ja: so normal, wie das in dieser Runde bunter Theatervögel überhaupt geht. Alle acht sind sie exaltiert überspitzte Versionen von Exemplaren aus der heutigen (Theater-)Welt. Ihren Titel hat die "Weltuntergangskomödie" nicht, weil die Preisstatuette die Form einer asiatischen Glückskatze trägt, sondern wegen "Cats". In dem Musical sollten ursprünglich "Charaktere aus einem Milieu wie in einer Revue (...) ihre Standpunkte darlegen und dann mit einem großen Knall verschwinden", so Magnusson in der Pressemappe.

APOKLAYPSE MIAU2 Birgit HupfeldThe Party must go on © Birgit Hupfeld

Hier ist das ähnlich. Die Galagesellschaft liefert sich ideologische Kämpfe am Buffet im achten Stock des Theaters, während Vulkanausbrüche, Asteroideneinschläge und ein schwarzes Loch nach und nach den Weltuntergang herbeiführen. Der Blick auf ein von Videokünstler Marvin Kanas gestaltetes virtuelles Wien zeigt die Entwicklung der Katastrophe, nach der Pause geht ein steter Ascheregen auf das Bühnenbild nieder.

Typenschau mit Krypto und Schamanismus

Ein an den Haaren herbeigezogenes Szenario, perfekt zur Typenschau: Die emigrierte Schauspieldiva (Bettina Lieder) ist heute in Hollywood erfolgreich – mit Kryptocoins. Der schamanistisch veranlagte Choreograf (Mario Fuchs) hat mit den absurdesten Konzeptperformances schon die absurdesten Preise gewonnen. Der Komödienschreiber Gustafsson kommt direkt von der Sexparty – um den offensichtlichen Parallelen zu Autor Magnusson etwas entgegenzusetzen, gibt Christoph Schüchner ihm einen oberösterreichischen Dialekt.

Für die Rolle des Ego-Performers Erasmus Selbach-Stein, nominiert für seine Darstellung seiner selbst in seinem eigenen Stück, geht Elias Eilinghoff die Extrameile. Bei jeder Zeile von Erasmus' immer etwas peinlichem Millennial-Text scheint er seinen zuckenden Zwei-Meter-Körper einem Exorzismus zu unterziehen. Wenn schon zu viel, dann richtig aber sowas von zu viel. Und sehr lustig.

Käsebrötchen und Gurken

Schließlich zeigt Magnusson auf, dass es vom alten, weißen Mann mindestens zwei Varianten gibt: Einer vertritt in seiner Dankesrede Sexismus, Rassismus, Homophobie und so weiter aus Überzeugung. Es ist der Schauspieler Konrad, mit fieser Eleganz gespielt von Uwe Rohbeck. Den anderen, den altlinken Regiezampano Wenjamin, gibt ruppig Andreas Beck: Er verachtet Nazi-Konrad, träumt noch immer vom Fick mit der Regieassistentin damals beim "Faust" und meckert über Käsebrötchen mit Gurken.

APOKLAYPSE MIAU3 Birgit HupfeldTypenschau vor apokalyptischem Hintergrund © Birgit Hupfeld

Gendern mögen beide nicht, was ihnen Meta Gleiberg – besagte Assistentin von einst – übelnimmt. Die ist zwar auch nicht mehr jung, aber dafür extra-woke, mahnt vor Klimakrise und Chauvinismus. Doch im Angesicht des Todes befreit sie sich vom Korrektheitszwang, lässt sich "Leser", "Bürger", "Zuschauer" auf der Zunge zergehen. Wie seltsam fremd diese Worte mittlerweile klingen!

Beim Weltuntergang: nach Wien!

Meta wird durch Anke Zillichs Darstellung zum Zentrum der Aufführung, sie ist am wenigsten von allen eine Karikatur. Ansonsten bleiben die Autoren vordergründig unparteiisch gegenüber den Figuren, deren Diskurse sie einfach als Komödienmaterial nutzen. Konrads homophobe Sprüche dürfen sich ebenso selbst disqualifizieren wie Erasmus' Opportunismus. Das macht den Text geschwätzig, aber an sich interessant.

Als Regisseur tut Kay Voges kaum mehr, als der Energie seines Ensembles zu vertrauen und Klamauk-Angebote stets mit Ja zu beantworten. Die Komödie wird in die Breite gespielt, ihr Humor fußt nun einmal mehr auf den einzelnen Typen als in deren temporeichem Zusammenspiel. Schade nur, dass sich so die vorhersehbare Apokalypse unnötig hinauszögert. Aber wie sagte schon Karl Kraus (oder war es Nestroy?): Wenn die Welt untergeht, komm nach Wien, dort passiert alles zwanzig Jahre später.

 

Apokalypse Miau. Eine Weltuntergangskomödie
von Kristof Magnusson, Mitarbeit: Gunnar Klack
Uraufführung
Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüm: Mona Ulrich, Musik: Paul Wallfisch, Video: Marvin Kanas, Licht: Voxi Bärenklau, Ton: Sebastian Hartl, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Andreas Beck, Elias Eilinghoff, Mario Fuchs, Irem Gökçen, Evi Kehrstephan, Bettina Lieder, Uwe Rohbeck, Christoph Schüchner, Magdalena Simmel, Anke Zillich.
Premiere am 1. Dezember 2022
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

"Das Volkstheater öffnet erneut seine Arme weit und hatte so viel junges Publikum bei der Premiere wie woanders selten", bejubelt Margarete Affenzeller vom Standard (3.12.2022) diesen Abend, der "in einem auch klamottigen Trashrahmen mit Teletubbies-Beteiligung die festgefahrenen Diskurse der Gegenwart" abbilde, "ohne dabei selbst Werte zu propagieren". Autor Kristof Magnusson sei "für saftig abschnurrende Zeitgeiststücke bekannt und trifft auch mit dieser für ein breites Publikum bestimmten Komödie ins Schwarze. Sie bietet in ihrer robusten, schematischen Bauweise viel Zünftiges, hält aber in Kay Voges’ ebensolcher Regie knapp drei Stunden durch, ohne allzu platt zu werden."

Mit Karnevalslaune begegnet Norbert Mayer in Der Presse (2.12.2022) dem Abend: Ein "internationales Ensemble" aus Görlitz, Wismar, Stralsund usw. werde aufgeboten und solle "grantigen Wienern zeigen, was das ist: Spassss". "Aber Halt!", so Mayer weiter: "Der Regie ist auch ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen. Ein Oberösterreicher durfte ebenfalls auf die Bühne! Das erzeugt natürlich ein unwokes Grundgefühl brutaler kultureller Aneignung." Magnusson, ein an sich diffiziler Autor, konzentriere sich "vor allem auf Insider-Flachwitze", Kay Voges wiederum habe den Text "zu Tode" inszeniert. "Er ist der Habermas unter den Entertainern: Das Handeln gehört nicht nur kommuniziert, sondern so lange wiederholt und erklärt, bis der letzte Dramaturg des globalen Ostens begriffen hat, wann er gefälligst zu lachen oder ehrfürchtig zu staunen habe." Einige "Tugenden_" macht Mayer aus – manch Witz mit "Sickerwirkung". Das Ensemble mache das Beste aus den Figuren (gelobt wird vor allem Anke Zillich). Und: "Wenn Voges großes Theater macht, dann knallt es zumindest bei den Effekten."

 

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