Die Übergangsgesellschaft

"Die Übergangsgesellschaft" ist eine Überschreibung von Anton Tschechows "Drei Schwestern". Volker Braun schrieb das Stück ursprünglich für das Berliner Ensemble, wo es jedoch 1982 vorerst abgelehnt wurde. Bekannt wurde "Die Übergangsgesellschaft" 1988 durch Thomas Langhoffs Inszenierung am Maxim Gorki Theater Berlin.

Vom 17. März bis 18. März 2023, 19.30 Uhr, auf nachtkritik.plus

7. März 2023. "Die Übergangsgesellschaft" von Volker Braun hatte im März 1988 im Berliner Maxim Gorki Theater Premiere. Thomas Langhoff hatte diese Überschreibung von Anton Tschechows "Drei Schwestern" inszeniert. Braun hatte den Text 1982 ursprünglich für das Berliner Ensemble geschrieben. Aber da wollte man das von Resignation geprägte Stück über eine Gesellschaft im Wachkoma nicht spielen. So trug Braun es Thomas Langhoff an, der 1979 am Maxim Gorki Theater mit einer Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" einen späten, aber kometenhaften Start als Theaterregisseur begonnen hatte. Zuvor hatte Langhoff als Regisseur beim Fernsehen gearbeitet.



1938 wurde Thomas Langhoff im Zürcher Exil seines Vater Wolfgang Langhoff geboren, der zur DDR-Gründergeneration zählte und von 1946 bis 1963 Intendant des Deutschen Theaters war. 1934 war er nach KZ-Haft einer neuerlichen Verhaftung in die Schweiz entkommen und hatte dort 1935 ein damals weltberühmtes Buch über seine KZ-Haft geschrieben, "Die Moorsoldaten", eines der ersten Bücher über die Konzentrationslager überhaupt. 1963 war der überzeugte Kommunist Wolfgang Langhoff von der SED in einem demütigenden Verfahren aus dem Amt getrieben worden und wenige Jahre später gestorben. Seine idealistischen Vorstellungen vom Sozialismus empfand die SED als Affront.

1979 war ein zentrales Motiv der Inszenierung seines Sohnes Thomas von Tschechows "Drei Schwestern" der Ruf des Trios "Wir wollen leben!" – Sinnbild für die Sehnsucht nach Freiheit und einem Leben jenseits der Bevormundung durch Staat und Partei. 1988 inszenierte Langhoff mit gleicher Besetzung wie 1979 Brauns Tschechow-Variation: Monika Lennartz als Olga, Ursula Werner als Mascha, Swetlana Schönfeld als Irina. Den alten Kommunisten und Vater der Schwestern spielte Albert Hetterle, der damals auch Intendant des Gorki Theaters war.

Wir begegnen ihm jetzt Zeitung lesend auf der Bühne, umgeben von seltsamen Folienkokons, aus denen sich bald die drei Schwestern und andere Figuren des Tschechow-Stücks schälen. Es beginnt mit Tschechow-O-Ton: Die drei Schwestern klagen über ein verfehltes, sinnloses Leben, ihr vergebliches Warten auf eine Zukunft, die einfach nicht kommen will. Bald aber werden sie zu gegenwärtigen Figuren mit ihrem drängenden Fragen an gesellschaftliche Realitäten und historische Gewissheiten der DDR, die damals bereits im Sterben liegt. Auch wenn dies im März 1988, als die Inszenierung herauskam, noch niemand wusste. Doch als die Inszenierung 1990 aufgezeichnet wurde, war die Mauer bereits gefallen.

Beim Wiedersehen mit der Aufzeichnung nach über dreißig Jahren zeigt sich aber auch Verstörendes: in ihr finden sich rassistische Darstellungsmittel, die bezeichnend sind für das Selbstverständnis der DDR-Gesellschaft und ihre blinden Flecken – die auf beklemmende Weise auf die Baseballschlägerjahre nach 1990 vorausdeuten. Und darüber hinaus.

Der Regisseur und nachtkritik-Kolumnist Atif Mohammed Nour Hussein beugt sich einem erhellenden Essay über diese Produktion.

Hier der Überblickstext über die ganze Serie: Hier der Überblickstext über die ganze Serie: "Lenin und der leise Zweifel."

Die Übergangsgesellschaft 
von Volker Braun

Regie: Thomas Langhoff, Bühnenbild: Pieter Hein, Kostüme: Ursula Wolf, Dramaturgie: Manfred Möckel, Musik: Jürgen Ecke.

Mit: Albert Hetterle (Wilhelm Höchst), Klaus Manchen (Walter Höchst), Monika Lennartz (Olga), Ursula Werner (Mascha), Swetlana Schönfeld (Irina), Hilmar Baumann (Dr. Bobanz), Uwe Kockisch (Anton), Ruth Reinecke (Mette), Wolfgang Hosfeld (Franz)

Produktion: Deutscher Fernsehfunk der DDR
Premiere der Inszenierung am Maxim Gorki Theater, Berlin/DDR am 30. März 1988 
Aufzeichnung aus dem August 1990
Fernsehen der DDR, Deutsch, 90 Minuten

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