Iwanow - Sebastian Schug inszeniert Anton Tschechow
Immer diese Tschechows aus der Wundertüte
von Ralf-Carl Langhals
Heidelberg, 20. Dezember 2008. Gotscheff, Hartmann, Niemeyer, Zandwijk haben's getan, doch ansonsten ist Tschechows "Iwanow" keine Aufgabe, um die sich Regisseure reißen. Wenig Handlung, viel Befindlichkeit mag einer der Gründe sein, einen Bogen um Tschechows erstes abendfüllendes Stück zu machen. Schade eigentlich, denn "Iwanow" atmet zwar schon die für Tschechow so typische Gutsherrenmelancholie des untergehenden alten Russland, nimmt sich aber mehr Zeit für die Psychologie der Figuren.
In Heidelberg hat sich Hausregisseur Sebastian Schug um den pathologischen Melancholiker und seine Entourage gekümmert – und einen zweistündigen Abend auf die Städtische Bühne gestellt, der auch zeitgenössisches Leben seiner traurigen Lächerlichkeit preisgibt. Die Verhältnisse sind verfahren, Iwanow, der studierte Idealist mit visionärem Tatendrang, steckt in der Krise – und das schon mit dreißig.
Um sein Gut steht es schlecht, dahin ist die große Liebe bereits nach fünf Ehejahren. Lustlos und kaltschnäuzig verwaltet er seine Latifundien wie auch die schwindsüchtige und nach Zuneigung hungernde Gattin Anna Petrowna, die doch aus Liebe zu ihm einst jüdischen Glauben und elterliches Vermögen aufgab.
An Emotion und Reflexion zerrissen
Glaubt man Sebastian Schug, so platzen Weltverbesserungsträume nicht nur im zaristischen Russland früh, sondern auch im Prekariatsdeutschland mit Rezessionsparanoia. Seine Sicht auf die Figuren ist deshalb so zeitlos und nachvollziehbar, weil sich die Aktualisierung auf psychologisches Ausleuchten statt auf plakatives Hier-und-Jetzt-Geklingel stützt. Im neutralen wie gängigen Probenbühnensammelsurium (Christian Kiehl) agiert ein quicklebendiges Ensemble, in dessen Mitte Daniel Stock die Titelfigur nicht als hoffnungslos depressiven Anithelden zeigt, sondern als einen in seinen Emotionen und Reflexionen Zerrissenen.
Das kostet freilich Text, denn Tschechow hält reichlich larmoyante Egozentrik bereit, die Schug aus der Übertragung von Thomas Brasch auf ein gesundes Maß an Erträglichkeit (Dramaturgie: Katrin Breschke) zurechtstutzt. Einen an sich selbst und den Verhältnissen Erkrankten sehen wir, der schwankt, faucht, fordert und verweigert – einen Hamlet des Ostens, der einst ein Faust der Taiga war, und vielleicht auch deshalb mit dem problematischen Komödienanspruch des Autors zurechtkommt.
Ein Mann, der mit keiner Frau mehr leben kann
Der Mann hat gelegentlich Humor, nicht nur den der Verzweiflung, auch einen kampflustigen wie bösartigen. Diese Eigenschaft teilt er mit seinem gräflichen Onkel, den Klaus Cofalka-Adami als gealterter Liedermacher genau auf dem Grat zwischen Philosoph und Narr ausbalanciert. Erdverbundener, trinkfest und warmherzig – aber nicht minder souverän - leistet ihm hier Lebedjew (Ronald Funke) Gesellschaft, dessen Philosophie auf gesunden Menschenverstand, letzten Endes aber doch auf die Logik des Geldes baut.
Zwischen ihnen irrlichtert und zündelt gefährlich praxisnah - als Opfer eines Kostümfehlgriffs von Nicole Zielke - Gutsverwalter Borkin (Matthias Rott), der sein Talent zur Komik leicht überstrapaziert. Im Verhältnis Iwanows zu den Frauen herrscht in Heidelberg Klarheit: Ute Baggeröhr spielt sowohl die lungenkranke Gattin als auch Sascha, ihre jugendliche Nachfolgerin in spe, buchstäblich hingebungsvoll, verzichtet auf ihren sonst gelegentlich manieriert-rotzigen Einheitston und stellt zwei höchst unterschiedliche Figuren auf die Bühne. Dass Iwanow mit beiden großartigen Frauen nicht leben kann, zeigt, dass diesem Mann bei aller ihm offerierten Ehrlichkeit und Seelentiefe nicht mehr zu helfen ist.
Moralische Untiefen, stille Eindringlichkeit, finanzielle Winkelzüge
Wir sehen durchweg sympathische Figuren, das Tschechowsche Bestiarium aus Geiz, Eitelkeit und Herzenskälte erhält bei Sebastian Schug sehr menschliche Züge, nicht ohne Leerstellen für moralische Untiefen aus finanziellen Winkelzügen, Antisemitismus und Zweckheiraten zu belassen. An den entscheidenden Stellen herrscht stille Eindringlichkeit, wie etwa beim missglückten Versuch, durch einen zärtlichen Kuss die Ehe zu retten.
Auch lässt er sich stets Zeit, die Illusion einer Flucht zur Vergangenheit, wie etwa in der Sterbeszene, traurig aufflackern zu lassen. Dazwischen funkeln belebende Einlagen, Iwanows euphorischen Schub, "die Maschine noch mal anzuwerfen" oder die lustigste "Sex-auf-der-Theaterbühne"-Parodie der Saison. In Heidelberg stimmt diesmal die Mischung, und das Ensemble hat die Wundertüte des Regisseurs sorg- und gemeinsam ausgepackt.
Iwanow
von Anton Tschechow, Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Sebastian Schug, Bühne: Christian Kiehl, Kostüme: Nicole Zielke.
Mit: Ute Baggeröhr, Maria Prüstel, Klaus Cofalka-Adami, Ronald Funke, Heiner Junghans, Matthias Rott, Daniel Stock.
www.theaterheidelberg.de
Mehr über Sebastian Schug: Im April 2008 inszenierte er Bruckners Früchte des Nichts in Bremen. In Kassel brachte er Anfang 2008 François Ozons Film 5 x 2 auf die Bühne.
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