Anerkennung, Gerechtigkeit, Entwicklung

17. Januar 2023. Als im Jahr 2021 ein Rassismusskandal das Düsseldorfer Schauspielhaus erschütterte, war unsere Kolumnistin vor Ort. Sie und eine Gruppe Schwarzer Künstler*innen stellten daraufhin Forderungen - unter anderem nach einer eigenen Bühne. Ein Ausblick – und ein Abschied.

Von Natasha A. Kelly 

17. Januar 2023. 2015 riefen die Vereinten Nationen die Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft aus. Das Motto "Anerkennung, Gerechtigkeit, Entwicklung" wurde von den meisten Mitgliedstaaten jedoch nur rudimentär befolgt. Erst der Mord an George Floyd und die globale Welle an Black Lives Matter-Protesten brachen das koloniale Schweigen. Schwarze Menschen in Deutschland zeigten seitdem rassistische Missstände auf – auch im Theater- und Kulturbetrieb. 

Als am Düsseldorfer Schauspielhaus 2021 ein Rassismusvorfall öffentlich bekannt wurde, war ich mit meinem Team am Haus. Wir planten, ein afrodeutsches Kulturfest zu inszenieren. Doch die strukturellen Umstände zwangen uns, das Haus zu verlassen. Wir bezogen Stellung, schrieben einen offenen Brief und stellten drei klare Forderungen: 1. Der Fall sollte lückenlos aufgeklärt und aufgearbeitet werden, 2. unsere Honorare sollten vollständig ausgezahlt werden und 3. wir verlangten eine selbstverwaltete Bühne, auf der unsere Kunstfreiheit strukturell nicht eingeschränkt wird.

Inzwischen ist viel Wasser der Rhein hinuntergeflossen, aber alle drei Forderungen werden erfüllt: In Düsseldorf wurden professionelle Antirassismus Beraterinnen hinzugezogen, die sich des Falls angenommen und das Schauspielhaus beraten haben. Unsere Honorare wurden vollständig und ohne zu zögern ausgezahlt. Derzeit befinden wir uns in Gesprächen mit der Stadt Düsseldorf und dem Land NRW und nach einer 1,5-jährigen Konzeptionsphase, die uns viel Zeit und Geduld abgefordert hat, ist es bald soweit: Deutschlands erstes Institut für Schwarze Kunst, Kultur und ihre Wissenschaften eröffnet voraussichtlich im Sommer 2023.

Schwarze Avantgarde

Anders als bereits bestehende Projekte und Maßnahmen gegen strukturellen Rassismus im Kulturbetrieb, wo es um Transformationsprozesse geht, also um die Analyse, Reflexion und Überwindung von rassistischen und biologistischen Denkstrukturen und Bewertungsmechanismen, stellt das geplante Institut bereits einen Lösungsansatz dar. Dieser setzt jenseits der existierenden Strukturen an und schafft einen Raum, in dem Schwarze Kunst, Kultur und ihre Wissenschaften neu definiert werden können – nicht nur als temporäre Ereignisse, zum Beispiel im Rahmen von interkulturellen Festivals beziehungsweise bei Gastspielen, sondern als fester Bestandteil deutscher Kulturpolitik, Kulturwirtschaft und Kulturgeschichte.

Die Gründungsphase ist in vollem Gang. Das geplante Institut sehen wir als bereits dekolonialisierten Ort. Wir beginnen die Arbeit dort, wo sich viele bestehende Kunst- und Kultureinrichtungen erst noch hinentwickeln müssen. Jenseits von Diversity-Maßnahmen soll ein transdisziplinärer, transnationaler, transkultureller, transmedialer und intersektionaler Raum entstehen, in dem Schwarze Geschichte(n) erzählt werden können (Storytelling), ohne dass sich Schwarze Kunst- und Kulturmacher*innen in ein eurozentrisches Weltbild integrieren müssen oder in eine oppositionelle Rolle gedrängt werden. 

Denk- und Kulturfabrik

Da unser Institut aus einem politischen Diskurs herauswächst, wird es weiterhin Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen und aktiv zu den zukunftsorientierten Entwicklungen der deutschen Kulturszene beitragen. Auseinandersetzung mit und Kritik gegenüber den bestehenden politischen Machtverhältnissen und/oder vorherrschenden ästhetischen Normen in Wissenschaft und Gesellschaft bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Agenda.

Um dies zu ermöglichen, operiert das Institut als Denkfabrik, die durch Erforschung, Entwicklung und Institutionalisierung von Schwarzem Wissen zur Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte und einem positiven Selbstbild der Schwarzen Menschen in Deutschland beiträgt. In diesem Sinne reicht der wissenschaftliche Anspruch weit über die künstlerischen Anforderungen hinaus und garantiert inhaltliche Richtigkeit und Genauigkeit. Gleichzeitig wird das Institut als Kulturfabrik operieren, in der der Transfer von der wissenschaftlichen Theorie in die künstlerische Praxis erprobt wird und somit auch einem dem Theater bislang ferngebliebenen Publikum neue Perspektiven angeboten werden.

In einem umfangreichen Programm wird in unterschiedlichen Formaten der Zugang zu Schwarzem Wissen, Kunst und Kultur eröffnet. Dabei wird die Verwobenheit von Wissen, Macht und Körper als Ausgangspunkt genommen, um unsere Zielgruppe zu erreichen. Im ersten Jahr soll neben den Eigenproduktionen ein starker Fokus auf Outreach und Kulturvermittlung gelegt werden. Zudem werden digitale Projekte angestoßen, mit denen langfristig und nachhaltig Bühnen- und Kostümdesigns entwickelt werden. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Kultur tragen Expert*innen aus Theorie und Praxis ihr Wissen zusammen, sodass neue Formen des Kultur- und Wissenstransfers dem inhärenten Bildungsauftrag zugutekommen.

Die Ziellinie in Sicht

Wenn die drei Säulen der dekolonialen Theorie – Wissen, Macht und Körper – einzeln, aber auch in ihrer Verwobenheit miteinander in den Blick genommen werden, können Schwarzes Wissen und Schwarze Körper sowie die Dynamik, die daraus entsteht, vielfältig in Szene gesetzt werden. Der Raum zwischen der Inszenierung und den Inszenierenden eröffnet eine Leerstelle, um Schwarzsein im deutschen Kontext auf verschiedenen Ebenen neu zu denken. Dieser Zwischenraum hat schon längst in anderen Sprachräumen Schwarze Kunst- und Kulturbewegungen hervorgebracht, die auch Wissenschaft und Politik beeinflusst haben, wie zum Beispiel die Harlem Renaissance und die Black Arts Movement (anglophon) oder die Négritude (frankophon).

Für den deutschsprachigen Raum gilt es, erst eine eigenständige, vielseitige und gleichberechtigte Schwarze Ästhetik herauszuarbeiten und zu institutionalisieren. Dieses Ziel verfolgt das Institut für Schwarze Kunst, Kultur und ihre Wissenschaften und bietet den Raum, diese Vision zu entfalten. Jenseits von Kolonialität und Modernität sollen Schwarze Kunst und Kultur sowie Schwarzes Wissen in die Zukunft gehoben werden. Anstatt Diversität zu suchen, soll eine neue Komplexität geschaffen werden.

Auf diese Weise soll das Institut dazu beitragen, die Ziele der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015–2024) umzusetzen und einen Beitrag zur Stärkung und Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Partizipation und Teilhabe von Schwarzen Menschen zu leisten. Die Ziellinie ist in Sicht!

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Mit diesem Text verabschiedet sich Natasha A. Kelly als Kolumnistin, um sich ganz dem in Gründung begriffenen "Institut für Schwarze Kunst, Kultur und Wissenschaft" zu widmen, dessen Gründungsdirektorin sie ist.

 

Kolumne: Die vierte Säule

Natasha A. Kelly

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Theatermacherin. In ihrer Kolumne "Die vierte Säule" schreibt sie über Kunst, Freiheit und andere Unwahrheiten.

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Kommentare  
Kolumne Kelly: Viel Erfolg!
Die Gründung des Instituts ist super, viel Erfolg!
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