Medienschau: Diverse Medien – Die Kommentare zum Berliner Theatertreffen

Groteske Nebengeräusche

Groteske Nebengeräusche

27. Januar 2023. Die Jury des Berliner Theatertreffens hat ihre Einladungen ausgesprochen. Die Theatertreffen-Leitung hat ihre Neuerungen verkündet. Und die Zeitungen haben beides kommentiert. 

Simon Strauß von der FAZ (online 26.1.2023) schreibt: "Allein Basel und Dessau sind mit jeweils nur einer Einladung dabei. Der Fokus verengt sich also deutlich. Bald werden überregional wahrscheinlich nur noch Theater aus fünf Städten wahrgenommen. Das interessante Theatergeschehen, so die implizite Botschaft der Jury, konzentriert sich auf wenige wichtige Zentren. In der Peripherie ist nichts los. Dann ist das Ganze allerdings bald kein Treffen des deutschen Theaters mehr, sondern ein Austausch des Großstadttheaters unter sich."

Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (online 26.1.2023) hört die Sektkorken knallen, da das Herzstück des Theatertreffens in gewohnter Form bestehen bleibt. Eine Ausweitung des Sichtgebiets auf Osteuropa, wie es noch im Sommer im Raum stand, hält der Kritiker für keine gute Idee. Sie hätte "rein praktisch die Arbeit einer Kritikerjury verunmöglicht, die schon jetzt an der Grenze der Belastbarkeit operiert und dennoch von allen Seiten gescholten wird, weil sie zu viel übersieht", so Seidler. "Und wie hätte sie die fremdsprachigen Theateraufführungen kompetent bewerten sollen? Die Idee, fünf der zehn Einladungen von Kuratoren aus den jeweiligen Ländern bestimmen zu lassen, lief auf eine Verwässerung des Prinzips Kritikerjury hinaus. Nun ist ein gutes halbes Jahr vergangen, und diese Ideen scheinen vom Tisch geräumt zu sein."

Als "in zwei Richtungen parasitär", bezeichnet Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (online 26.1.2023) das angekündigte Rahmenprogramm. "Es nutzt die politischen Großkrisen, um sich mit Bedeutung aufzupumpen. Und es verhält sich parasitär gegenüber dem Kern des Theatertreffens, den zehn eingeladenen Inszenierungen, indem es so tut, als würde erst die Diskurs-Begleitmusik dem Theater Relevanz verschaffen. Das ist zwar ein großer Irrtum und etwas anmaßend, aber angesichts der gegen null gehenden Außenwirkung solcher Kulturbetriebs-Selbstgespräche auch nicht weiter schlimm, solange die Festivalleitung die heiße Luft ihres Diskurs-Boheis nicht für die Hauptsache des Festivals hält." Die "stilistisch erfreulich breitgefächerte Festivalauswahl" habe "solch groteske Nebengeräusche" eigentlich nicht nötig. "Anders als im vergangenen Festivaljahrgang, bei dem sich die Jury auf ein esoterisches Nischen- und Trendstreber-Programm kapriziert hatte, ist diesmal überraschenderweise der Publikumserfolg einer Inszenierung kein Ausschlusskriterium."

Für Patrick Wildermann vom Tagesspiegel (26.1.2023) klingt das Rahmenprogramm spannend und innovativ, auch wenn nicht ganz klar geworden sei, was sich dahinter verberge. "Ob da ein Zusammenhang besteht? Kaum ist dieser 'Resonanzraum' (Pees) fürs Brandaktuelle geschaffen worden, sind nicht mehr ausschließlich Produktionen eingeladen, bei denen man schon vorher denkt: Das wird bestimmt eine lehrreiche politische Lecture! (So wie im vergangenen Jahr, als das Theatertreffen stets noch Tickets übrig hatte). Vielleicht Zufall, aber der Trend scheint zurück zu gehen zum Traditionstheater. Zumindest hinsichtlich der Häusernamen."

"Zehn bemerkenswerte Inszenierungen präsentierte die Jury und siehe da, nach dem Publikumsschwund feiert das große Erzähltheater ein Comeback, während das Diskurstheater auf dem Rückzug scheint", diagnostiziert Jakob Hayner in der WELT (27.1.2023). Auch zeige die Auswahl, dass sich Klassiker und Gegenwartstheater nicht ausschließen müssen. Für das Rahmenprogramm der Leitung findet Hayner deutliche Worte, obwohl man nach der Pressekonferenz im Haus der Berliner Festspiele laut dem Autor nicht viel schlauer sei, was deren Pläne betrifft: "Zehn Veranstaltungen, die sich 'Treffen' nennen und die die eingeladenen Inszenierungen 'umrahmen, umgarnen und umarmen' sollen, auch als Ersatz für den abgeschafften Stückemarkt. Green, Diversity, Solidarity, Network, Exchange, Herstory, Transfeminist, so lauten unter anderem die Titel der Treffen. Was sich dahinter verbirgt, ist teils haarsträubend: Gemeinsames Essen als 'feministischen, politischen Prozess für transnationale Solidarität' zu etikettieren, könnte man noch für einen Witz halten (...). Und hinter einem aufgespreizten Titel wie 'Emptiness Treffen - Demokratische Meditation' scheint sich nur ein schnöder Ruheraum zu verbergen, ein schlagendes Beispiel für den lustlos präsentierten Phrasensalat mit Politfloskelsoße."

An der diesjährigen Juryauswahl zeige sich die Rückkehr einer Lust am Theater, meint SWR2-Theaterkritikerin Eva Marburg (26.1.2023). Standen letztes Jahr noch brennende gesellschaftliche Themen im Zentrum, seien dieses Jahr vor allem Produktionen dabei, die das Theater selbst feierten. Ungewöhnlich und erfreulich findet die Kritikerin, dass eine Inszenierung aus der sogenannten "Provinz" dabei ist – sonst bei dem Festival "dramatisch unterrepräsentiert". Fest stehe, dass beim Theatertreffen "nichts mehr bleibt, wie es war" und die Ausgabe im Mai die letzte ihrer Art sein werde, prognostiziert Marburg.

Zwei neue Juror:innen wird es beim Theatertreffen 2024 geben, und beim SRF (26.1.2023) kommentiert Andreas Klaeui, dass dabei München als traditioneller Sitz eines oder einer Kritiker:in in der Jury nicht mehr vertreten sein wird, Wien hingegen ab dann zwei Vertreter:innen in die Jury sende. Eine von ihnen sei Theresa Luise Gindlstrasser, die als Kritikerin sowie Dramatikerin arbeite. "Das kann ein Interessenskonflikt sein'", so Klaeui, denn "sie muss Theater beurteilen, für die sie selbst arbeitet". Ihre Ernennung könne aber auch "ein Schritt in die Richtung sein, dass nicht mehr nur Kritiker:innen in der Jury sind, sondern Leute, die selber Theater machen". Ästhetisch mutet für ihn die Auswahl "recht weit gefasst an, mit bekannten, aber auch ganz neuen Handschriften, so ein richtiges Tableau".

Die Rahmung durch die zehn "Treffen" klinge "sinnvoll und nach viel organisatorischer Arbeit", so Katrin Bettina Müller in der taz (28.1.2023). "Aber auch nach einem überbordenden Rahmen, in dem das Spielerische der Kunst in einem immer kleineren Feld erscheint. So, als wäre sie nicht das Kerngeschäft des Theatertreffens." Da sei es gut, dass das Spiel im Theater sich dann manchmal selbst feiere. "Und das scheint es einigen der eingeladenen Inszenierungen der Fall."

(FAZ / Berliner Zeitung / SZ / Tagesspiegel / SRF / taz / miwo / sdre / eph / geka)

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