Tragische Heldin

12. Februar 2023. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verändert die Rezeption vieler Theaterstücke. Auch Schillers "Jungfrau" wird in der Regie von Harald Fuhrmann zu einem Gegenwartskommentar – und zu einem eindringlichen Lehrstück über den Krieg an und für sich. 

Von Michael Bartsch

"Die Jungfrau von Orleans" in der Regie von Harald Fuhrmann im Theater Plauen-Zwickau © André Leischner

12. Februar 2023. Seit einem Jahr sieht man die Klassiker anders. Insbesondere kriegerische Stoffe liest man vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine.

Eigentlich habe im vogtländischen Plauen bei der Stückwahl zunächst nur ein Jubiläum Pate gestanden, erinnerte zur Premierenfeier der seit dieser Spielzeit amtierende Intendant Dirk Löschner. Denn vor 125 Jahren wurde das schmucke Vogtlandtheater just mit Schillers "Jungfrau von Orleans" eröffnet. Plötzlich wird man nun von Parallelen zum nahen fernen Krieg erschlagen.

Gründlich gelesen

Regisseur Harald Fuhrmann, bislang mehr im Ausland tätig, gestaltet diese Assonanzen unaufdringlich und deshalb umso eindringlicher. Nix mit "romantischer Tragödie", aber ohne einen Klassiker mit Demo-Plakaten zu zertrümmern oder Scooter-Panzerchen über die Bühne zu schicken wie in Frank Castorfs Dresdner "Wallenstein"-Inszenierung. Fuhrmann hat nur gründlich gelesen und vor der akuten Kriegskulisse entdeckt, was Schiller 1801 schon paradigmatisch in der "Jungfrau" angelegt hatte.

Friedrich Steinlein, Rainer FrankAkute Kriegskulisse: Friedrich Steinlein und Rainer Frank in Schillers "Jungfrau von Orleans" © André Leischner

Was er dem zweieinhalb Stunden atemlos lauschenden Plauener Theaterpublikum anbietet, gleicht einem Brecht‘schen Lehrstück über Heldenfiguren und ihre Instrumentalisierung. Auch der Jenaer Geschichtsprofessor Friedrich Schiller hielt sich nicht korrekt an historische Fakten des Hundertjährigen Krieges im 13. und 14. Jahrhundert, um vielmehr die Rolle des oder der Einzelnen in der Geschichte und in Moralfragen herauszuarbeiten.

Das von einem leidenschaftlichen und disziplinierten neunköpfigen Ensemble umgesetzte Regiekonzept stellt die zeitlosen Fragen und Konflikte exemplarisch heraus. Harald Fuhrmann montiert und scheut untergeschobene Fremdzitate nicht. Das geschieht so perfekt nach Duktus und Inhalt, dass man Übergänge oder gar Brüche nicht bemerkt.

Starke, entscheidungsfreudige Frauen

Schon der chorisch deklamierte Einstieg ist eine Anleihe, doch bei Schiller selbst, bei "Wallensteins Lager". "Zerfallen sehen wir in diesen Tagen die alte feste Form …", die Europas nämlich. "Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieg ist alles", heißt es, und jeder weiß Bescheid. Mit der Wiederholung dieser Passagen klingt das Stück auch aus.

Königin Isabeau, Mutter Karls VII., aber mit den Engländern verbündet, hält per Mikrofon an der Rampe eine Rede ans Volk, die der Putins unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine entspricht. Auf der anderen Seite tut dies wenig später Johanna mit Selenskyj-Zitaten. Nicht nur nebenbei: Diese Inszenierung entdeckt bei Schiller die starken, entscheidungsfreudigen Frauen, zu der als Dritte noch die Karl-Geliebte Agnes gerechnet werden muss.

Johanna Franke, Ute Menzel, KomparsenStarke Frauen: Johanna Franke und Ute Menzel mit Komparsen auf Monika Frenz' Bühne © André Leischner

Im vierten und fünften Aufzug avanciert die umjubelte Feldherrin Jeanne zur tragischen Heldin. Sie kann nicht mehr töten, "nicht für mein Land, selbst für die gerechte Sache nicht". Die zeitlose Frage nach der Rolle von Symbol- und Identifikationsfiguren stürzt auf die Zuschauer ein. Unwillkürlich drängt sich ein Vergleich zu Brechts berühmtem Galilei-Satz auf: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."

Gespielt wird in Plauen wieder einmal auf einem schrägen, in Segmente zerrissenen Podest. Mehr braucht es nicht außer einem schlichten Thron, einer Fahne und – Leichensäcken. Eine kluge Raumwirkung durch Platzierung der Figuren auf der Schräge und wohldosierte Lichteffekte genügen als Ergänzung zur Kraft der Sprache.

Vom Alltagszivil zur Uniform

Und wer wollte bei diesem Schauspielensemble von einer "Provinzbühne" Plauen-Zwickau sprechen? Jeanne heißt auch bürgerlich Johanna Franke, hat nichts mehr von einem suchenden Mädchen, ist gleich die naiv zu allem Entschlossene, später die sehr erwachsen Nachdenkliche.

Ihr königlicher Herr Karl VII. alias Hanif Idris erscheint anfangs angesichts des Desasters bei Orleans wie ein zu den Musen flüchtender, Klarinette swingender bayerischer Ludwig II., nach dem Sieg wie ein netter Volkstribun. Und im doppelten Sinne zwingend muss man auch Ute Menzel als wahrhaft königliche Isabeau erwähnen.

Zunächst in Alltagszivil gekleidet, wandeln sie sich fast alle im Felde zu Uniformierten und Armierten. Kein gutes Omen. An den Schluss hätte auch Schillers Frage aus seiner "Ästhetischen Erziehung des Menschen" gepasst: "Das Zeitalter ist aufgeklärt – woran liegt es, dass wir immer noch Barbaren sind?"

Die Jungfrau von Orleans
Von Friedrich Schiller
Regie: Harald Fuhrmann, Bühne und Kostüme: Monika Frenz, Dramaturgie: Luise Curtius, Kampfchoreogafie: Thilo Mandel und Sergei Vanaev.
Mit: Johanna Franke, Hanif Idris, Ute Menzel, Julia Hell, Rüdiger Hellmann, Daniel Kapfinger, Friedrich Steinlein, Constantin Gerhards, Rainer Frank und Komparserie als Soldatinnen und Soldaten.
Premiere am 11. Februar 2023
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.theater-plauen-zwickau.de

 

Kommentar schreiben