Weltberühmte Automaten

4. März 2023. Am Ende sind die Automaten doch Menschen, die sich tatsächlich lieben. Und dann werden in der Komödie von Georg Büchner per Dekret auch noch Macht und Zeit abgeschafft. Theatererfinder Robert Borgmann hat aus Motiven von "Leonce und Lena" einen höchst eigenen Musiktheaterabend gemacht.

Von Martin Krumbholz

"Meta Sleep" nach Georg Büchner am Schauspiel Köln © Krafft Angerer

4. März 2023. König Peter vom Reich Popo hat eine tolle Idee. Er möchte seinen müßiggängerischen Sohn Leonce endlich verheiraten. Die dafür ausersehene Braut vom Reich Pipi heißt Lena. Leider haben die beiden keine Lust. Getrennt fliehen sie in Richtung Italien, treffen sich zufällig, verlieben sich auf den ersten (oder zweiten) Blick, kehren als Automaten verkleidet in die Heimat zurück und werden dort vermeintlich "in effigie", also im Abbild, verheiratet. In Wahrheit sind sie nun als Menschen ein Ehepaar, so stiftet Georg Büchner in seiner einzigen Komödie ein happy end.

Natürlich erzählt Robert Borgmann in Köln die Geschichte nicht so. Er erzählt sie auch nicht anders. Eher erzählt er sie gar nicht. Es gibt keinen lustigen Gesellen Valerio, keine Ex-Freundin Rosetta, keine sentimentale Gouvernante und keinen Hofstaat. Oder es gibt das alles, aber in unendlichen, schwer zu entschlüsselnden Metamorphosen. Wenn ein König ein Mensch ist, der eine Krone trägt, dann gibt es ihn auch in dieser Aufführung, die eher eine begehbare Installation ist, durch die sich das Publikum, jenseits der Zuschauertribüne, bewegen darf.

Traum, Schlafwandel, Melancholie

"O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte!" – Leonces Satz aus der ersten Szene des Dramas thront in Leuchtschrift (und auf Englisch) über allem. Das ist also das Motto und Thema des Abends: Wir sollen uns gewissermaßen aus uns selbst herausbeamen und uns von oben herab oder von außen zusehen. Vielleicht so, wie man das als Träumender, als Träumende tut.

An Büchners Text, von dem nur spärliche Fragmente übrigbleiben, interessiert Borgmann nicht die Politsatire, nicht die Romantikparodie, nicht einmal die Philosophiepersiflage ("Der Mensch muss denken"). Primär und fast ausschließlich geht es ihm um den Komplex Traum, Schlafwandel, Melancholie. Realität (wenig) und Realitätsflucht (viel).

MetaSleep 2 c Krafft Angerer"Haben Sie auch Ahnungen zuweilen?" Akteur*innen zwischen Tanz und Traum © Krafft Angerer

Gleich zu Anfang hört man eine weibliche Stimme Lenas Satz sagen: "Es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke, ich glaube es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind." Unheilbar, stellt sich heraus, ist Lena nicht, auch nicht Leonce, auf den der Satz sich bezieht, der gleichwohl die Temperatur und den Motor dieser "Komödie" repräsentiert. Am Rand der von Borgmann gestalteten Spielfläche im Depot 2, also der kleinen Mülheimer Bühne, steht übrigens ein todschickes schwarzes Motorrad, nie benutzt, ein ironischer Kommentar zu den Flucht- (und womöglich Potenz-)Fantasien der Akteure "beiderlei Geschlechts" (Büchner).

Somnambule Gestalten und ein pinkfarbenes Pferd

Über die Bühne flanierend sieht man Menschen, die sich küssen, die vom Himmel herabschweben wie Engel und sanft auf Schlafende fallen, man sieht einen transparenten Kubus, der mit Wasser gefüllt ist und durch den Personen schlafwandelnd waten, und immer hört man die von Borgmann komponierte Musik – Saxophone, Posaune, Gitarre -, mal arhythmisch gleitend, mal wild hämmernd.

Das Publikum übrigens scheint eher ernst, zurückhaltend gestimmt zu sein, dabei gibt es durchaus komische Momente. Einmal umarmt der Schauspieler Justus Maier in einer pinkfarbenen Turnhose ein überlebensgroßes pinkfarbenes Pferd (wie der verrückte Nietzsche in Turin?), doch nein, er schraubt dem Tier den Kopf ab und ersetzt ihn durch den eigenen, den Justus-Maier-Kopf. Egomanie als Traumprozess. Maier ist der einzige permanent Agile unter lauter somnambulen Gestalten.

MetaSleep 4 c Krafft AngererEgomanie als Traumprozess: Justus Maier mit pinkem Justus-Maier-Kopf © Krafft Angerer

Konsequenter als in einigen früheren Arbeiten, bei denen er sich noch Guckkasten-adäquat an den narrativen Strukturen der Texte abmühte, beschreitet der (eminent ehrgeizige) Theatererfinder Robert Borgmann an diesem Abend neues Terrain. Das ist sehr speziell, aber in der Wirkung suggestiv und immer anregend.

Zum Schluß zwei zauberhaft Maskierte 

Mit "künstlicher Intelligenz", wie angekündigt, hat das Ganze vielleicht eher am Rande zu tun; die "weltberühmten Automaten", angeblich "nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern", sind in Wahrheit ja einfach Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre "entsetzlichen Gedanken" zumindest für ein Weilchen loswerden wollen.

Während in Büchners Text die vier Hauptfiguren am Schluss die Macht übernehmen und sie abschaffen, denn wer sich "Schwielen in die Hände schafft" oder "sich krank arbeitet" soll künftig "kriminalistisch strafbar" sein, betreten bei Borgmann zwei zauberhaft Maskierte die Tribüne. Vergrößerte Eintrittskarten halten sie in der Hand, suchen ihre Plätze, setzen sich hin und schauen von oben auf uns Zuschauende herab. Über ihnen prangt die Parole: "O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte!"

Meta – Sleep
eine musiktheatrale Installation nach Motiven von Georg Büchners "Leonce und Lena"
Regie, Raum, Komposition: Robert Borgmann, Kostüme: Birgit Bungum, Video: Krzysztof Honowski, Licht: Michael Frank, Dramaturgie: Sibylle Dudek.
Mit: Marta Kizyma, Justus Maier, Robert Borgmann, Mari Angeles Del Valle, Jan Wilhelm Bennefeld, Yoshiki Matsuraa.
Premiere am 3. März 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause 

www.schauspielkoeln.de

 Kritikenrundschau

"Gefangen in einer Denkfabrik", fühlt sich Axel Hill an diesem Abend, wie er für die Kölnische Rundschau (6.3.2023) schreibt. Es mache sich "eine Aura des Rätselhaften" breit, "aber auch Langeweile". Leonce und Lena nähmen "ihre Alter Egos an die Hand, englische Texte, aus dem Off oder live gesprochen, wabern mystisch durch den Raum - es geht um Tod, um Schlaf, um Annäherung". Alles in allem hänge "die Verständnislatte ziemlich hoch", so der Rezensent, und findet: "Ein wenig mehr abgeholt werden möchte man doch schon".

Kommentare  
Meta Sleep, Köln: Ohne Intensität
Die Aufführung des Abends war bedauerlicherweise von Langeweile geprägt. Die Hauptdarstellerin, die eine zentrale Rolle innehatte, schien leider nicht in der Lage zu sein, ihre Figur mit der notwendigen Intensität zum Leben zu erwecken. Auch die Gedanken der Regie, die durchsichtig und insgesamt pseudokünstlerisch wirkten, konnten diesem Eindruck nicht entgegenwirken. Das Stück blieb somit hinter den Erwartungen zurück und vermochte es nicht, das Publikum zu fesseln.
Meta Sleep, Köln: Langeweile
Sollte Langeweile, als ein zentrales Element bei Büchners Leonce und Lena, die Idee gewesen sein, die bei den Zuschauenden ausgelöst werden sollte, so trifft der Abend noch nicht mal das. Wir brauchen nicht über Büchner zu reden, da er nicht vorkommt. Es kommt gar nix vor, außer zu wenig tragende Ideen. Ich finde, der Abend ist noch nicht mal gescheitert, er hat nie angefangen. Fürs scheitern müsste man was wollen. Und ich hoffe, dass nicht das Wollen hinter dem Unvermögen steckt! Immerhin: die Musik war ganz ok. Wenn schon Bühnentechniker unbewusst oder bewusst den Hofstaat spielen müssen, dann zeigt die wiederum für Unvermögen, oder schlimmer noch, für Klassismus oder einfache die arrogante, ignorante Pose. Das Erste, wäre das harmloseste.
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