Medienschau: SZ – Über den Umgang der Theater mit Marco Goecke

8. März 2023. Der Choreograph Marco Goecke beschmierte die Kritikerin Wiebke Hüster mit Hundekot. Seit dem Vorfall stehen zahlreiche Theater vor schwierigen Entscheidungen. Soll und will man weiter mit diesem Künstler zusammenarbeiten? Die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Seine Stellung als Ballettdirektor in Hannover ist Marco Goecke los, seine Stücke verbleiben gleichwohl im Repertoire der Staatsoper. Auch das Nederlands Dans Theater führt ihn nicht mehr als mit dem Haus assoziierter Choreograf, spielt seine Produktionen jedoch weiter. Am Nationaltheater Mannheim strich man eine Arbeit des Choreographen aus dem Programm einer für April geplanten Premiere. Ebenso sagte das Ballett Dortmund eine geplante Premiere ab, schloss eine Zusammenarbeit in der Zukunft aber nicht aus. Andere Häuser, wie das Staatsballett Berlin halten an vereinbarten Engagements fest.

Christiane Lutz und Dorion Weickmann von der Süddeutschen Zeitung (8.3.2023) gehen diesen unterschiedlichen Reaktionen auf Marco Goeckes Tat nach. Sie sehen die Häuser in einer schwierigen Lage. "Wirklich zu tun haben will gerade niemand so recht etwas mit der Person Marco Goecke, mit seiner Kunst hingegen schon.“ Denn die gelte als "geradezu genial". Der Choreograph sei ein Ausnahmetalent. "Seine Tanzsprache ist unverwechselbar und erzeugt virtuose, ganz und gar kunstvolle Körperbilder. Goeckes Arbeiten strahlen hypernervöse Energie und abgrundtiefe Melancholie aus und spiegeln darin die Zerrissenheit der Gegenwart. Auf so jemanden künstlerisch zu verzichten, kann schmerzhaft sein. Und sehr schade fürs Publikum. Goeckes Kunst wegzuschließen käme einer Selbstamputation des Balletts gleich." 

Auch Goecke selbst kommt in dem Artikel zu Wort. Er sagt: "Ich werde meine Strafe kriegen, das sehe ich auch ein, da bin ich völlig bereit zu. Aber ich finde es unfair, dass da gerade öffentlich so darüber gerichtet wird." Und weiter: "Kann man für eine Zeit lang das Werk vom Macher trennen? Die Theater spielen ja auch noch Wagner. Und sie gehen in die Kirche, obwohl da viel schlimmere Sachen gemacht wurden. Ich weiß es nicht."

(Süddeutsche Zeitung / miwo)

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Medienschau Goecke: Die Maßstäbe der Empörten
"Kann man für eine Zeit lang das Werk vom Macher trennen? Die Theater spielen ja auch noch Wagner. Und sie gehen in die Kirche, obwohl da viel schlimmere Sachen gemacht wurden. Ich weiß es nicht." Das sind die entscheidenden Sätze. Bis heute zeigt man, ohne Unterbrechungen, das filmische "Werk" jener Schauspieler*innen und Regisseur*innen, die Schlimmeres getan haben, als jemandem Hundekot ins Gesicht zu schmieren: Sie haben schweigend oder sogar billigend zugeschaut, wie ihre jüdischen Kollegen erst entlassen und dann in KZs abtransportiert wurden. Mehr noch: man musste ihr Werk nicht vom Macher trennen. Die überwiegende Mehrheit, die Theaterkritik inklusive, feierte und bejubelte sie nach 1945, als wäre nichts gewesen. Und wer keine Antwort kennt auf Goeckes verzweifelte Unwissenheit, drückt sich um den entscheidenden Begriff: die Verhältnismäßgkeit. Der Hundekot soll nicht trivialisiert, aber nach den Maßstäben der Empörten, denen diesmal keine Strafe hoch genug zu sein scheint, darf schon gefragt werden.
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