Medienschau: Welt – Jakob Hayner über die Antisemitismusdebatte zu "Vögel"

Fallhöhe

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15. März 2023. In der Tageszeitung "Welt" analysiert Jakob Hayner die Antisemitismusvorwürfe gegen Wajdi Mouawads Stück "Vögel", das nun wieder gespielt wird.

Ende 2022 hatten Proteste gegen "Vögel" zur vorläufigen Absetzung des vorher erfolgreich an etlichen Theatern gespielten Stücks am Münchner Metropoltheater geführt. Nun wird es in München wiederaufgenommen und auch an anderen Theatern (wieder) gespielt, und Jakob Hayner findet das richtig.

"Was 'Vögel' vorgeworfen wird, ist kein vulgärer 'Stürmer'-Antisemitismus, sondern ein feinerer 'sekundärer Antisemitismus', wie man ihn im Umfeld der 'Boycott, Divestment, Sanctions'-Kampagne findet. Oft ist von den 'drei D' die Rede: Dämonisierung, Delegitimierung, Doppelstandards", erklärt Hayner. Für die tägliche Berichterstattung oder eine Talkrunde könne das hilfreich sein. "Doch bei einem Kunstwerk wie einem Theaterstück?"

Theaterstücke funktionierten doch so: "Sie lassen eine Figur etwas behaupten (gerade auch Falsches!), um sie zu widerlegen – durch die Handlung oder andere Figuren. Je drastischer die Ausgangsaussage ist, desto ergiebiger das Ergebnis. Im Theater heißt das: Fallhöhe", so Hayner. Und "Vögel" sei ein Text, der sehr stark damit arbeitet - "und dabei an der Grenze zum kaum Erträglichen und Geschmacklosen operiert".

Die Bedeutung verändere sich außerdem im Zusammenhang, das ist bei Kunstwerken so – weswegen man den Antisemitismus nicht wie bei einer Talkrunde mit der Checkliste abhaken könne. "Die Wahrheit liegt im Theater auf dem Platz, also auf der Bühne." Das Spiel mit den Bedeutungen müsse man auf der Bühne sehen können, sonst werde es schwierig, "egal ob 'Der Kaufmann von Venedig' oder 'Vögel'. Umso besser, dass die Debatte mit der Wiederaufnahme von 'Vögel' dorthin zurückkehrt."

(Welt / sd)

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