Die Auto-Eloge

28. März 2023. Die Kritik und was ihre Verfasser*innen heutzutage eigentlich noch legitimiert, Urteile über (Kunst)werke zu fällen, ist wieder einmal Gegenstand hitziger Debatten. Sollten also Autor*innen, Schauspieler*innen und Regisseur*innen das Schreiben über ihre Arbeit gleich selbst übernehmen?

Von Wolfgang Behrens

28. März 2023. Nahezu unbemerkt vom tumben Weltgewimmel ereignete sich vor ein paar Wochen in einigen Medien – nicht zuletzt in den sogenannt sozialen – ein Shitstorm en miniature, ein Shitstorm im Wasserglas sozusagen. Zum Anlass nahm dieser eine … ja, wie soll man sagen? … eine Kritik. Jedenfalls einen Text, der Elemente enthält, die landläufig in einer Kritik erwartet werden.

Im vorliegenden Fall fiel der kritisch wertende Teil des Textes jedenfalls eindeutig positiv aus: Der Rezensent, wenn wir ihn so nennen wollen, pries das besprochene Buch und seinen Verfasser überschwänglich. Um es konkret zu machen: Er sang ein Loblied auf die kürzlich erschienene, wackersteinschwere Monografie "Thomas Mann. Werk und Zeit". Das Kuriose an dem Vorgang indes, das manch hämisch angespitzte Feder auf den Plan rief, war, dass die Eloge von niemand anderem als vom Verfasser des Buches selbst stammte, von Dieter Borchmeyer nämlich.

Sprach- und Formulierungsfreuden

Ich gestehe, dass ich erst durch ein paar böse Tweets auf Borchmeyers Eigenlob aufmerksam geworden bin – und den Text dann mit ausgesprochen guter Laune gelesen habe. Jemanden im Begeisterungstaumel über die eigenen Fähigkeiten zu sehen, kann bei den Rezipient:innen ja durchaus heitere Gefühle (und auch solche der Erheiterung) auslösen, etwa wenn sich Borchmeyer selbstbewusst unter die großen Stilisten einreiht, was er nicht zuletzt seiner selbstattestierten "Sprach- und Formulierungsfreude" zu danken hat: "Ein stilistisch geglückter Satz macht einfach glücklich." (Wobei gerade dieser Satz die Frage aufwirft, ob die Wiederholung des Wortstamms "Glück" eine Stilfigur ist, eine figura etymologica also, oder ein stilistisches Unglück.) Und auch die zwitschernden Lästerzungen müssen wohl einräumen, dass man Borchmeyers Text mit Gewinn lesen kann, zumal er so schöne Funde bereithält wie das Diktum Friedrich Nietzsches: "Den Stil verbessern heißt den Gedanken verbessern."

Apropos Nietzsche: Dessen im Spätwerk "Ecce homo" verwendete, von Bescheidenheit eher nicht angekränkelte Kapitelüberschrift "Warum ich so gute Bücher schreibe" könnte bei Borchmeyers Selbstkritik Pate gestanden haben. Und überhaupt dürfen sich alle von sich selbst Berauschten getrost auf Nietzsche berufen. Peter Sloterdijk hat in seinem Weimarer Nietzsche-Festvortrag aus dem Jahr 2000 sogar auf das singuläre Sprachereignis hingewiesen, welches Nietzsches hemmungsloses "auto-eulogisches Reden", mithin seine Selbstpreisungen, für die Geistesgeschichte bedeutet habe. Im Tabubruch des Eigenlobs sieht Sloterdijk das Zeitalter eines sich selbst einen Markt schaffenden Individuums heraufdämmern – und er gesteht dem modernen Autor, "der Ohren sucht und Ohren schafft", ein gerüttelt Maß an Selbstrühmung zu: "Wenn sich der Autor als Autor identifiziert, entsteht die auto-eulogische Melodie."

Implizierte Voraussetzung

Eigentlich buchstabiert Borchmeyer somit nur aus, was den meisten Hervorbringungen, die sich an eine größere Öffentlichkeit wenden, zum Beispiel künstlerischen, innewohnt. Wenn eine Künstlerin oder ein Künstler nicht davon überzeugt wären, der Welt etwas zu übergeben, das alles Lob verdient, könnten sie es auch lassen. Ein junger Schauspieler und angehender Regisseur erzählte mir unlängst, dass er im Regie-Seminar wiederholt mit der Aussage aneckte, seine eigene Art zu inszenieren für die beste zu halten. "Aber du musst doch akzeptieren, dass wir anderen mindestens genauso gut inszenieren, aber halt anders", hörte er dann immer. Seine Antwort: "Aber wenn ich eure Art besser finden würde, würde ich ja so wie ihr inszenieren. Ich halte meine für die beste, sonst würde ich es so nicht machen." Das ist doch ein schlagendes Argument, oder? Die Auto-Eloge macht nur explizit, was die meisten Werke zur impliziten Voraussetzung haben: Ihre Schöpfer:innen zumindest halten sie für echt super!

Und wenn Borchmeyer sich selbst rezensiert, findet er wenigstens einen Kritiker auf Augenhöhe (warum nur fällt mir jetzt gerade der Arno Schmidt'sche Satz ein: "Ich finde Niemanden, der so häufig recht hätte, wie ich!"). Im Übrigen ist die auto-eulogische Melodie ohnehin in die meisten Kritiken eingewoben, zumindest wenn sie bewerten (wobei mal mit dem hartnäckigen Vorurteil aufgeräumt werden muss, dass Kritiken zwingend bewerten müssen; sie können auch einfach beschreiben – was oft langweilig ist –, oder besser: sie können den zu besprechenden Gegenstand ins Verhältnis zum Kritisierenden setzen und einen ersten Auslegungsversuch unternehmen, um so mit der Arbeit am hoffentlich vorhandenen hermeneutischen Reichtum des Werks zu beginnen; Klammer zu).

Selbst ziemlich schlau

Wenn eine Kritikerin also (und auch der Kritiker ist mitgemeint) nicht nur herumdeutelt, sondern bewertet und mit dem Daumen nach oben oder unten zeigt, dann schwingt sie sich automatisch zur Position derjenigen auf, die zu diesem Urteil befähigt ist. Wenn sie von einer "klugen Inszenierung" schreibt, sagt sie zugleich: "Ich bin selbst ziemlich schlau, denn sonst würde ich die Klugheit der Inszenierung nicht erkennen." Wenn sie eine "stilsichere Sprache" attestiert, prätendiert sie, von Stil etwas zu verstehen. Und wenn sie alles nur dämlich findet, dann hält sie sich für den Moment den Künstler:innen überlegen. Was ja alles sein kann.

Insofern ist die Auto-Eloge Borchmeyers nur ein Sonderfall der Kritik: Die Selbsterhöhung ist dem kritisch wertenden Text so oder so bereits eingeschrieben. Die Besonderheit von Borchmeyers Text liegt also weniger in seinem Eigenlob als vielmehr in seinem Gegenstand. Und das ist mir durchaus nicht Grund genug, in einen Shitstorm einzustimmen.

Oder? Was meint ihr? Geile Kolumne, nicht wahr?

Kolumne: Als ich noch ein Kritiker war

Wolfgang Behrens

Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit der Spielzeit 2017/18 am Staatstheater Wiesbaden tätig - zunächst als Dramaturg, inzwischen als Schauspieldirektor. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er unter anderem in seinem reichen Theateranekdotenschatz.

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Kommentare  
Kolumne Behrens: Link zur Auto-Eloge?
Ich hätte die Kolumne anders geschrieben... etwas geiler.
Naja.

Was ich fragen wollte: Gibt es einen Link zur erwähnten Rezension?

(Werte:r N. N., vielen Dank für den Hinweis, wir haben die Rezension inzwischen verlinkt. Herzliche Grüße aus der Redaktion)
Kolumne Behrens: Kritik an der Kritik
Der Text von Borchmeyer gibt doch überhaupt nirgends vor, Kritik oder Rezension sein zu wollen? Verstehe also durchaus, dass jemand das Selbstlob unangenehm finden kann, aber wer Selbstlob nicht mag sollte den Kulturkreis wechseln.
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