Kay Wuschek – Theater an der Parkaue, Junges Staatstheater Berlin, Intendant

Welches war Ihr herausragendstes, schönstes, beeindruckendstes Theatererlebnis im Jahr 2008, am eigenen Haus oder an anderen Häusern? Und warum?

Voller Vitalität und Leidenschaft versuche ich dafür zu sorgen, dass die herausragendsten, schönsten und beeindruckensten Theatererlebnisse sich am Theater an der Parkaue, Junges Staatstheater Berlin ereignen. Das war 2008 so und wird auch 2009 so sein. Jede Intendantin und jeder Intendant, der gleiches nicht von sich behauptet und mit dieser Grundhaltung sein Theater führt, ist, um mit Schiller zu sprechen: ein Hundsfott.

Mit Sascha Bunge weiß ich einen Oberspielleiter an meiner Seite, für den Theater ein Ort der Erfahrung ist. Mit den Regisseuren Milan Peschel, Carlos Manuel, Esther Hattenbach, Lajos Talamonti, Wolf Bunge, Hans-Werner Kroesinger und norton.commander.productions formte sich 2008 dieser Ansatzpunkt weiter zu einem lebendigen Ort künstlerischer Vielfalt. Mit Erfahrung verhält es sich wie mit Gras. Es wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

Im Film "Die Außenseiterbande" von Godard wird der Louvre im Wettlauf in neuer Weltrekordzeit von 9 Minuten und 45 Sekunden durchquert. Meiner Meinung nach werden selbst hierbei aus den Augenwinkeln unzählige Kunstwerke wahrgenommen und selbst der eiligste Läufer wird aus den unterschiedlichsten Gründen hernach zu beschreiben wissen, was ihm im Gedächtnis bleibt. Bewege ich mich gleichermaßen durch mein Theaterjahr 2008 (darunter können sich auch Produktionen älteren Datums befinden), kehren Momente wieder, die, längst vergessen geglaubt, plötzlich vor mir stehen. That night follows day von Tim Etchells/Victoria markierte mich als in eigenen sprachlichen Mustern gefangen und verwies auf die Radikalität und das Serielle von Sprache im Erziehungsprozess. Wir sind Zukunft! Perspektive Hamburg von Maria Magdalena Ludewig ließ mich über ausufernde und eintrocknende Familien- und Sozialstrukturen stolpern. Rawums (:) – ein Ausflug ins Wunderland der Schwerkraft von Melanie Florschütz und Michael Döhnert lässt einen begreifen, warum manchmal zwei Jahre Entwicklungs- und Probenzeit wichtig sind. Auf das Gilbert&George-Zitat in Stefan Puchers Der Sturm war ich ganz privat neidisch. Nurkan Erpulats Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke? im HAU habe ich vielen Bekannten und Freunden empfohlen. Der Anfang von Castorfs Kean war eine wunderbare Konversation über Konversation. Die Arrangements in Joel Pommerats Inszenierung Dieses Kind finden kaum ihresgleichen. E.T.E. – Extended Teenage Era von Samir Akika / Renegade Theatre erlebte ich in einer Notvariante und erfuhr, dass hier Personen eine Bühne im wahrsten Sinne des Wortes bewohnen und Zeit nebensächlich wurde. Nur so konnte ich mitwohnen.

Das wichtigste, schönste und großartigste im Jahr 2008 war bei aller Blindheit, die ein Alltag produziert, immer erneut zu erfahren, welch wunderbares Ensemble und welch leidenschaftliches Team das Theater an der Parkaue zu dem machen, was es ist, ein Theater, was seinesgleichen sucht. Es hat mich im Jahr 2008 wie kein anderes bewegt, verändert, erregt und verführt.

Lesen Sie weiter (und damit wieder von vorne), was Andreas Beck (Schauspielhaus Wien) 2008 besonders beeindruckte.