Iron Maiden, Golden Girl, Männerphantasie

von Otto Paul Burkhardt

Mannheim, 6. Januar 2009. Kommt ein netter Herr in Anzug und Krawatte auf die völlig leere, schwarze Bühne, setzt sich auf einen mitgebrachten Barhocker, sagt "Guten Abend" und fängt mit dem Prolog im O-Ton Schiller an. Erläutert zwischendrin, dass da nun Johannas Vater Thibaut d'Arc spricht. Berichtet vom Siegeszug der "Engelländer" in Frankreich. Fährt fort mit einem wehklagenden "Oh" und setzt laut in Klammern dazu "jetzt redet sich der Vater langsam in Rage".

So flutschen wir ironisch gebrochen rein in Schillers romantische Tragödie "Die Jungfrau von Orleans" – auch ohne "ländliche Gegend", "Heiligenbild" und "hohe Eiche".

Schiller als reduktives Erzähltheater? Als Text-Rezitier-Workshop im lockeren Plauderton? Distanziert zeigend im good old epischen Theater-Stil? Alles was Brecht ist! Ja, so beginnt Regisseur Georg Schmiedleitner seinen Schiller in Mannheim. Bald stehen sechs solche Anzug-Mannen auf der Bühne und spielen Drama mit verteilten Rollen, garniert mit Einschüben wie: "Und jetzt passiert etwas Erstaunliches." Während die sechs Schauspieler von Johannas göttlichem  Sendungsbewusstsein reden, sitzt die Besagte längst stumm am Bühnenrand – eine lächelnde, träumende Hirtenmaid im grünen Sterntaler-Kleidchen.

Allein gegen alle

Die Besetzungsliste ist auch Regiekonzept: Es gibt nur zwei Rollen, nämlich "Johanna" und "Männer". Schmiedleitner, Experte für verträgliche, bildkräftige Klassikerversionen,  entstellt so Schillers Dramenplot zur Kenntlichkeit – denn einer erdrückenden "Männer"-Rollenmehrheit (zu der auch noch Isabeau, die Mutter König Karls VII., gerechnet wird) steht ganz allein Johanna gegenüber, das Bauernmädchen, das bald das Schwert nehmen, die Engländer schlagen und die Franzosen zum Sieg führen wird. Johanna – eine Männerphantasie.

Wobei es wurscht ist, auf welcher Seite des Kriegs wir uns gerade befinden – die Regie ordnet jedem Männer-Schauspieler möglichst paritätisch je eine englische und französische Rolle zu. Entsprechend paritätisch wird gebrüllt, aufgehetzt und losgemetzelt. Rein verbal, versteht sich: Mehr als blutverschmierte weiße Hemden gibt es nicht. Zuweilen geht es laut, anpackend, theaterillusionistisch zur Sache. Doch all das wird stets gebrochen, durch Rollenwechsel und Erkläreinschübe.

Bilderoper und Klavierpolonaise

Nur Johanna bleibt sich treu – ungebrochen, ironiefrei und schnurgerade unpathetisch verkörpert von einer einzigen Schauspielerin. Dascha Trautwein zeigt, wie nah das alles beieinander liegt – hier die noch halb kindliche Träumerin im zarten Kleidchen, dort die rasende Kampfmaschine in Stiefeln, Jacke und Helm. Eine Gotteskriegerin in langem Blondhaar, deren Schwert wie ein Holzkreuz aussieht.

Ab und zu macht Schmiedleitner in dieser kargen, schnellen Schiller-Performance auch auf große Bilderoper. Dann lässt er’s gewaltig dröhnen und verbreitet mächtig Nebel auf der Bühne. Oder denunziert Johannas Einigungsappell ("Kein französisch’ Blut soll fließen") zur banalen Klavierpolonaise und blendet leitmotivische Gesänge ein – "All that we see or seem / Is but a dream within a dream": kleine Widmung an den 200er-Jubilar Edgar Allan Poe.

Jungfrau vor dem Karren - Sprungbrett für vieles

Die Männer? Mit ihnen treibt Schmiedleitner das Ganze oft in die Farce. Reinhard Mahlberg etwa switcht virtuos vom besorgten Johanna-Vater zum nihilistisch-trocken dahinsterbenden Talbot ("so strömt dahin, ihr Bäche meines Bluts – hol mir doch mal `nen Stuhl"). Genauso wahnwitzig schnell wechseln Jens Atzorn, Thorsten Danner, Jacques Malan und Matthias Thömmes die Fronten und Rollen – denn auf beiden Seiten wimmelt es von Großsprechern, Opportunisten und Möchtegernhelden. König Karl? Der ist bei Michael Fuchs ein heillos überforderter, blöd-begriffsstutzig grinsender Partybengel mit Pappkrone, der am liebsten mit Konfetti um sich wirft – untauglich für patriotischen Kampfesmut.

Als Johanna sich – wider den göttlichen Auftrag – in einen englischen Haudegen verliebt, lässt die Regie minutenlang Blattgold-Glitter regnen. Die behelmte Amazone, das Iron Maiden mutiert zum Golden Girl. Und als solches zieht sie einen Karren mit Kriegstreibern über die Bühne – andersrum: der Kriegstreiber-Haufen hat Johanna vor seinen Karren gespannt.

Was war’s nun? Schmiedleitner nutzt Schiller als Sprungbrett für vieles – Erzähltheater, Klassiker-Workshop, Impro, Horror, Comedy, Groteske und große Oper. Dieser Mix wirkt gefällig, aber auch bilderstark. Männerphantasie, Gotteskriegertum, nationaler Fanatismus sind austauschbar: Die gängigen Themen klingen an. War da was tragisch? Eher nicht. Schmiedleitner lässt es lieber märchenhaft enden: Johanna sitzt wieder still und lächelnd am Bühnenrand. Die 120 Minuten vorher? "A dream within a dream".

 

Die Jungfrau von Orleans
von Friedrich Schiller
Regie: Georg Schmiedleitner, Bühne und Kostüm: Florian Parbs, Musik: Sebastian Weber.
Mit: Dascha Trautwein, Jens Atzorn, Thorsten Danner, Michael Fuchs, Reinhard Mahlberg, Jacques Malan, Matthias Thömmes.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Zuletzt wurde hier von Georg Schmiedleitner im Oktober 2008 die Orestie in Nürnberg besprochen und im Juli 2008 Franzobels Geschichts-Sommertheater im Hausruck in Österreich Z!PF oder die dunkle Seite des Mondes.

 

Kommentar schreiben