Geschwätzige Ödnis

von Regine Müller

Oberhausen, 9. Januar. Die Bühne ist eine riesige, umgekippte Einkaufstüte. Nach vorne geöffnet, sieht man in der Tüte ein seltsames Interieur: eine geschwungene Treppe und im Erdgeschoss eine Menge Möbel. Sofas und Sessel, noch eingeschweißt in Plastikfolie, Lampen mit Preisschildern. Hier wohnt man noch nicht. Oder nicht mehr?

Die als Roman-Autorin hoch gehandelte Schottin A. L. Kennedy hat sich mit "Altweibersommer" vor acht Jahren erstmals der Bühne zugewandt, sieht man einmal von eigenen Auftritten mit Stand-up-Comedy (!) ab. Im Programmheft gibt Kennedy leichtsinnigerweise zu Protokoll, sie sei eher der Prosa zugeneigt, weil diese umfassendere Themen zulasse und dem Autor mehr abverlange. Theater als Lockerungs-Hobby einer ambitionierten Romancieuse. Wie ein Abfallprodukt aus dem Klischee-Zettelkasten der Autorin liest sich ihr geschwätziges Stück, im Untertitel als "häusliches Musical" bezeichnet, denn auch.

Konfliktfrüchte der Frustrationsarbeit

Der holprige und wenig schlüssige Plot ist schnell erzählt. Eine provinzielle Mittelstands-Familie ödet sich an: Vater Maurice (Torsten Bauer) ist korrupter Versicherungssachverständiger, der sich systematisch schmieren lässt, Gattin Pat (Anja Schweitzer) ist frustrierte Lehrerin, die mit dem Kollegen Malcolm (Michael Witte) liebäugelt, aber dem eigenen Ehemann fälschlicherweise ein Verhältnis unterstellt. Tochter Samantha (Nora Buzalka) sehnt sich nach dem Leben, während Sohn Danny (Caspar Kaeser) abgehauen ist und als zum katholischen Glauben Berufener ins familiäre Trümmerfeld zurückkehrt. Dann gibt es noch den mafiösen Bauunternehmer Walker (Martin Hohner), die fromme Oma (Karin Kettling), die als schottische Heidi-Kabel-Version auftritt und die Rauschebart-Wiedergeburt des calvinistischen Reformator John Knox, dessen dramaturgische Funktion nicht recht einleuchten will.

Unklar bleibt auch die Stoßrichtung des Textes, der sich im ersten Drittel als bitterböse Komödie mit Tschechow'schem Subtext geriert, dann aber unversehens ins klamaukige Feel-good-Genre kippt. Denn die familiären Konflikte, die sich in jahrelanger Frustrationsarbeit aufgebaut zu haben scheinen und nun so wortreich wie aneinander vorbei redend ausgetragen werden, lösen sich unversehens in Wohlgefallen auf. Der fromm gewordene Sohnemann predigt Harmonie, Heidi-Kabel-Oma droht "Gott sieht dich", und eins, zwei, drei verpuffen ödipale Dramen, Neid und Eifersucht. Auch die Geldgier und Sinnleere des mittelständischen Konsum-Daseins verziehen sich flugs, derweil gegen Ende großflächig Trockeneisnebel Bühne und Zuschauerraum flutet.

Lauwarme Witzchen langsam gezündet

Der mit Beginn der Spielzeit angetretene Intendant Peter Carp, der mit "Altweibersommer" seine erste eigene Regiearbeit vorlegt, hat derzeit vermutlich andere Sorgen. Denn obwohl er einen guten Start hinlegte, ist das Oberhausener Haus durch akute Finanzsorgen in seiner Existenz bedroht. Ob er es mit Kennedys häuslichem Musical allen recht machen wollte oder einfach nur unter Schock steht, weiß er selbst am besten. Tatsächlich klebt er erstaunlich gläubig am überlangen Text, der scharfe Striche dringend nötig gehabt hätte. Brav buchstabiert er Satz für Satz und lässt lauwarme Witzchen viel zu langsam zünden. Überhaupt fehlen dem Abend vor allem Tempo und Bosheit. So treuherzig kann nicht einmal die Hobby-Dramatikerin Kennedy die Moral von der Geschicht' gemeint haben.

Otto Beatus' im Schotten-Kilt am Klavier selbst vorgetragene Musikeinlagen, die ein bisschen wie Kurt Weill klingen wollen, aber auch einen Hauch von Hollywood-Glamour-Swing beschwören und das Ganze mit gut abgehangenem Lounge-Jazz übergießen, retten den Abend leider auch nicht. Denn sie halten bloß auf, statt aufzupeppen. Zudem sind die Gesangskünste der Oberhausener Schauspieler im Durchschnitt bescheiden bis nicht vorhanden und stellenweise mit Sprechgesang noch gelobt.

Unbeholfen und einförmig auch Carps Personenregie, die den Protagonisten jeweils nicht mehr als ein charakterisierendes Erkennungszeichen zugesteht: Samantha verdreht zum Zeichen ihrer Spätpubertät verlegen Arme und Beine, Malcolm kräht wie ein Kastrat, Pat stakst betont nervös auf Pantoletten mit Fellpuschel einher und Maurice lässt Gesicht und Arme hängen. Ein flauer, mutloser Abend.


Altweibersommer
von A. L. Kennedy
Regie: Peter Carp, Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüme: Gerti Rindler-Schantl, Musik: Otto Beatus, Licht: Alexander Eck.
Mit: Nora Buzalka, Karin Kettling, Anja Schweitzer, Torsten Bauer, Caspar Kaeser, Martin Hohner, Hartmut Stanke, Michael Witte.

www.theater-oberhausen.de

 

Am Oberhausener Saison-Auftaktwochenende sahen wir, was Ex-Castorf-Star Herbert Fritsch aus Molières Tartuffe machte.

 

Kritikenrundschau

Dass das Theater Oberhausen um sein Leben spielt, ist für Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen (12.1.2009) kein Grund, "ein Kritikerauge zuzudrücken", denn das "wäre eine andere Form der Geringschätzung". Und so konstatiert er, dass A. L. Kennedys Stück "Altweibersommer" dahinplätschere, und "wo es der Inszenierung von Peter Carp an Rhythmus, Verve und Unbekümmertheit fehlt, gerät es zäh. Die Schauspieler bedienen die Typen und machen kaum mehr draus." Kennedys Figuren kennten "statt einer Sprache für ihr alltägliches Unglück nur Plattitüden und Ratgeber-Weisheiten". "Das vage, floskelhafte Reden" bestimme das Stück: "A. L. Kennedy kann Dialoge schreiben, doch sie beweist es eher im Detail". Eine "zugkräftige und halbwegs schlüssige Handlung" werde nicht entwickelt, "die Komödie scheut Zuspitzung und Konflikt".

In der Westdeutschen Allgemeinen (12.1.2009) meint hingegen Michael Schmitz, dass das Oberhausener Ensemble "mit einer glanzvollen Leistung" gegen die Existenzangst anspiele. Dabei sei A.L.  Kennedys Stück "durchaus gewöhnungsbedürftig", "ihr Umgang mit dem Theater 'very british' (…), leicht unterkühlt. Die Dramatik ist schottisch sparsam dosiert." Doch Peter Carp gelinge eine "bei gelegentlicher Erheiterung erschütternd dichte, zwischen Traum und Wirklichkeit wechselnde Milieustudie." Gemeinsam mit einem überzeugenden Ensemble baue Carp einen "gewiss auch streitbaren Theaterabend".

In den Ruhr Nachrichten (12.1.2009) spricht Klaus Stübler von einem "unspektakulären Drama, das Kennedy realistisch und teilweise boulevardesk angelegt" habe. "Etwas befremdlich fürs deutsche Publikum" sei jedoch "die schottisch-religiöse Komponente" im Stück. Immerhin sei aber das Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer "ein echter Hingucker".

 

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