Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Wie die Saat der BDS-Kampagne dieser Tage in Kulturinstitutionen aufgeht
Hässliche alte Welt
28. November 2023. BDS und Postkolonialismus machen seit Jahrzehnten aggressiv Stimmung gegen Israel. Deutsche Kulturinstitutionen wollen davon nichts mitbekommen haben. Was für eine Bankrotterklärung!
Von Esther Slevogt
28. November 2023. Jeden Tag eine neue Nachricht aus der schönen neuen Welt des Antisemitismus, die tatsächlich eine uralte ist. Doch zur Selbsterneuerung sucht er sich immer wieder neue Wirtsdiskurse, den Postkolonialismus zum Beispiel. Dieser Diskurs bietet aktuell wohl die optimale Folie, vor deren Hintergrund der Judenhass gerade so gesund und munter aussieht wie seit fast hundert Jahren nicht mehr.
An der Berliner Universität der Künste zum Beispiel. Dort hat am 13. November eine Performance stattgefunden, von der nun in der FAZ Claudius Seidl ein erschütterndes Zeugnis ablegt. Um die Mittagszeit hätten sich etwa hundert Studierende in der Eingangshalle versammelt – einige mit Transparenten, auf denen "Condemn Genocide" oder "Stop Colonialism" und natürlich "Free Palestine" stand. Die meisten trugen Seidl zufolge schwarze Kleidung und schwarze Corona-Masken, die Innenflächen ihrer Hände waren blutrot bemalt. Hierfür lieferten die Studierenden unterschiedliche Erklärungen, etwa, dass dies ein Zeichen für das Blut an Politikerhänden wäre.
"Jeder, der sich mit der jüngeren Geschichte Israels beschäftigt hat, werde die roten Hände aber anders deuten", führt Seidl weiter aus: "Im Oktober 2000 wurden, in der Nähe von Ramallah, zwei israelische Reservisten wegen Falschabbiegens verhaftet und festgesetzt in einem Polizeirevier. Männer, die mit Messern und Stangen bewaffnet waren, stürmten das Revier und lynchten die beiden Israelis. Und dann trat einer der Mörder ans Fenster und zeigte der Menge seine blutverschmierten Hände." Diese Umkehr der Täter- und Opfersymbolik ist typisch für die Stimmung dieser Tage, wo selbst internationale Organisationen zu den Verbrechen des 7. Oktobers schweigen oder diese leugnen beziehungsweise relativieren.
Israelische Studentin betritt Uni nicht mehr
Doch zurück zur UdK. Als deren Präsident Norbert Palz auf der Bildfläche erscheint und mit höflichem Faktenvortrag zu intervenieren versucht, eskaliert die Veranstaltung der FAZ-Beschreibung zufolge. "Palz hatte aus Sicht der Studenten den unverzeihlichen Fehler begangen, in einer offiziellen Stellungnahme der UdK den Terror der Hamas zu verurteilen und sich mit dem Staat Israel solidarisch zu erklären."
"Condem! Condem!", skandierten orchestrierte Chöre immer wieder, dirigiert und gesteuert auch von zwei bekannten Gesichtern aus dem BDS–Umfeld. Gefordert wurde Seidl zufolge, "der Präsident möge die Bundesregierung davon überzeugen, dass sie Israel nicht mehr unterstütze. Und diese, von keinerlei Wissen getrübte, absolute Gewissheit, dass Israel ein völkermörderischer, Apartheid praktizierender, faschistischer Staat sei, was der Präsident doch wisse und nur nicht zugeben wolle." Eine israelische Studentin, die ihr Entsetzen über die Massaker der Hamas habe ausdrücken wollen, sei niedergebrüllt worden, bis sie weinend davonlief. Die UdK hat sie seitdem nicht mehr betreten.
Betragensnote "Pro Zionist"
Das sind die Nachrichten, die mein bürgerliches Heldenleben gerade verdüstern. Da verschaffen auch Veranstaltungen wie der große Promiauflauf von Igor Levit bis Alexander Scheer am 27. November im BE (den ich als Stream verfolgte) nur sehr kurzfristig Linderung. Denn die Neuigkeiten aus dem Universum des Judenhasses nehmen kein Ende: Tagesspiegel und Spiegel etwa berichten vom "Index of Cultural Institutions & Collectives’ Stance Towards The Current Palestinian Liberation Movement". Auf dem so überschriebenen Google-Dokument sind über tausend Kultureinrichtungen in aller Welt aufgelistet – mit einer Art Benotungssystem, was ihre jeweilige Haltung zum Nahostkonflikt betrifft. Dabei werden auch Einrichtungen, die das Massaker und die Massenvergewaltigungen der Hamas am 7. Oktober kritisierten, mit dem Vermerk "Pro Zionist" versehen.
Gute Noten und der grün unterlegte Vermerk "Support" werden an Institutionen vergeben, die sich proaktiv auf die Seite der Hamas und der Palästinenser stellten – zwischen beidem wird auf der Liste kein Unterschied gemacht. Neben der Benotung "silent" oder "checking" (wenn eine Haltung noch nicht identifiziert werden konnte) gibt es den Vermerk "Censorship" (wenn Einrichtungen vor dem Hintergrund der aktuellen Krise Veranstaltungen abgesagt oder Leute ausgeladen haben). Die Berliner Volksbühne allerdings erhielt für ihre Ausladung Jeremy Corbyns von einer Konferenz die Betragensnote "Pro Zionist", ebenso die Kurzfilmtage Oberhausen, deren Leiter das Massaker am 7. Oktober öffentlich verurteilte. Die Liste fordert außerdem dazu auf, weitere Hinweise zum Betragen von Kulturinstitutionen zu geben. Ein Einreichformular für diese Einladung zur Denunziation wird freundlicherweise gleich mitgeliefert.
Eine Ideologie auf dem Vormarsch
Die Saat der BDS-Kampagne geht dieser Tage besonders fruchtbar auf. BDS, das steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" und baut seit seit fast zwanzig Jahren erhebliche Drohkulissen auf, um Individuen, Firmen oder Institutionen zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler zu drängen. Auf das Konto der BDS-Propaganda gehen die Angriffe auf Starbucks- und McDonalds-Filialen in den Tagen nach dem 7. Oktober, die Übergriffe auf jüdische Studierende, Hass und Desinformation. Man muss nur auf die Webseite des deutschen BDS-Ablegers gehen, um die unterschwellige Gewalt ganz unmittelbar erleben zu können, die von dieser weit verzweigten Organisation ausgeht. Die BDS-Kampagne hat in den Jahren seit ihrer Gründung 2005 weltweit Universitäten ebenso wie internationale Kultureinrichtungen mit mit ihrer Ideologie infiltriert
Ihre Nobilitierung durch die wichtigsten Kulturinstitutionen und Theater dieses Landes (und deren Leitungen) erreichte die BDS-Bewegung mit der Erklärung der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" vor vier Jahren. Zu den Unterzeichnenden gehörten die Intendant*innen der Berliner Festspiele, des Deutschen Theaters Berlin, des Bündnisses Internationaler Produktionshäuser, der Münchner Kammerspiele sowie des Deutschen Bühnenvereins. Die Initiative reagierte auf einen Bundestagsbeschluss, "keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen".
Die Initiative kritisierte nun, dass "wichtige lokale und internationale Stimmen aus dem kritischen Dialog ausgegrenzt werden sollen“ – und meinte unter anderem den Gegenwind, den die Einladung des kamerunischen Historikers und Philosophen Achille Mbembe zur Ruhrtriennalen-Eröffnung 2020 nach sich zog (die dann Corona-bedingt abgesagt wurde). Der 1957 geborene Mbembe gilt als einer der weltweit wichtigsten Theoretiker des Postkolonialismus. Seine erklärte Nähe zum BDS und dessen umstrittenem Hauptclaim, der multiethnische Staat Israel sei ein Apartheidsystem, hatte ihn aus der Sicht vieler Kritiker*innen für einen Auftritt in einem staatlich finanzierten Kulturereignis disqualifiziert. "Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch oder politisch pauschal zu delegitimieren", hatten die Unterzeichner der "Initiative GG 5.3. Weltoffenheit" mit Bezug auf Mbembe damals geschrieben.
Sinistre Meinungen
Aber was soll das eigentlich heißen? Aus heutiger Sicht klingt dieser Satz aus dem Plädoyer unserer Kulturoberen wie die akademische Version des Rufs "Free Gaza from German Guilt", der seit dem 7. Oktober immer wieder skandiert wird. Als wären Deutsche auf Grund ihrer Schuld per se zu keiner gültigen Meinung in dieser Frage berechtigt oder überhaupt dazu fähig. Als bestünde nicht über die Hälfte der multiethnischen israelischen Gesellschaft aus Menschen, die gewaltsam aus arabischen und afrikanischen Ländern vertrieben wurden, weshalb sie überhaupt keine "Weißen" sind. Als wäre der Postkolonialismus bei allen Verdiensten mit seinem blinden Fleck, was den eigenen Antisemitismus betrifft, nicht längst auch eine brandstiftende und diskursverengende Ideologie geworden. Wenn Leute sinistren Meinungen, fundamentalistischen Ideologien oder Vorstellungen anhängen, dass etwa die Welt eine Scheibe ist oder Darwins Evolutionstheorie gegen die Erkenntnisse der Bibel verstößt, würde man dann auch sagen: Der Mensch hat halt andere Erfahrungen?
Aus heutiger Sicht erscheint mir diese Erklärung jedenfalls wie eine tragische Bankrotterklärung, die eher zum indolenten wie inadäquaten Verhalten der sonst so meinungsfreudigen Kultureinrichtungen nach den Verbrechen des 7. Oktober beigetragen hat, als zur angestrebten Weltoffenheit. Im Grunde ist sie das traurige Dokument der Ideologisierung vieler Kultureinrichtungen, die sie jetzt in diesen Krisenzeiten so navigationsunfähig und vulnerabel macht. Weil man vielen von ihnen einfach keine Haltung mehr zutrauen kann.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben
Esther Slevogt
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
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Ich habe dort studiert und mir dreht sich gerade der Magen um. Grauenhaft.
Unter dem Slogan "AREA stands for Palestine" wird für den 05.12. zu einem "Open Meeting" (online) eingeladen. In der Einladungen werden widerlegte Behauptungen über die Politik Israels wie "Apartheidsystem", "Besatzung" usw. und antisemitische Stereotype reproduziert. In diesem Meeting werden ausschließlich "palästinensische Aktivisten" und ihre Supporter auftreten.
Das AREAS-Network ist aus IETM hervorgegangen. Es stellt sich die Frage, ob hier mit Fördermitteln der EU BDS-Aktivitäten unterstützt werden.
Das alles miteinander zu verquirlen ist wenig hilfreich.
Und: wie ich finde, ereifert sich Esther Slevogt kaum. Sie bleibt sachlich. Es besteht allerdings sehr wohl Grund, sich zu ereifern und gegen diese Ideologie zu kämpfen. Mit Respekt und Menschlichkeit. Gegen Hass.
Unverständlich ist mir die Kritik, die "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" werde im Artikel in einen Topf mit dem UdK-Skandal geworden, denn das Thema bildet einen Block für sich. Initiativen, die von solchen kulturpolitischen "Schwergewichten" ausgehen, sind ja eine Seltenheit, weil die Protagonist*innen vielbeschäftigt sind und normalerweise anderes zu tun haben. Daher hat es mich, milde gesagt, merkwürdig berührt, als für den nachweislich antisemitischen BDS und einen nachweislich antisemitisch argumentierenden Philosophen ein derartig prominenter Zusammenschluss zustandekam, um "israelkritische" Diskursbeiträge zu schützen, die in Wahrheit weltweit und auch in großen Teilen der deutschen Gesellschaft längst tonangebend sind.
Dass Barbara Mundel und Michael Grosse unterm Eindruck des Hamas-Terrors ihre Unterschriften offenbar zurückgezogen haben, ist umso ehrenwerter. Wolf Biermann hat es im "Berliner Ensemble" auf den Punkt gebracht: Die Palästinenser befreien, das könne nicht mal Israel mit seinen vielen Waffen, über die man froh sein müsse - das könnten nur sie selbst, wenn sie sich aus ihrer Unmündigkeit und dem Missbrauch durch ihre vorgeblichen arabischen "Brüder" befreiten. Von Freiheit aber will der völkisch-autoritäre BDS nichts wissen. Seine Vertreter*innen haben noch keine Diskussionsrunde, in der ich war, bereichert. Außer vielleicht durch wildes Geschrei, wenn ihnen etwas nicht passte.
„Wir halten den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend und lehnen den Boykott Israels durch den BDS weiterhin ab. Der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form von gewaltbereitem Fundamentalismus steht im Zentrum unseres Plädoyers von 2020. Dafür setzen sich die jeweiligen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen im Rahmen ihrer jeweiligen Arbeit aktiv ein.“
Ich bin prinzipiell gegen "Rücknahme" von Unterschriften, gleich wofür. Gegeben ist gegeben.
Ich bin aber für ein bedeutend genaueres und tiefes Überlegen vor dem Leisten von Unterschriften. Gleich, zu welchem Zeitpunkt und unter welchem inneren oder äußeren Druck. Wer so schnell bis vorauseilend - was auch immer - unterschreibt, hat vor allem zu wenig Selbstachtung oder generell keine Achtung vor Namen als Nomen und ihrer Abkunft, vermute ich.
Problem der Medien allgemein --> die dekoloniale Haltung zum Popkulturellen Befehl hochschreiben (lassen) und sich dann wundern.
Auch die Initiative Weltoffenheit ist von nachtkritik.de ist bei Gründung nicht kommentiert oder kritisiert worden. Dabei hat sich deren Haltung/ "Plädoyer" ja nicht geändert. ich habe auch kein Interview bei nachtkritik gefunden, dass eine/n der Teilnehmenden Menschen zu diesem Engagement befragt hätte.
___________________
Werter Klaus Wilhelm,
das Onlinemagazin "Die Ruhrbarone" hat bereits eine solche Umfrage durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht. Wir haben hier darüber berichtet:
https://www.nachtkritik.de/meldungen/zwei-intendanten-ziehen-unterschriften-unter-initiative-gg-5-3-weltoffenheit-zurueck
Herzliche Grüße aus der Redaktion
Aber noch wichtiger als der Wortlaut der Erklärung ist doch, was danach geschehen ist: Haben sich die Kunst- und Kulturinstitutionen tatsächlich für Dialog eingesetzt oder nicht? Ist es nicht so, dass das deutsche Goethe-Institut tatsächlich oft der letzte Raum ist (war?), in dem israelische und palästinensische Menschen aufeinander getroffen sind und miteinander diskutiert haben? Und ist es nicht anderseits so, dass die arabischen Staaten alles daran setzen, genau das zu verhindern? Aber wie soll dann jemals der Friedensprozess wiederbelebt werden? Kann es sein, dass genau das das Ziel von BDS und den arabischen Staaten ist - die Wiederbelebung des Friedensprozesses zu verhindern???
Darüber hätte man tatsächlich besser nachdenken können. Aber es ist ja nie zu spät (heißt es)...
R.I.P. du guter Mann