Teutsche Recken im Schlamm

von Michael Laages

Detmold, 5. Februar 2009. Sie haben sich wirklich viel vorgenommen – zum einen dieses sonderbare, wie aus der Zeit gefallene Stück zu retten, es kenntlich bleiben zu lassen gegenüber dem offensichtlichen Missbrauch, der mit ihm getrieben wurde: "Die Hermannschlacht" von Christian Dietrich Grabbe, diesem Verlorenen im literarischen Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts.

 

1836, in Grabbes Todesjahr, wurde die Ausgabe letzter Hand fertig gestellt, aber erst knapp 100 Jahre später, schon mitten im sieghaft-euphorischen Furor des Nationalsozialismus, bestritt auf einer Freilichtbühne die weithin unbekannte Spielschar Nettelstedt die Uraufführung des deutsch-römischen Schlachtengemäldes. Größere Bühnen folgten, und den Nazis kam die Beschwörung des deutschen Befreiungskampfes gegen die Fremdherrschaft natürlich gerade recht. Deutlicher noch als die ältere "Hermannsschlacht" des Grabbe-Kollegen Kleist war diese hier benutzbar.

Flickenteppich der Assoziationen
So etwas wie eine "ursprüngliche Form" des Textes gibt es also nicht; es gibt ihn nur im Missbrauch. Das ist ein gutes Argument für die vielstimmig kommentierte Fassung, die das Landestheater in Grabbes Heimatstadt Detmold jetzt zum Beginn der 2000-Jahr-Feiern um die Schlacht im Teutoburger Wald zeigt; das Theater Osnabrück übrigens nimmt sich den Text in dieser Spielzeit ebenfalls vor. Es sind, darauf verweist das außerordentlich informative Detmolder Programmheft, die ersten Inszenierungs-Versuche seit 1941; nach dem Krieg war Grabbes Stück (anders als das von Kleist) auf Grund der Vereinnahmung durch die Nazis fundamental diskreditiert.

Insofern nehmen die Detmolder um den regieführenden Intendanten Kay Metzger zum anderen auch diese Herausforderung an: "Die Hermannsschlacht" auf einen abenteuerlich sortierten Flickenteppich von unterschiedlichsten deutschen Assoziationen zu stellen. Und da das Programmheft auch das Textbuch beinhaltet, lässt sich dankenswerterweise im Nachhinein jeder einzelne Beitrag zu dieser "deutschen Betrachtung" verifizieren.

Weltmeister am Hindukusch
Die dramaturgische Fleißarbeit ist enorm – natürlich führen von Heiner Müllers "Germania Tod in Berlin" Spuren zu Grabbe, und natürlich auch vom Gedanken-Terror der Ulrike Meinhof. Philosophisches von Carl Schmitt oder Elias Canetti ist einmontiert, Hanns Johsts Propaganda-Text über den rheinischen National-Revolutionär "Schlageter" wird zitiert, aber auch Erich Kästners deutsche Betrachtung "Kennst Du das Land, wo die Kanonen blüh'n"; dann plötzlich (im Video) Herbert Zimmermanns deutscher Radio-Siegesschrei bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 ("Aus! Aus! Aus! Deutschland ist Weltmeister!") und der Satz des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, dass Deutschland nunmehr "am Hindukusch verteidigt" werde.

Gesungen wird auch viel – von "Als die Römer frech geworden" über "Lilli Marleen" bis zu beiden deutschen Hymnen der Nachkriegszeit. Zum Schluss singt gar der Hermann-Darsteller Alexander Frank Zieglarski Herbert Grönemeyers "Mensch"-Song zur Strom-Gitarre. Und natürlich ist auch der Bunker, in den Michael Engel den ganzen Abend stellt, schon beim ersten Hinsehen ein bedeutungsvoller Hinweis.

Horror-Held Hermann
Das Assoziationsgeflecht ist also unbedingt eindrucksvoll. Allerdings drängt sich mit der Zeit auch der Eindruck auf, dass hier weit offene Türen eingerannt würden – der anti-nationalistische Impuls, den der (ziemlich lange) Abend Mal um Mal bedient, gehört ja nun durchaus eher zum intellektuellen Mainstream der Berliner Republik. Es könnte durchaus sein, dass die Grabbe-Passagen zwischen diesen Zitaten stärker unter die Haut gingen, wenn sie nicht ständig kommentiert und relativiert würden. Denn es ist ja blanker Schrecken, Terror und Horror, den Hermann verbreitet. Zunächst in römischen Diensten stehend, bricht er die Macht der Besetzer von innen her auf und metzelt sie hin, nach guter deutscher Art. Aber durch die anhaltende Distanz, die die Kommentare schaffen, bleibt das Schlachtenbild selber sonderbar fahl.

Und der römische Feldherr Varus (Henry Klinder), ein Gemütsmensch, der angesichts des miesen Wetters in deutscher Provinz immerzu Schnupfen hat, und Held Hermann führen den Kampf eigentlich vor allem, indem sie einander mit feuchtem Lehm aus Eimern beschmieren und bewerfen; und wenn Herr Varus das eigene Ende unausweichlich kommen sieht, stülpt er sich selbst den Eimer über den Kopf. Da sieht der Befreiungskampf der "teutschen Recken" leider doch eher aus wie eine Schlammschlacht im Kindergarten.

 

Die Hermannsschlacht – eine deutsche Betrachtung
mit Texten von Christian Dietrich Grabbe und anderen
Regie: Kay Metzger, Textfassung: Christian Katzschmann und Kay Metzger, Bühne und Kostüme: Michael Engel.
Mit: Alexander Frank Zieglarski, Henry Klinder, Kerstin Hänel, Dominic Betz, Valentin Stroh, Manfred Baum, Robert Bittner, Chöre und Spielleute

www.landestheater-detmold.de

 

Mehr lesen? Im Oktober 2007 waren wir in Frankfurt/Oder bei Oliver Schmaerings Kleist-Bearbeitung Hermanns Schlacht.

 

Kritikenrundschau

Gewaltig und oft doppelbödig findet Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (7.2.2009) Kay Metzgers Geschichtsrevue nach Grabbes Herrmannsschlacht, der das wüste Drama ihrer Beschreibung zufolge immer wieder mit Einschüben aus der deutschen Geschichte und Literatur unterbrochen hat, die die Abgründe aufzeigen, in die das Drama, der darin verhandelte germanische Freiheitskampf und seine Rezeption geführt haben. Trotzdem bleibt der Aufklärungs-Mehrwert in Sachen Heldentum und Kriegsgewalt, nationaler Einigung und Vaterlandsverteidigung bei aller Frische, Dichte und Prallheit, die den Abend für sie auszeichnet, aus ihrer Sicht eher gering.

 

Kommentare  
Hermannschlacht: möchte niemanden verärgern
Man ist benahe versucht zu sagen: Na endlich mal der Versuch eines Wagnisses in der Hochburg der Hausmannskost. Aber was als scharf gedachte Zerlegung des arg belasteten Grabbes daherkommt, entpuppt sich schnell als wenig scharfsinnig. Es reiht sich (manch schönes) Bild an Bild, aber es ergibt sich kein Gesamtbild: letzendlich wohl, weil Regie und Dramaturgie sich wohl nicht zu einem eigenständig orginären Ansatz durchringen konnten. Denn Standpunkte zu haben, hieße ja Position beziehen. Und wer Positionen besetzt, macht sich angreifbar und angreifbar - also bitte - wer mag das schon sein. Man möchte ja niemanden verärgern und anderswo noch mal was werden.
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