Macbeth - Staatstheater Darmstadt
Tafel To Hell
2. September 2024. In Darmstadt stellt sich die neue Leitung des Schauspiels mit Shakespeares blutigstem Klassiker vor. Hausregisseurin Mizgin Bilmen verlegt das Schlachten in die Köpfe des Publikums, findet aber trotzdem eindringliche Bilder für die Höllenfahrt des Schottenkönigs.
Von Michael Laages
2. September 2024. Besser wird's nicht werden, Zukunft ist hier nicht vorgesehen. Der Herrscher, der dem am eigenen Machtwahn gescheiterten König Macbeth folgen wird, der junge Malcolm, wird kein bisschen gerechter regieren; am liebsten wäre er gar nicht nach Schottland gezogen, sondern lieber in England geblieben. Und ganz einfach haben sich die Weissagungen der Hexen realisiert, die Macbeth im dummen Wahn der Unverwundbarkeit nie richtig verstand – tatsächlich ist der "Wald von Birnam" auf Schloss Dunsinane zugewandert (die Soldaten hatten sich mit Ästen und Blattwerk getarnt), und tatsächlich trifft der vom eigenen Heer schon verlassene Machthaber auf den finalen Gegner, den "kein Weib geboren hat" – weil die Mutter von Feldherr Macduff vor der Entbindung starb.
Man mordet unsichtbar
Aber Mizgin Bilmens Inszenierung überlässt Shakespeares berühmte Rätselbilder der Phantasie des Publikums – wie die Regisseurin überhaupt angenehm unspekulativ zu Werke geht; und etwa das schlimme Gemetzel weglässt, das die Schergen des Macbeth im Hause des Konkurrenten Macduff anrichten, und auch die Auftragsmorde am alten Freund und Partner Banquo und dessen Kindern. Viel wird ja gemordet im Kürzesten von Shakespeares Klassikern, aber eher wenig davon wird in Darmstadt gezeigt.
Stattdessen wird in den wuchtigen Raum-Visionen von Sabine Mäder vorgeführt, wie fundamental die Welt insgesamt aus den Fugen ist – erst hebt sich der Bühnenboden in die Höhe und erweist sich an der Unterseite als Spiegel, mit dessen Hilfe wir, das Publikum, hinab schauen können in die Höllen der immerzu feuerähnlich in Orange ausgeleuchteten Unterwelt. Ganze Flächen und monumentale Segmente der großen Darmstädter Bühne werden hinauf und hinab gefahren, und dabei zerbricht auch die Tafel des Festmahls zur Königskrönung.
Jene Tafel, an der der neue Herrscher Macbeth mehrfach den gerade aus dem Weg geräumten und nun blutüberströmten Ex-Konkurrenten Banquo sitzen sieht und alsbald angemessen wahnsinnig wird in der Angst vor diesem Geist. Ein Teil des langen Tisches ragt in der Folge nur noch in die Tiefe – als eine Art "highway to hell"; auf dem anderen Teil, noch in der Oberwelt, wird Macbeth nach dem finalen Untergang die letzte Ruhe finden.
Das sind starke Bilder am Beginn des neuen Darmstädter Schauspiel-Teams – Mizgin Bilmen ist nun die leitende Hausregisseurin, Alexander Kohlmann kam nach Stationen in Braunschweig und Dessau als neuer Schauspieldirektor und leitender Dramaturg ins Südhessische. In Dessau war es ja gelungen, die "Hamlet"-Inszenierung von Philipp Preuss zum Theatertreffen nach Berlin zu bringen; eine der Hamlet-Figuren, den Schauspieler Niklas Herzberg, brachte Kohlmann jetzt für den "Macbeth" mit nach Darmstadt. Der Neustart, das ist zu spüren, soll es in sich haben.
Besondere Blickwinkel
Seit einiger Zeit schon wird das große Darmstädter Haus ja durch einen Trick vom Opern- auch zum Schauspielhaus. Auf die Hinterbühne werden wie jetzt für "Macbeth" ein Dutzend breite Reihen gebaut, und wir schauen sozusagen "von hinten" auf die Bühne, zugleich aber auch in die Weite des Zuschauerraums des Musiktheaters; das eröffnet herausfordernde Spiel-Perspektiven, etwa mit dem Video vom Gespräch, in dem der zukünftige Herrscher Malcolm dem strategischen Partner Macduff gesteht, was für ein ausgemachter Widerling er sei, absehbar schlimmer als Macbeth; parallel zum Video sehen wir die beiden auch in einer der obersten Reihen des Opern-Gestühls. Und auch die finalen Weissagungen der Hexen, im Video dargestellt von Macduffs toten Kindern, haben die richtige Energie fürs letzte Gefecht.
Überhaupt sind die Hexen von Beginn an sehr speziell in Bilmens Inszenierung: zwei bieder-brave Bürgerinnen und ein feister Bürger mit einer Art Honecker-Hütchen und Herren-Handtasche suchen, wenn es losgehen soll, im Publikum noch den Platz, der auf ihrer Karte steht; sie finden ihn aber nicht und entern stattdessen die Bühne.
Prägende Momente, starke Bilder
Gabriele Drechsel, Wiebke Frost und Jörg Zirnstein sind gerade in der schlichten Mitbürgerlichkeit (und am sächsisch-thüringischen Wahltag) eine angemessene teuflische Vision vom Un- und Unterbewussten in Herrn und Frau Jedermann. Und ähnlich intensive Energie und Phantasie verwendet die Regisseurin auf die Herrscherin im Hause Macbeth – Irina Wrona kommt zunächst eher als Leder-Diva daher, wenn sie dem zögernden und zaudernden Schlacht-Heimkehrer und Ehegatten den ersten Mord einredet: am schwachen, immerzu hinfallenden und stimmlich schon sehr jenseitig klingenden Alt-König Duncan, wie Nico Ehrenteit ihn spielt. Später, kurz vor dem Tod, hält diese wilde junge Königin eine Art Kind im Arm (das sie tatsächlich ja nicht hat); und in einer Blutblase platzt ihr das Spielzeug vor der Brust.
Auch für alle anderen, Florian Donath, Sebastian Schulze und Marcus Hering, hat Bilmen prägende Momente und starke Bilder gefunden. Und mit den technischen Abläufen fordern Regisseurin und Bühnenbildnerin die Gewerke des Hauses aus besondere Weise. So legen sie los, die Neuen in Darmstadt. Da bleiben wir dran.
Macbeth
von William Shakespeare
Deutsch von Jürgen Gosch & Angela Schanelec
Regie: Mizgin Bilmen, Bühne: Sabine Mäder, Kostüme: Martina Lebert, Komposition: Nazanin Noori, Dramaturgie: Alexander Kohlmann.
Mit: Florian Donath, Gabriele Drechsel, Nico Ehrenteit, Wiebke Frost, Markus Hering, Niklas Herzberg, Sebastian Schulze, Irina Wrona, Jörg Zirnstein.
Premiere am 1. September 2024
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater-darmstadt.de
Kritikenrundschau
Wenig "konzentriert" und teils "vertändelt" findet Sylvia Staude von der Frankfurter Rundschau (3.9.2024) diese Spielzeiteröffnungspremiere in Darmstadt. Macbeth komme wie "der Erzbösewicht in einer Comicverfilmung" daher, Lady Macbeth sei als "Leder-Lady" und "Rockerbraut" von Beginn an "krass überzeichnet". "Wenn dann Malcolm zu singen beginnt, fragt man sich, ob man das nicht alles als Parodie aufs Regietheater verstehen muss."
"Der Anspruch, Theater als Zusammenspiel von Raum, Zeit, Klang, Licht, Körpern und Erzählung zu verstehen, die von den Zuschauern zusammengefügt werden, prägt die Inszenierung", berichtet Eva-Maria Magel im Rhein-Main-Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.9.2024) und zeigt sich insbesondere vom Raumkonzept des Abends und von den Kinderauftritten gefesselt. Im Ganzen: "Eine Vertrauenserklärung an das Theater zu Beginn dieser Spielzeit."
"Mutig, originell und auf eine produktive Art irritierend“ findet Ursula May im Hessischen Rundfunk hr2 (2.9.2024) den Abend. Die originellen Neudeutungen gingen "allerdings manchmal zu Lasten der Vielschichtigkeit der Figuren, vor allem bei Macbeth und Lady Macbeth. Der ganze Abend dauert nur zwei Stunden ohne Pause – es wurde sehr viel gestrichen, dafür andere Texte dazu genommen. Manche der Rollen werden von den Hexen übernommen. Das macht es auch nicht immer leicht, den Überblick über die Figuren und den Handlungsverlauf zu behalten."
"Dieser 'Macbeth' ist ein starker Einstand fürs neue Team des Darmstädter Schauspiels", urteilt Stefan Benz im Darmstädter Echo (3.9.2024). Mizgin Bilmen wolle das Stück "als Seelendrama des menschlichen Verderbens verstanden wissen". Besonders Lob spendet der Kritiker Irina Wrona, die als Lady Macbeth "die Dramaturgie des Abends auf Trab hält" und dabei als "schlimmste Königin, aber beste Entertainerin und Hexe, die Schottland haben kann", erscheint.
Von einer "bildgewaltigen Inszenierung" berichtet Katja Sturm in der Frankfurter Neuen Presse (3.9.2024) und hebt die Auftritte der famosen Irina Wrona als Lady Macbeth hervor, ebenso sie die finale Selbstcharakterisierung des kommenden Herrschers Malcolm als "lüstern und gierig". Fazit: "Solch starke Momente finden sich einige, aber Irritierendes lässt der Tiefe nur im Bild genügend Raum."
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Was die Rolle v Macbeth angeht: Ich schliesse mich da eher Darmstädter an.