Resilienz stärken

9. September 2024. Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben hohe Wellen geschlagen. Das Erstarken der Rechten stellt auch Kunst und Kultur vor dringliche Fragen. Sachsen kennt Durchgriffs- und Einschüchterungsversuche von Rechts zur Genüge.

Von Michael Bartsch

Dieses mobile Klo führt die AfD regelmäßig auf ihren Demos mit. Hier in Saalfeld 2024 © mb

9. September 2024. Gut eine Woche liegen die Wahlen in Thüringen und Sachsen zurück. Sie brachten das erwartete Erstarken der AfD in beiden Landesparlamenten. Jetzt stehen die Sondierungen für die Regierungen an, man müht sich um die Alltagsgeschäfte. Was für die Kultur mit dem wachsenden Einfluss der Rechten auf dem Spiel steht, lässt sich gleichwohl schon beschreiben. Sachsen hat in der jüngeren Vergangenheit genügend Beispiele für deren politisches Agieren gegeben.

Bereits 2017 hatte der damalige kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marc Jongen, die "Entsiffung des Kulturbetriebes" programmatisch vorgegeben, mit dem Ziel, "die bisherige Förderung politisch-korrekter Projekte herunterzufahren",

Hymnen vor der Semperoper

Eine aktuelle Illustration dieser Strategie lieferte noch vor den jüngsten Europawahlen 2024 ein grotesker Aufzug von AfD und Freien Sachsen vor der Dresdner Semperoper. Weiß-grüne Sachsenfahnen und weiß-blau-rote Russland-Fahnen schwenkend, versuchten am 7. April etwa hundert Demonstranten, den Text einer einfältigen neuen Sachsenhymne auf die Melodie der von Putin wiederbelebten bolschewistischen Hymne mitzumurmeln. Unter dem Motto "Keine Steuergelder für linke Vereine!" ging es gegen den erklärten "linksgrünen Sumpf" in der Kultur. Konkret gegen die auf vielen Straßenfesten beliebte Brassband Banda Comunale.

Aufgerufen hatte der berüchtigte 37-jährige Blogger Max Schreiber der rechtsextremen Freien Sachsen. In seiner Rubrik "Schreiber klagt an" listet er die Projektförderung von Banda Comunale "für Auftritte auf Antifademos" auf und kündigt deren Austrocknung an, "wenn die Freien Sachsen endlich flächendeckend in Ämter auf allen Ebenen einziehen werden".

BandaComunaleMusiker:innen aus vielen Ländern: Die Brassband Banda Comunale aus Dresden, für ihr zivilgesellschaftliches Engagement mehrfach ausgezeichnet, von der AfD angegriffen © Banda Comunale

So weit ist es mit den Landtagswahlen am 1. September noch nicht gekommen. Anders als in Thüringen verfehlte die AfD Sachsen die Sperrminorität von einem Drittel der Stimmen im Landtag. Was eine rechte Sperrminorität bedeutet, hat die Landeshauptstadt Dresden vor dreieinhalb Jahren erfahren. AfD und Freie Wähler blockierten kurz vor Weihnachten 2020 im Kulturausschuss der Stadt die Freigabe des insgesamt vorteilhaften Kulturhaushalts 2021/22, bislang stets nur eine Formalie. Ein Nadelstich gegen einige allzu deutlich an Grundwerten orientierte Institutionen und Vereine, die auf den Förderlisten standen. Erst durch einen erneuten Mehrheitsbeschluss des Stadtrates konnten die Mittel fließen.

Suspekte Soziokultur und Kunstverachtung

Erste Reaktionen auf die Landtagswahlergebnisse in Sachsen lassen dennoch eher Besonnenheit als Panik erkennen. Der Landesverband Soziokultur Sachsen hat mit seiner Onlinekampagne "Kultur wählt Demokratie" den Rechtstrend zwar nicht aufhalten können. Der stellvertretende Geschäftsführer Tobias Gaub zeigt sich dennoch "in gewissem Maß erleichtert", dass es nicht noch schlimmer kam. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man "noch keine fundierte Einschätzung" der Risiken geben, blickt er vor allem auf das unkalkulierbare Überraschungsei BSW. Als einzige hatte die Wagenknecht-"Personenkultpartei" (Wolf Biermann) nicht auf die Wahlprüfsteine der Landeskulturverbände geantwortet.

Gaub weiß aber sehr wohl, dass gerade die unabhängige Soziokultur Hauptzielscheibe von Rechten, Wählervereinigungen und Teilen der CDU ist. Sie teilt dieses Schicksal mit Vereinen und Initiativen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und nicht nur auf Heimattümelei beschränken. Auf der 200. Pegida-Demonstration vor der Dresdner Frauenkirche im Februar 2020 hatte Björn Höcke als Redner schon angekündigt, womit sie im Fall einer Machtübernahme durch die AfD zu rechnen haben: "Deswegen werden wir diese sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeldmillionen finanziert wird, dann leider trockenlegen müssen!"

Auf die Künste bezogen, wurde sein Statthalter in Sachsen-Anhalt Hans-Thomas Tillschneider noch deutlicher und sprach "von einem Lumpenproletariat und Möchtegern-Künstlern, die vom Staat mehr schlecht als recht alimentiert werden, während sie eine Kunst produzieren, für die sich niemand wirklich interessiert".

Deswegen werden wir diese sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeldmillionen finanziert wird, dann leider trockenlegen müssen!

Björn Höcke

Der häufig in Medien zitierte "Treibhaus e.V." im mittelsächsischen Döbeln gibt ein Beispiel. Seit 2019 steht der städtische Anteil an der Vereinsförderung und damit auch die Zuwendung des Kulturraumes immer wieder infrage. 2022 denunzierte AfD-Fraktionschef Dirk Munzig im Stadtrat die Vereinsarbeit als "bezahltes Erinnern an den Holocaust". Die mitstimmende CDU störte sich an einem Plakat, das für "radikalen Humanismus" warb.

In der Geschäftsstelle des sächsischen Landesverbandes Soziokultur weist Tobias Gaub den Generalverdacht eines getarnten Linksextremismus zurück. "Grundsätzlich hat sich die Soziokultur sehr breit aufgestellt und deckt viele Strömungen und Meinungen in der Gesellschaft ab. Wir sind nicht einfach nur ein linker Laden, sondern Raumgeber, dass Diskurs auf eine gute Art und Weise passieren kann."

Weit über Sachsen hinaus hat deshalb Mitte August ein Gutachten des Mainzer Verfassungsrechtlers Friedhelm Hufen zum Neutralitätsgebot bei der Vereinsförderung Beachtung gefunden. Die Dresdner Cellex-Stiftung hatte es in Auftrag gegeben, nachdem der CDU-geführte Landesrechnungshof solche Förderbescheide kritisiert hatte. "Die öffentliche Finanzierung privater Initiativen bedeutet nicht, dass deren Äußerungen zu denen des Staates werden", deckt der Professor Hufen indirekt ein gestörtes Verhältnis der Konservativen zu Meinungsfreiheit und Pluralismus auf. Und Bildungsarbeit könne gar nicht neutral sein, wenn es um die Vermittlung der Grundrechte des Grundgesetzes und ethischer Normen geht.

Geschlossene Gesellschaft Erzgebirge

Über Sachsen hinaus hatte Anfang Juli der Eingriff in die Inszenierung "Weiße Rose" des Theaterpädagogischen Zentrums Burattino im erzgebirgischen Stollberg Wellen geschlagen. Passagen der Inszenierung waren nachträglich gestrichen worden, abgewandelt wurde eine Szene, in der neben einem Hitler-Bild in einem Gestapo-Büro diverse Fotos heutiger Diktatoren sowie des laut Gerichtsurteil als Faschisten zu bezeichnenden Politikers Björn Höcke abwechselnd eingeblendet wurden. 

Wenn also zum Beispiel queere Themen in den Theatern, in den Galerien ins Programm genommen werden und es daraufhin einen Shitstorm gibt, dann ist das nicht nur ein Angriff auf diese kulturelle Einrichtung, sondern ein Angriff auf die Community insgesamt.

Frauke Wetzel

Die nach den Zensur-Vorwürfen erfolgte Replik des Kulturellen Bildungsbetriebs Erzgebirgskreis konnte den Widerspruch mit den Angaben des Regisseurs und Theaterpädagogen Falko Köpp nicht ausräumen. Die Mitteilung des Kreises verdeckt, dass rechtsgerichtete Jugendliche des Stollberger Gymnasiums sich an die ehemalige AfD-Kreisrätin Sylvia Vodel wandten, 2021 aus der Fraktion ausgetreten. Die daraufhin erfolgten Änderungen werden in der Replik als "Beseitigung einzelner Mängel" bezeichnet.

Die promovierte Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Frauke Wetzel hat die nach den Vorstellungen jeweils angesetzten Diskussionen mit den jugendlichen Besuchern der "Weißen Rose" moderiert. "Wenn also zum Beispiel queere Themen in den Theatern, in den Galerien ins Programm genommen werden und es daraufhin einen Shitstorm gibt, dann ist das nicht nur ein Angriff auf diese kulturelle Einrichtung, sondern ein Angriff auf die Community insgesamt", kommentiert sie den Wahlausgang. Die bisherigen Freiräume sollten Kulturschaffende auf jeden Fall verteidigen "und sich immer klarmachen, dass die Freiheit der Kunst eine der höchst geschützten in unserem Land ist".

Wie es um das Klima im heimatduselig-reaktionären Erzgebirge bestellt ist, zeigt ein Vorgang am Winterstein-Theater Annaberg. Intendant Moritz Gogg hatte unter der Überschrift "Wir haben das Glück" an exponierter Stelle des Web-Auftrittes der Bühne ein leidenschaftliches Statement platziert. Es ruft in Erinnerung, "dass wir in einem demokratischen, weltoffenen, vielfältigen und toleranten Land leben, mit einem nicht hoch genug zu achtenden Grundgesetz und einer Gesellschaft, die divers und frei ist". Das Theater setze sich gegen jede Form gruppenbezogener Menschenverachtung und gegen Verbreitung totalitärer Ideologien ein.

Auf Verlangen zweier AfD-Vertreter kam es daraufhin zu einem Gespräch bei Landrat Rico Anton (CDU). Gogg schildert es nicht so, als habe er sich verteidigen müssen, sondern stellt mit Genugtuung den Erfolg der Darstellung seiner Beweggründe fest. Der Landrat habe seine Grundsätze seit jeher anerkannt, die AfD-Vertreter schluckten dies. Das Statement ist unverändert nachzulesen, und das Spielzeitmotto in Annaberg lautet "Werden wir wachsam gewesen sein?"

Drohkulisse zeigt Wirkung

Solche Erfolge sind nicht die Regel. Vorauseilender Gehorsam bestimmt die Richtung, als sei die AfD bereits an der Regierung. Zur Dresdner Großdemonstration "Wir sind die Brandmauer" eine Woche vor der Wahl sagten einige vorgesehene Redner vor allem aus dem Bildungsbereich ab, berichteten die Veranstalter. Allein die Drohkulisse genügt.

Zu vernehmen sind aber auch gelassene Stimmen. "Wie immer die neue Landesregierung aussehen wird, es ist mit einer gewissen Kontinuität zu rechnen", erwartet Intendant Dirk Löschner vom Theater Plauen-Zwickau ein fortgesetztes Bemühen um den Erhalt der reichen sächsischen Kulturlandschaft. "Denn bisher gab es da auch viel Flickwerk!" Ein Verweis auf die absehbar prekären Landeshaushalte der kommenden Jahre bei angestauten Problemen der Kulturförderstrukturen. Das vielgelobte sächsische Kulturraumgesetz muss insbesondere mit Blick auf die teuren Theater und Orchester novelliert werden. Wie, soll eine Evaluation ergeben.

Lecken Chicks 1200 Kathinka Schroeder"Lecken" von Chicks* fehlte beim "Wildwechsel"-Festival 2023 © Kathinka Schroeder

Löschners Theater war beim Jugendtheaterfestival "Wildwechsel" im vorigen Herbst aber auch Objekt rechter Attacken. Es kam zur Ausladung der Inszenierung "Lecken" des queer-feministischen Berliner Performancekollektivs Chicks*. Bis heute bekräftigt die Plauener Bühne, dass für die Absage finanzielle Gründe verantwortlich waren, Bundesfördergelder seien kurzfristig weggefallen. Aber der Programmentscheidung waren Hasskommentare auf Facebook gegen den "Regenbogenkult" und angebliche "Schmutzdarbietungen" sowie Aufrufe zur Störung vorausgegangen.

Resilienzstärkung durch Kompetenzerwerb

Im neuen Landtag wird die bislang kompetenteste und anerkannteste Kulturpolitikerin zwar nicht fehlen, aber absehbar in die Oppositionsrolle rücken. Claudia Maicher verteidigte zwar ihr Direktmandat für die Bündnisgrünen in Leipzig. Aber die bisherige Kenia-Koalition der Grünen mit CDU und SPD hat keine Mehrheit mehr.

Auch Maicher bedauert, dass Bremser bislang eine "resilientere Kulturlandschaft" verhinderten, die in den Strukturen stabiler und gegen An- und Eingriffe widerständiger wäre. "Die Künstler und Kulturleute vor Ort, mit denen ich rede, haben Sorge, ob es in dieser Regierung noch jemanden geben wird, der sich hinter sie und an die Spitze stellt, konsequent die Kunstfreiheit zu stärken und zu schützen."

Die Landeskulturverbände wollten sich schon vor der Wahl durch Kenntnis- und Kompetenzerwerb auf die erwartete Zunahme von Attacken vorbereiten. "Wir wissen jetzt, woran wir sind", sagt der besonders bei Nachwuchsorchestern beliebte Dirigent und Präsident des Sächsischen Musikrates Prof. Milko Kersten. Für sich und andere konstatiert er "ein Defizit im Umgang mit geschulter populistischer Rhetorik". Die nun einmal gewählten AfD-Vertreter will er aber aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Er habe den festen Willen, "in allen Gremien zu den Sachthemen Stellungnahmen abzufordern". Denn die bisherige Erfahrung zeige, dass AfD-Angehörige durch Enthaltung oder Nein-Stimmen auffielen, "äußerst selten aber durch konstruktive Vorschläge".

Michael Bartsch, geboren in Meiningen, ist freier Journalist und Autor. Nach der Wende Landeskorrespondent der Leipziger Volkszeitung in Dresden. Seit 1993 freiberuflich tätig für verschiedene Print- und Onlinemedien und den Hörfunk, Schwerpunkte Landespolitik und Kultur, speziell Theater und Musik

 

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