Frau Yamamoto ist noch da - Schauspielhaus Zürich
Beim Stapeln der Möbel
13. September 2024. Viele Jahre war es still um Dea Loher, nun feiert die Dramatikerin ein spektakuläres Comeback. Jette Steckel bringt ihr neues Stück zum Auftakt der Zürcher Interimsintendanz von Ulrich Khuon zur Uraufführung.
Von Tobias Gerosa
13. September 2024. In Dea Lohers neuem Stück, das am Donnerstag gleichzeitig in Zürich und Tokio uraufgeführt wurde, ist alles da: das Kleine, Alltägliche und Grundmenschliche, aber auch die ganz großen Themen wie unbekannte Viren oder die Künstliche Intelligenz. Und auch "Frau Yamamoto ist noch da", wie der Titel versichert, wobei die Dame tatsächlich irgendwann im zweiten Teil stirbt. Auf die Handlung übt ihr Tod allerdings keinen großen Einfluss aus, denn eine solche liegt im herkömmlichen Sinne gar nicht vor.
Ein Szenenreigen
Wie hingetupft scheinen die 20 losen Szenen, mit denen Intendant Ulrich Khuon sein Zürcher Interim eröffnen lässt. Gut zwei Dutzend Figuren treffen in einer Art Reigen in verschiedenen Konstellationen aufeinander: Ein Paar, das sich auseinanderlebt (Sebastian Rudolph und Mirco Kreibich mit den beiden größten Rollen), ein Therapeut und seine Fernbeziehung, seine Patientin mit ihrem Liebhaber, eine zufällige Begegnung auf der Straße oder eben die Nachbarin Frau Yamamoto (Nikola Weisse), die man bisher gar nie wahrgenommen hatte. Erst mit der Zeit – und wenn man akzeptiert, dass die Szenen nicht chronologisch angeordnet sind – schälen sich Bezüge heraus. Prolog und Epilog, zwei kurze identischen Szenen schaffen eine Klammer.
Florian Lösches Bühne gibt vielleicht eine Antwort, ob sich überhaupt etwas entwickelt. Wo am Anfang nur eine leere, weiß ausgeschlagene Bühne zu sehen ist, dominiert am Schluss ein Haufen aufgebeigter Möbel: Das, was von einem gelebten Leben physisch bleibt?
Sonst gestalten Wände aus durchsichtigem, farbigem Plastik den Raum. Immer wieder senken und heben sie sich, verändern die Raumwirkung und mit ihren Spiegelungen (nicht immer angenehm im Zuschauerraum) die Farben des Lichts. Sie erinnern an die Papierschiebewände traditioneller japanischer Häuser. Das bleibt neben dem Titel aber der einzige Bezug zu Japan, auch weil Pauline Hüners die Figuren mit Kostümen ausstattet, die auf Zürcher Straßen nicht auffallen würden.
Surrealistische Einsprengsel
Dea Lohers Text schafft es, mit scheinbar einfachen Mitteln große Räume zwischen den Figuren zu öffnen, ja teilweise aufzureißen. Regisseurin Jette Steckel hat das Ohr dafür – und ein Ensemble, welches überzeugend zwischen Realismus und surrealen Einsprengseln zu changieren versteht. Mal irritiert ein Blick ins Publikum, mal ein starrer Blickkontakt zwischen den Figuren, einmal tanzen alle um den weiterlaufenden Dialog, die Therapie-Szene (Charlotte Schwab, Gast am Schauspielhaus, und Matthias Neukirch, der im Ensemble blieb) wirkt fast realistisch, die beiden Angler-Szenen auf hohen Gummistiefel-Kothurnen schon fast absurd. Doch hält, auch dank klugem Soundtrack der Band The Notwist, alles zusammen.
Und das auch noch, wenn Ton und Tempo nach der Pause komödiantischer werden. Thomas Wodianka als ziemlich verpeilter "Mann, der ein Gedicht schreibt" und vor allem Judith Hofmann in laut Text mehreren Rollen, die hier aber gut auch eine einzige Figur sein könnten, bringen diese durchaus etwas unheimliche Ambivalenz auf den Punkt.
Überraschende Kombination
"Seid ihr glücklich?", fragt die Titelfigur ihre Nachbarn in einer Szene, bevor sie den Teller ausleckt. Ganz beiläufig schneiden Loher und Steckel die großen Themen an, so dass die drei Stunden Spielzeit nie lang werden. "Seid ihr glücklich?" fasst vielleicht all die Fragen zusammen, die das Stück anschneidet und überraschend kombiniert. Antworten geben Text und Regie – zum Glück! – nicht. Glücklich wird man mit diesem Abend trotzdem.
Frau Yamamoto ist noch da
von Dea Loher
Uraufführung
Regie: Jette Steckel, Bühnenbild: Florian Lösche, Kostümbild: Pauline Hüners, Licht: Michel Güntert, Musik: Mark Badur/The Notwist, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Nikola Weisse, Mirco Kreibich, Sebastian Rudolph, Judith Hofmann, Matthias Neukirch, Alicia Aumüller, Thomas Wodianka, Daniel Lommatzsch, Charlotte Schwab; Fritz Rudolph/Konstantin Schwarz, Céleste Michaelis/Carla Franken/Sophia Franken (Kinder).
Premiere am 12. September 2024
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.schauspielhaus.ch
Kritikenrundschau
Christian Gampert von DLF Kultur (12.9.2024) sah "sehr gutes Schauspielertheater". Toll findet der Kritiker, wie die Autorin auf poetische Weise gesellschaftliche Probleme in eine Alltagsforme bringe. "Auf der anderen Seite schmiert das öfter mal ins Banale weg, wenn es zu lang wird." Die Musik erzeuge eine düstere Melancholie.
Es gehe um Einsamkeit, so Andreas Klaeui von SRF 2 Kultur (13.9.2024). Das Stück präsentiere: "Große Fragen, einfach gestellt, ein bisschen versponnen und zugleich nüchtern." Loher entwerfe ein fein gestricktes Zeitbild. Jette Steckels szenische Miniaturen seien in sich enorm präzise gearbeitet seien. Der Kritiker sah dem Ensemble gebannt zu.
Dea Lohers neues Stücke stehe "parabolisch für die Öffnung eines Diskursraums, in dem es in unserer postpandemischen und von zahlreichen Krisen geschüttelten Zeit abermals möglich sein soll, gemeinsam über die essenziellen Fragen im Leben zu diskutieren", berichtet Salomé Meier für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.9.2024). Zugleich sei das Stück "auch ein Kommentar auf die jüngste Geschichte am Schauspielhaus. Es ist ein erneutes Angebot für ein Theater als Raum, der niemandem gehört, sondern der Menschen aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten offen steht und in dem der Geist jener Frau Yamamoto weht, die die Personifikation einer Gesinnung ist, die ihre Türe stets einen Spaltbreit offenhält für Diskussionen, in der unterschiedliche Menschen und Meinungen zusammenkommen, die keine Scheu hat vor falschen oder zu großen Fragen und die selbst im Angesicht von Tod und Verlust ihren Humor bewahrt."
Es sei "nicht unproblematisch, dass Loher den erzählerischen Hauptstrang (...) zusätzlich mit viel zufälliger Absurdität und Banalität" umwickele, so Ueli Bernays in der Neuen Zürcher Zeitung (13.9.2024). Diese "Short Cuts" sorgten zwar für "Witz und Slapstick", gleichwohl vermisse man bisweilen "die ästhetische Mission und die sprachliche Ausdruckskraft". Dennoch zeige der Abend mithin eine "melancholische Aussichtslosigkeit, die etwas von einem zeitgenössischen Tschechow hat", findet Bernays.
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