Grmpf - Schauspiel Köln
Desaster-Party
15. September 2024. So krass wie Stuttgart21 und BER: Vor neun Jahren sollte eigentlich das sanierte Schauspiel Köln wiedereröffnen. Die neueste Kostensteigerung wurde gerade bekannt. Da passt, dass Rafael Sanchez zum Auftakt seiner Interims-Intendanz eine Baustellen-Revue inszeniert, mit viel Kraft der Verzweiflung – und gruseligen Fakten.
Von Dorothea Marcus
15. September 2024. Vieles mag zum Lachen sein, die Fakten sind zum Weinen: Seit nunmehr zwölf Jahren befindet sich das Schauspiel Köln am Offenbachplatz im Sanierungsdesaster. Es ist zugleich ein Steuerskandal, der das Zeug hat, den Glauben an Kunst und Kommunen dauerhaft zu untergraben. Einst sollte es in Köln einen Neubau geben für 364 Millionen Euro. Da dies als zu teuer galt, wurde eine Mini-Variante von 295 Mio. Euro propagiert. Daraufhin aktivierte sich eine Bürgerinitiative, maßgeblich beteiligt: die damalige Intendantin Karin Beier. Die Petition zum Erhalt des angeblich denkmalgeschützten, aber doch recht unspektakulären Gebäudes von Wilhem Riphahn – das seinerzeit übrigens in knapp drei Jahren errichtet war – unterschrieben 52.000 Kölner:innen.
Dem konnte sich der Stadtrat nicht widersetzen, stimmte für die Sanierung und löste die Katastrophe aus: zwei gerissene Eröffnungstermine, ein weiterer ist nicht in Sicht, und eine Steigerung der Kosten – das wurde vor ein paar Tagen bekannt – auf rund 1,5 Mrd. Euro. Fast doppelt soviel wie die Elbphilharmonie – mit deren Ästhetik sich der Kölner "Schuhkarton" niemals messen könnte.
Revue gegen die Verzweiflung
Das Schlimmste ist wohl, dass es ein Dilemma ohne Ausweg geworden ist: Manch einer glaubt, dass das Haus niemals fertig wird – ein VW-Käfer kann eben keine S-Klasse beherbergen. Doch ein Abbruch würde bedeuten, rund 700 Mio. Euro Steuergelder zu versenken und einen Lost Place mitten in der Kölner Innenstadt zu hinterlassen. Interims-Intendant Rafael Sanchez hat also beschlossen, das Narrativ dieser Katastrophenstory wieder in die Hand zu nehmen.
"GRMPF" ist eine quietschbunt-lustige Revue gegen die Verzweiflung, ein Trost-Versuch. Es treten auf: ein Dreigestirn, Bauarbeiter als Showgirls mit buschigen Federn auf den Helmen, zwei Moderatoren in weißen Anzügen. Die Bühne ist selbst auch Baustelle (Eva-Maria Bauer), aber durchaus spektakulär: Viele Bauschutthaufen, ein Müllberg, auf dem die Musiker thronen. Ein Kran, ein Dixie-Klo, eine Abriss-Rinne, durch die viel Staub rieselt. Und eine satt rosa, glitzernde Eröffnungsschleife, die über allem thront – aber natürlich niemals durchschnitten wird.
Das Kölsche Dreigestirn reflektiert launig über die "philosophische Installation", die diese Baustelle bildet, als Metapher vom "ewigen Werden", der Turmbau zu Babel, krasser als Stuttgart21 und BER, quasi die Marina Abramović unter den Bauprojekten. Wie konnte man nur auf den Gedanken kommen, einen billigen 60er-Jahre-Bau auf modern zu trimmen?
Prinzip Baustelle
Manch eine Absurdität wurde vom Team ausrecherchiert: etwa, dass große Teile nie genutzter Bühnenapparatur jetzt schon wieder sanierungsbedürftig sind. Oder lange Zeit mit unterschiedlichen Software-Sprachen gearbeitet wurde. Im Stil einer Fernsehgala moderieren das Kevlvin Kilonzo und David Rothe in weißen Anzügen elegant-geschmeidig weg. Und es wird viel und großartig gesungen an diesem Abend, vielleicht zu viel, nicht alles passt so kalauerhaft perfekt wie Wrecking Ball oder Ein bisschen Frieden.
Erzählt wird von Verspätungen, Rückbauten, Abrissen, erneuten Einbauten. Interna der Bauherren "Salami-Klaus" und "Schlafmützendieter" werden nachgespielt, Querelen um "Meilensteine" und schon immer eingeplante Verzögerungen neu enthüllt, dazu tanzen Baustellen-Hütchen und Bauarbeiter mit Schutzwesten und Federn auf dem Helm. Spannend sind auch die Videofahrten durch die echte Baustelle – und der reale Kabelsalat, das Chaos, die Stühle ohne Kissen, der ganze Wahnsinn wird sichtbar.
"Geiz ist geil"-Bürokratie
Im zweiten Teil lauscht man dem "Trockenbau" und der "Elektroinstallation" beim Beziehungsgespräch und sieht, wie eine verzweifelte OB Henriette Reker (Anja Laïs hat sie offenbar tief studiert) heran stolziert, zur Buße die Nacht auf staubigen Baustellensofas verbringt, verfolgt von den bürokratischen Anzugträger-Geistern ihrer dysfunktionalen Verwaltung und dabei fatale Ratssitzungen nachspielt. Doch im Grunde ist ja auch sie nur ein Opfer der Umstände. Es ist eine großartige Idee von Interims-Intendant Rafael Sanchez, mit diesem Abend Trost zu bieten, über das absurde menschliche Scheitern an komplexen Aufgaben zu lachen, die Narration als Bürger quasi wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und doch hätte man sich mehr Bissigkeit und weniger Beliebigkeit gewünscht.
Der einzige Lösungsansatz kommt ausgerechnet von einem Schweizer: Breitbeinig erklärt er, dass in seinem Land bereits bei Vertragsabschluss hohe Konventionalstrafen vereinbart werden. Und überhaupt, dass diese deutsche "Geiz ist geil"-Manier eben zu Schäden führe. Und so gerät dieser Abend schließlich recht kölsch karnevalesk und leichtgewichtig, während Großbaustellen und Infrastruktur doch in ganz Deutschland offenbar falsch angegangen werden. Am Ende wird dann immerhin doch noch eine Schauspielhaus-Eröffnungsrede gehalten – leider ist es die von 1957.
GRMPF – eine musikalische Baustelle
Eine Eröffnungsgala zur falschen Zeit am falschen Ort
von Mike Müller
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Eva-Maria Bauer, Kostüme: Ursula A. Leuenberger, Musik/Komposition: Cornelius Borgolte, Video: Poutiaire Lionel Somé.
Mit: Zainab Alsawah, Yuri Englert, Andreas Grötzinger, Kelvin Kilonzo, Anja Lais, Henri Mertens, Thomas Müller, Kei Muramoto, Jens Rachut, David Rothe.
Premiere am 14. September 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.schauspiel.koeln
Kritikenrundschau
Alexander Menden von der Süddeutschen Zeitung (17.9.2024) findet den Abend "witzig, kurzweilig und doch gleichzeitig irgendwie zum Heulen". Das "gut aufgelegte Ensemble" biete einen "in jeder Hinsicht kölschen Abend"; viele "inszenatorische Entscheidungen verdanken sich offenkundig reiner Spiellaune, als habe die ganze verfahrene Situation auch etwas Befreiende". Fazit: "Wenn die Übergangsspielzeit unter Rafael Sanchez so weitergeht, wie sie begonnen hat, wird sich Kay Voges im kommenden Jahr ganz schön strecken müssen, um das Niveau zu halten – an welchem Spielort auch immer."
"Rafael Sanchez und sein Team haben also vermeintlich ein leichtes Spiel, sich lustig zu machen – wobei sie mit der Schwierigkeit zu kämpfen haben, dass die Absurdität der Wirklichkeit kaum zu übertreffen ist", schreibt Max Florian Kühlem in der Rheinischen Post (16.9.2024). Und so "blödelt sich das Ensemble im grandios detailverliebten Baustellen-Bühnenbild von Eva-Maria Bauer eine Hälfte lang durch die Fakten". Dabei sei das Schöne, "dass der Abend trotz allem eine positive, warum auch immer optimistische Grundstimmung verströmt, immer wieder wirklich lustig ist. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung."
Dieser "Abend ist, bei aller Tragik der Sache, ein großer Spaß", und mit "welcher Verve sich die Darstellerriege des Themas annimmt, ist bemerkenswert", schreibt Axel Hill in der Kölnischen Rundschau (16.9.2024). "Nein, hier bleibt nicht nur das Lachen im Halse stecken. Im Gegenteil: Im Nachgang des Abends wird man regelrecht zornig, wenn man darüber nachdenkt, dass immer noch nicht klar ist, wann die Bühnen am Offenbachplatz jemals den Spielbetrieb wieder aufnehmen oder wie teuer der ganze Spaß wird, wenn irgendwann einmal ein Strich drunter gesetzt werden kann."
"Selten klang Scheitern so harmonisch", schreibt Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (16.9.2024). "Eine Revue ist keine Faktensammlung, so schlimm kann es gar nicht kommen, dass man nicht noch unterhalten werden will. Weshalb viel gesungen und gewitzelt wird an diesem Abend, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Nicht jeder Gag zündet, nicht jedes Stück erhellt die undurchsichtige Lage, vor allem im ersten Teil gäbe es noch einiges zu kürzen."
Christof Ernst vom Kölner Boulevardblatt Express (16.9.2024) wundert sich zwar über das versöhnliche Ende, gerät am Schluss seines Artikels aber dessen ungeachtet ins Schwärmen: "Ein berauschender Abend, eine Klatsche mit Klatschmarsch, eine Schimpftirade mit Hätz und Siel. (Herz und Seele, Anm. der Red.). Dat jit et nur in Kölle. Hingehen!!"
"Dass diese Theatergroteske nach einer Stunde auf der Stelle tritt, passt natürlich zum Dauerthema. Was soll also noch nach der Pause Neues folgen? Zuvor hat sich die Regie allein auf die Satire, teilweise auf seichtes Schenkelklopfer-Niveau, eingeschossen. Daran ändert sich de facto nichts. Einzig die Politik steht nun klarer im Fokus", schreibt Björn Hayer in der taz (17.9.2024). "[Der Abend] illustriert die Misere und kippt – zweifelsohne vergnüglich – eine fette Soße aus Spott darüber. Klarer wird die Sicht auf die Dinge dadurch aber nicht."
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einziger lichtblick: anja laïs als albtraum geplagte ob reker.
An einem solchen Abend, wenn man denn eine wirkliche Auseinandersetzung mit diesem Thema des gescheiterten und in Korruption versunkenen Bauunternehmen der Bühnen der Stadt Köln versucht hätte, hätte man sich wohl den Anfang des Bauprojekts mit Karin Beier, Alfred Neven-Dumont, dem Verein „Liebe Deine Stadt“, den Grünen und der CDU der Stadt Köln, Baudezernent Streitberger, Kulturdezernent Quander, Opernintendant Laufenberg, Geschäftsführer Wasserbauer und und und vornehmen müssen. Um dann die Akteuere und Profiteure von heute zu beschreiben, von denen ja manche die vom Anfang sind.
Das wäre Material für ein großes politisches Schauspiel gewesen, hat man wohl nicht gewollt. Theater scheint nur noch für flachen Trost und Bespassung mit Albernheiten zuständig zu sein.
Daß Theater mal politisch höchst streitbar, auch für Skandal und Tragödie zuständig war, ist anscheinend in Vergessenheit geraten. Als Korrektiv für eine demokratische Gesellschaft fällt solches Grimpf Theater komplett aus. Die Macher müssten ja auch echt etwas riskieren und sich aus ihrer Wohlfühlzone herausbewegen. So wird lustiges auf Baustellen und Ersatzspielorten geboten, Hauptsache Gehalt und Festanstellung sind nicht gefährdet.
Kölle Alaf.