Kleiner Mann, was nun? - Berliner Ensemble
Rot ist keine warme Farbe
15. September 2024. In seinem Roman erzählt Hans Fallada von einem jungen Paar, das sich 1930 aus dem Strudel der Weltwirtschaftskrise in die Liebe rettet. Frank Castorf mag das zu naiv gewesen sein. Jedenfalls setzt er in seiner Inszenierung einige Kontrapunkte, verschneidet den Roman mit Falladas Biografie und gibt eine saftige Prise Heiner Müller dazu.
Von Esther Slevogt
15. September 2024. Da ist zunächst diese gigantische rote Fahne, die wie eine Steilwand die Bühne nach hinten abschließt. Bald schon treten die sieben Spieler*innen auf: Artemis Chalkidou, Maximilian Diehle, Jonathan Kempf, Pauline Knof, Maeve Metelka, Gabriel Schneider. Adriana Braga Peretzki hat sie in schillernde Gewänder gekleidet, als wollten sie in einer Revue auftrumpfen, zu der es auf dieser kargen Bühne aber niemals kommt. Nur Andreas Döhler trägt Alltagskleidung, er, der später im Wesentlichen eine Figur spielen wird, in der immer wieder Hans Fallada kenntlich wird.
Mit großer Geste reißen die Sieben die rote Fahne herunter, rollen sie zusammen und tragen sie wie eine Tote von der Bühne, die anschließend ziemlich nackt vor uns liegt. Nur eine schwarze Wand ist übrig. Dahinter, ein direkter Blick darauf wird niemals möglich sein, liegt ein verspiegeltes Labyrinth in Pink mit Verkaufsregalen und Kleiderstangen, an denen Anzüge in schrillen Neonfarben hängen. Es steht für das Kaufhaus, in dem Johannes Pinneberg in Berlin als Verkäufer anfängt, nachdem er seinen Buchhalterjob in der Kleinstadt verloren hat und nun im Moloch Berlin gelandet ist. Wir schreiben das Jahr 1930.
Zurück im Kampf mit den Ideologien
Pinneberg, das ist der Protagonist des berühmtesten Romans von Hans Fallada, 1932 erschienen, als die Weimarer Republik im Sterben lag. Erzählt wird die Geschichte vom Lieben und Leiden eines jungen Angestellten und seiner Frau Emma, genannt "Lämmchen" in der Weltwirtschaftskrise. In deren Strudel gerät das junge Paar, geht beinahe zugrunde, findet am Ende aber so etwas wie Rettung in der Liebe. "Kleiner Mann, was nun?" ist eine Art Anti-Döblin und Pinneberg so etwas wie ein Anti-Biberkopf: Jemand, den Fallada mit einer Art schmutzabweisender Haut ausstattet, einer fast kulleräugigen Unschuld, mit der er diesen Protagonisten auch sein Recht auf ein Leben jenseits der Ideologien zu behaupten versuchen lässt.
Frank Castorf teilt diesen naiven Helden in mehrere Variationen auf und wirft ihn dahin zurück, woraus Fallada ihn zu retten versucht: in die mörderischen Ideologien des 20. Jahrhunderts. Und er holt hinter dieser Figur ihren Schöpfer Hans Fallada hervor, einen Autor, der ein Leben lang von Drogen abhängig war und immer wieder Zeit in Kliniken oder Gefängnissen verbrachte. Der immer wieder auch Texte schrieb, die sich mit diesen Erfahrungen befassten. Und der eben in der Nazizeit kein Widerstandskämpfer war, aber mit "Jeder stirbt für sich allein" doch einen der berühmtesten Romane über den Widerstand schrieb.
Im Sog politischen Kampfs
Castorf erzählt dann die Geschichte von Hans Fallada wie einen Drogenrausch, in den er Elemente der Romanhandlung schneidet. Wie Pinneberg sein "Lämmchen" findet. Wie beide zu seiner Mutter und deren Lover Jachmann nach Berlin ziehen. Wie Pinneberg am Ende auch den Job im Kaufhaus verliert. Davor und dazwischen immer wieder die Abgründe des Rauschs, als den Castorf auch Teile der deutschen Geschichte erzählt, der Ideologien und des politischen Kampfs, der bekanntlich die in Aussicht gestellte Rettung nicht hinbekam.
Es geht ebenso holperig wie soghaft los, wenn Jonathan Kempf in einer langen virtuosen Suada erst einmal einen gebrochenen, von Drogen und existenziellen Abgründen gezeichneten Protagonisten einführt, in dem von Anfang an Pinnenberg und Fallada miteinander überblendet werden. Dann tritt Andreas Döhler dazu, als eine Art Persönlichkeitsabspaltung Pinnebergs, in der die abgeklärte Figur Hans Fallada kenntlich wird. Döhler wird den Abend wesentlich tragen und bietet mit seiner dunklen Wahrhaftigkeit auch eine sehr faszinierende Deutung von Falladas zwangsnaivem Blick auf diesen Protagonisten und sein Unpolitischsein an.
Krankenakte Deutschland
Doch es dauert eine Weile, bis der Abend seinen Rhythmus findet, der die politische Katastrophe in Deutschland auch als eine Art Tragödie der Innerlichkeit erzählt und William Minke dafür eine Tonspur aus Liedern und Musik erfindet, die von Liedern aus dem spanischen Bürgerkrieg, Ernst Busch, Hans Eisler, Robert Schumann, Eichendorf, bis zu Faber, Anne Clark oder "Ton, Steine Scherben" reicht. Das ist der Kitt, der diesen disparaten Abend zusammenhält, der aus der Krankenakte Hans Fallada eine Krankenakte Deutschland macht. Autobiografisches trifft auf Fiktionalisiertes, Rausch auf die kalte Realität des Kapitalismus, Hans Fallada auf Heiner Müller, mit dessen Drama "Die Schlacht" Castorf den Abend immer wieder verschneidet und unterspült. Weil Müller hier den Riss zwischen Rechts und Links, Kommunismus und Nationalsozialismus ins Archetypische überhöht. Damit entsteht ein Kontrapunkt zu Falladas individualisierter Verniedlichung des Falls Lämmchen/Pinneberg.
Es sind vor allem die Schauspieler, die diesen nicht immer ganz gedankenscharfen Abend zum Ereignis machen: Allen voran Andreas Döhler und Jonathan Kempf als Vexierbilder eines gedoppelten Hans Fallada, aber auch Maximilian Diehle und Gabriel Schneider als weitere und kontrapunktische Pinneberg-Variationen: Diehle ist eher ein verirrter wie verwirrter Hipster, der direkt aus der Gegenwart kommt, während Schneider eine überzeitliche Traumfigur spielt. Und erst die Frauen: Artemis Chalkidou, Pauline Knof und Maeve Metelka – Knof und Metelka als kontrapunktische Spielarten von "Lämmchen" – Metelka eher bodenständig und heutig, Knof spielt als Femme Fatale gegen das Lämmchen-Klischee an und treibt auch ihre Späßchen mit Frank Castorfs Frauenbild. Und dann die unglaubliche Artemis Chalkidou, die der Frau an sich, der Verliererin so vieler Kämpfe, ein Gesicht gibt.
Gesenkte Fahnen
Die rote Fahne vom Anfang taucht auch immer wieder auf. Mal als bewegte Masse, dann als rotes Tuch, in das Andreas Döhler wie ein wütender Stier immer wieder rennt. Irgendwann hat sich das Tuch über alle Spieler gesenkt, die unter seinem Schutz noch mal von einer besseren Zukunft (und einem besseren Theater) träumen.
Das Happy End, das Fallada Lämmchen und Pinneberg am Ende unter dem Schutzschild ihrer Liebe finden lässt, verschneidet Castorf mit dem nicht ganz so glücklichen Ende Hans Falladas. Auch der geht am Ende mit seiner Frau aus der Klinik nach Hause. Doch gibt ihm seine Frau versehentlich ein zu hoch dosiertes Schlafmittel, an dem er stirbt. Mehrfach gehen also Andreas Döhler und Pauline Knof Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegen. Das Ende ist offen.
Kleiner Mann – was nun?
von Hans Fallada In einer Textfassung von Frank Castorf
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Sounddesign: William Minke, Licht: Rainer Casper, Videokonzeption: Jens Crull, Andreas Deinert, Live-Schnitt: Jens Crull, Verena Buttmann, Dramaturgie: Amely Joana Haag, Künstlerische Produktionsleitung: Sebastian Klink. Mit: Artemis Chalkidou, Maximilian Diehle, Andreas Döhler, Jonathan Kempf, Pauline Knof, Maeve Metelka, Gabriel Schneider. Live-Kamera: Andreas Deinert, Kathrin Krottenthaler, Harald Melwig.
Premiere am 14. September 2024
Dauer: 5 Stunden 25 Minuten, eine Pause
www.berliner-ensemble.de
Kritikenrundschau
"Klar, dass Castorf auf die Chronologie des Romans pfeift und sich stattdessen auf die frühen expressionistischen Texte stürzt, die Fallada in der Psychiatrie am Rande des Wahns schrieb", so Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (online 15.9.2024, €). "Einen Faden gibt es nicht zu verlieren, wenn man zwischendurch mal aussetzt, findet man über die Identifikation immer wieder zurück. Denn natürlich kann man sich als Angestellter auch heute in Pinneberg und seinen Abstiegsängsten wiederfinden, man hat ja viel mehr zu verlieren als er." Artemis Chalkidou und Andreas Döhler bilden in wechselnden Rollen das Zentrum des Ensembles. "Diese beiden Spieler finden immer wieder hinein in einen unbedingten Realismus, in Wut, Furcht, Liebe und Sehnsucht." Wenn Döhler zwischendurch auch mal Pinnebergs kommunistischen Schwiegervater spiele, ströme Leben in altbekannte Floskeln. Fazit: "Ja, hier unten, in Castorfs Gebärmutter, wo alles durcheinanderstürzt, ist immer wieder alles auch ganz einfach."
Castorf erzähle nur ausschnitthaft den Roman, aber doch "viel über das Scheitern in einer kalten Welt". Gleichwohl brauche der Abend "lange, um in die Gänge zu kommen", schreibt Georg Kasch in der Morgenpost (15.9.2024). Castorf misstraue "Falladas unpolitischer Kleine-Leute-Romantik"; Falladas vorsichtigem Optimismus setzt der Regisseur einen fröhlichen Pessimismus entgegen, einen Lob des Kommunismus , des Rauschs, des Scheiterns".
Einer "bildmächtigen Polit-Revue" mit vielen Lieder folgte Eberhard Spreng für "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (15.9.2024). Zu erleben sei eine "Themensammlung" voller unverbundener "Gedankenfäden", vorgetragen durch ein "exzellentes Ensemble". Erfolgreich erzähle Castorf mit Fallada von der "Dialektik von Autor und Werk", "eher weniger erhellend ist die Dialektik von Stoff und Weltgeschichte", denn von der Veränderungen der Weltlage im Zeichen des Ukraine-Krieges weise Castorfs neues Werk, das an ältere erinnere, wenig Spuren auf.
Castorf mache sich über die kleinbürgerlichen Hauptfiguren eher lustig; er interessiere sich für die im Roman negativ gezeichneten Figuren, berichtet André Mumot für "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (14.9.2024). Der Kern des Abends liege "in diesem Ausspielen von Kleinbürgerlichkeit und einer anarchischen antibürgerlichen Weltsicht". Höchstes Lob hält der Kritiker für Artemis Chalkidou und ihr aufopferungsbereites Spiel bereit. Ansonsten sei das Ensemble "stark", es müsse aber in "Castorf-Klischees spielen", was zu "effekthascherischem Attitüden-Theater" führe. Mit dem brachialen Stil, den teilweise "undifferenzierten", teils auch populistischen Anwürfen gegen die Politik unserer Tage kann der Kritiker wenig anfangen.
"So fantastisch das Ensemble aufspielt – es hilft nur bedingt darüber hinweg, dass Castorfs anarchistische Weltsicht, die plumpen Parolen, die ungenauen Aussagen, an unsere Gesellschaft, von rechtsextremen Parteien bedroht, nicht wirklich andocken kann", stöhnt Barbara Behrendt im rbb|24 (16.9.2024) auf. Zwar "haben die fünfeinhalb Stunden viele Pointen und Zuspitzungen zu bieten und ziehen sich weniger schleppend dahin als das bei Castorf-Inszenierungen normalerweise der Fall ist". Aber die politischen Verhältnisse gestern wie heute inszeniere Castorf"viel zu brachial und plakativ, als dass daraus eine politische Analyse erfolgen könnte".
Den Tanz auf dem Vulkan der Goldenen Zwanziger hatte Castorf vor drei Jahren bereits mit Erich Kästners "Fabian" auf die Bühne gebracht. Dagegen wirke "Kleiner Mann – was nun?" wie eine ernüchterte und radikalisierte Fortsetzung, so Jakob Hayner in der Welt (16.9.2024). Es seien die großen untergründigen Geschichtsströme, auf die Castorf in den Katakomben des Theaters hinweisen will "und die man trotz des Kessel Bunten oben auf der Bühne nicht vergessen sollte. Hier geht es nicht mehr allein um den Roman, sondern die Widersprüche einer wirren Epoche".
"Der alte Quälgeist ist wieder da", vermeldet Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (16.9.2024). "Es klingt eisern gestrig, nach stalinistischem Pathos. Wie überhaupt dieses Tortur-Theater in weiten Teilen brutal sentimental wirkt, mit Ernst Busch und Rotfront-Romantik, Ost-Befindlichkeiten und Selbstzitaten für die zahlreich anwesende Volksbühnen-Family."
"Verletzung und Verletzlichkeit zugleich sind auf die Bühne gemalt, wie schon lange nicht mehr gesehen. Man fühlt sich mit diesem Ensemble an Glanztaten der alten Volksbühnen-Crew erinnert", schreibt Tom Mustroph in der taz (16.9.2024). "Mit den kommunistischen Songs wie auch mit Einschüben von Müllers Texten akzentuiert Castorf die von Fallada nur angedeuteten politischen Kämpfe jener Zeit. Er verlängert das in die Gegenwart, lässt unter einem grün angeleuchteten roten Tuch vom Verrat durch Sozialdemokraten und Grüne raunen. Auswege kennt er allerdings keine."
"Frank Castorf war sich noch nie zu schade dafür, ab und zu den linkssentimentalen Ideologietransportarbeiter zu geben", so Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (17.9.2024). Mit Falladas schwer sentimentaler Liebesgeschichte setze er am BE seine Exkursionen ins Babylon Berlin der späten 1920er-Jahre fort. "Statt Materialschlacht, Bilderfluten und Reizoverkill zeigt Castorf jetzt sehr pures, in den Spielmitteln fast naives Theater." Das passe in der Kinderspiel-Leichtigkeit auch zum etwas naiven und darum so eingängigen Erzählton Falladas. Und: "Für die archäologischen Tiefenbohrungen in der jüngeren deutschen Geschichte steigt Castorf in die Katakomben, dahin, wo die Leichen liegen." Man könne Castorf möglicherweise so einiges vorwerfen, "aber bestimmt nicht, dass er bei dieser sehr konzentrierten und klaren Inszenierung vor lauter bewährten Regiestilmitteln nicht mehr viel gedacht hätte."
"Es ist, als freute man sich auf Bouillabaisse und bekommt stattdessen Erbsensuppe – die ja durchaus wohlschmeckend sein kann, wenn der Koch nicht gerade Frank Castorf wäre", so Irene Bazinger in der FAZ (17.9.2024). "Die Inszenierung ist wie ein schlechter Trip durch noch schlechtere Zeiten, obwohl die prächtigen Kostüme von Adriana Braga Peretzki Charme und Glamour ausstrahlen." Das Ensemble spiele wild, lärmend und drakonisch die widersprüchlichen, abgespaltenen Existenzformen von Pinneberg/Fallada. Fazit: Die Inszenierung sei kein Ärgernis, sondern Business as usual. "Sie streift zumindest den Roman und würdigt dessen Autor als gepeinigten, begnadeten Solitär. Die theatralischen Stilmittel allerdings sind abgenutzt und kaum erhellend oder provokant."
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Es wurde zwei Mal interessant: am Anfang des zweiten Teiles: als “diskutiert” wurde, ob man einem Nudistenverein eintreten soll wegen des Geschäfts willen und in der Schlüterszene. Und warum? Weil Castorfs Sensor für anti-psychologisches Theater versagte und irgendwie Menschen zu sehen waren …
Die klügste Textfassung, die ich jemals von „Kleiner Mann, was nun?“ gesehen habe.
Wut, Liebe, Sehnsucht, Angst, Rausch, Depression, - so wunderbar gespielt mit einer Unbedingtheit und Radikalität, die einem den Atem raubt (herausragend: Artemis Chalkidou & Andreas Döhler). Bitte mehr davon.
"Ekelhaft, ekelhaft!" stammelt der glatzköpfige Mann in meinem Traum nach dem Castorf-Abend. Wie kann man nur so weit unten sein? Was damals funktionierte, geht heute noch viel besser, in der Abgeschiedenheit des digitalen Zuhauses. Die Knochen numeriert, aus den 5 Stunden hinkend, aufgebaut durch Kampflieder und Deutschpunk, fühlt es sich sehr real an: Wir wollen mehr Kommunismus wagen. So werden wir auch den Ami wieder los, der uns krank macht. Und über Allem liegt das Tuch des Schweigens.
Dazwischen werden noch allerlei weitere Fremdtexte reinmontiert, wie so oft von Castorfs Hausheiligem Heiner Müller, nämlich die Farce „Die Schlacht“, die in den 1970er Jahren bei einem der Spektakel von Castorfs Vorgänger Benno Besson an der Volksbühne uraufgeführt wurde, und viele weitere Referenzen aus Falladas realem Leben. Castorfs Konzept ist durchaus schlüssig: allzu niedlich und sentimental empfindet er die Romanvorlage von 1932, die damals zum Bestseller avancierte und in der krisenhaften Zuspitzung der ihrem Untergang entgegen taumelnden Weimarer Republik einen Hoffnungsschimmer verbreiten wollte. Dem setzt er die ganze Wucht des Müllerschen Geschichtspessismus mit den marschierenden SS-Truppen aus der „Schlacht“ und einen von William Minke klug kompilierten Punk- und Protest-Soundtrack entgegen, der von Ernst Buschs Arbeiterliedern zu roter Fahne bis zum Anti-Hartz-IV-Song der Kassierer von 2003 reicht, die sich von der rot-grünen Agenda 2010 verraten fühlten und diesen Vorwurf sehr plakativ herausbrüllen. Das zentrale Scharnier in Castorfs Konzept ist aber, dass er den Fallada-Roman mit der Biographie des Autors in Beziehung setzt. Zur „Perfect Day“-Hymne von Lou Reed gehen Döhler und Knof am Ende nicht einer heimeligen Zukunft entgegen, die Pinneberg und Lämmchen mit ihrem Murkel im Kleinfamilien-Idyll abseits der stürmischen Welt erträumen. Vor einem ironisch-kitschigen Sonnenuntergang wird diese Schluss-Szene des Romans mit dem Lebensende von Hans Fallada und seiner Frau Ursula verschnitten: sie gab ihm während einer gemeinsamen Entziehungskur aus Versehen eine tödliche Überdosis und wurde einige Jahre später in einem namenlosen Sozial-Grab beerdigt, wie Knof referiert.
Dieser gedankliche Bogen, den Castorf schlägt, ist sowohl interessant als auch schlüssig, allerdings für das Publikum mit der gewohnten Dosis „Tortur-Theater“, wie es Rüdiger Schaper in langjähriger Hassliebe im Tagesspiegel labelt, verbunden. Etwas mehr als fünf Stunden werden diesmal verabreicht. Nebenstränge, die ins Nirwana ausufern, verkneift sich der Altmeister in seiner ersten Berliner Inszenierung nach drei Jahren zwar. Dennoch klaffen die Einzelteile seines Konzepts in den langen Stunden am Schiffbauerdamm auseinander, so dass die dramaturgische Stringenz des schlüssig Ersonnenen unnötig leidet.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/09/16/kleiner-mann-was-nun-berliner-ensemble-kritik/
P.S. an nk: Sie haben eine Antwort auf einen Kommentar auf meinen Beitrag nicht veröffentlicht (Macbeth in DA). Nun „kommentiert“ ausdrücklich ein weiterer Mensch meinen Kommentar. Anscheinend nerven meine Beiträge. Oder ein Muster / ein Motiv dahinter? Mit freundlichen Grüßen Pf.