Ein Sommernachtstraum - Residenztheater München
Fühlst du es?
28. September 2024. Aus Helena wird "der schöne Helmut", Demetrius ist eine Frau und die Hochzeit des Fürstenpaares die Fusion zweier Autohäuser. Eigentlich lässt Stephan Kimmigs Update des Shakespeare-Klassikers nur eine Frage offen: Ist das zeitgemäß oder zeitgeistfeige?
Von Sabine Leucht
28. September 2024. "Choose Life" steht auf dem T-Shirt, das er über rosa Glanz-Shorts trägt: "Wähle das Leben". Und das heißt in Florian von Manteuffels Fall, dem Affen Zucker zu geben, bis der kotzt. Manteuffel spielt Klaus Zettel, also einen der Handwerker, der in William Shakespeares "Sommernachtstraum" das Stück einübt, das zu Theseus‘ und Hippolytas Hochzeit gespielt wird.
Bei Shakespeare ist er Weber; in der Fassung, die Regisseur Stephan Kimmig mit seiner Dramaturgin Barbara Sommer und dem Ensemble erstellt hat, Optiker. Und außerdem "ein weißer deutsch-schweizerischer Cis-Mann mit den Pronomen er/ihn". Das ist der Stoff, aus dem der Abend ist, mit dem das Bayerische Staatsschauspiel die Spielzeit eröffnet: Ein "Sommernachtstraum" reloaded – zugleich aufgeladen mit zeitgenössischen Identitäts-Diskursen und geerdet im Profanen. Das geht mal ganz geschmeidig zusammen und dann wieder gar nicht.
Ich liebe den angestrengten Mittelstand!
Die Hochzeit des Fürstenpaars etwa ist eine Fusion zweier Autohäuser, und wenn Lea Ruckpaul als Heidrun Hippolyta Klein juchzt: "Ich liebe den angestrengten Mittelstand" und bald darauf wieder Shakespeare spricht, hält man den Mix noch für eine grandiose Idee. Aber das Shakespeare‘sche macht sich rar und rarer, und auch inhaltlich haben die Aktualisierungen teils schiefe Folgen: Dass Hermias Vater sich an die beiden offenbar erfolglosen Geschäftsleute wendet, damit die seine Tochter emotional wieder auf Spur bringen zum Beispiel. Das findet offenbar auch Theseus Wesselmann schräg: "Wir sind ja nicht bei einer Familienaufstellung", sagt Lukas Rüppel fahrig und wimmelt seinen Buchhalter ab. Der will, dass Hermia bei Demetria bleibt, statt mit Lysander durchzubrennen.
Demetrius wird hier zur Frau, und aus Helena wird der "schöne Helmut". Ein bisschen sicher auch, weil ein queeres Pärchen zeitgemäß scheint, aber vor allem geht man so den Szenen aus dem Weg, in denen Männer Frauen und Frauen sich selbst erniedrigen. So gibt Niklas Mittereggers Helmut vor Vassillissa Reznikoffs extrem wutbegabter Demetria das verliebt-devote Hündchen. Und nachdem Pucks Liebestrank die Zuneigungen der beiden Paare neu formatiert hat, bleibt Lysander statt Hermia ungeliebt zurück. Selbst Feenkönig Oberon ist ein ausgemachter Softie, der unter Titanias heißer Affäre mit dem Esel leidet wie ein Hund. Auch wenn er sie selbst angezettelt hat.
Der Lost Place to be
Ist‘s also zeitgemäß? Oder eher zeitgeistfeige? Vor allem ist es ein Abend, der zum Saisonauftakt die ganze Breite des Publikums abholen und die des Ensembles herzeigen will. Ersteres macht ihn ein wenig reibungs- und fallhöhenarm und gelingt dennoch nicht wirklich, zweiteres schon.
Katja Haß hat für die Drehbühne des Residenztheaters einen aufgerissenen und von allen Seiten einsehbaren Rohbau entworfen. In einem Raum prangt das Autohaus-Logo "Klein-Wesselmann" an der nackten Wand, in einem anderen galoppieren Fabelwesen über ochsenblutrote Höhlen-Patina. Foto- und Videoprojektionen sorgen für wechselnde Stadtraumansichten, und mal meint man auch eine Anime-Film-Szenerie zu erkennen. Nie aber ist man in Shakespeares verwunschenem Wald. Die städtische Brache, die aufgelassene Fabrikhalle, der graffitibunte Lost Place ist der Ort, an dem sich die Liebenden hier und heute treffen.
Ein Hauch des Verbotenen liegt auch über der Szene, über die Hausmeister Puck regiert. Der ist bei Max Rothbart sowohl Herr über die Lichtschalter wie über die richtige musikalische Stimmung und wohl auch diverse Drogen. Wenn er fast beiläufig Gorillaz' "Clint Eastwood" singt, ist das Verführerische dieser Halbwelt da. Oft aber wirkt der Flirt mit der Jugendkultur, der sich in malerisch abgerockten Outfits, Netzhemden und -Strümpfen (Gibt's die noch?), Sprüchen wie "Ich fühl's nicht" und zu vielen "Saus" und "Arschs" niederschlägt, anbiedernd oder von gestern.
Schöner träumen beim Powernap
Kimmig ist immerhin auch schon Ü60, hat aber ein Ensemble zur Verfügung, das spürbar Spaß an der Geschichte hat und einen trotz der Schwächen des Abends immer wieder mitnimmt. Können Rüppel und Ruckpaul bitte die Möglichkeit bekommen, ihre schüchtern-spröde Liebe irgendwo fortzuspielen? Und während Barbara Horvath und Vincent zur Linden unterbeschäftigt bis unterfordert wirken, darf einer endlich die Sau rauslassen: In dem "Lasst-mich-den-Löwen-auch-noch-spielen"-Zettel – man mag es aushalten oder nicht – hat Florian von Manteuffel eine Rolle nach Maß. Nichts steht seinem Hang zur Schmiere mehr im Weg, breit und hässlich darf er sich als Alpha-Männchen, das wütet, wenn ihm jemand "seine Impulse" abzuschneiden droht, die Hände an die Brust werfen. Und das Handwerkerstück-im-Stück sprengt er durch seine Exaltiertheit eh. Nicht zu reden von seiner Verwandlung in den Esel, der hier kein Esel ist, sondern ein über und über mit Schleim bedecktes hasenzahniges Wesen mit hüftlangen schwarzen Strähnen und einer mächtigen Ausbeulung unter den Leggins, die die verzauberte Titania streichelt: "Weckt mich von meinem Powernap ein Engel?"
Wieder mehr Mut zu träumen wünscht sich Stephan Kimmig im Programmheft. Aber gab es an diesem Abend irgendeinen Traum, den wer braucht? Ich fühl's nicht.
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec in Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens, in einer Fassung von Stephan Kimmig, Barbara Sommer und dem Ensemble.
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Licht: Gerrit Jurda, Video: Mirko Borscht, Dramaturgie: Barbara Sommer, Michael Billenkamp.
Mit Linda Blümchen, Vassilissa Reznikoff, Lea Ruckpaul, Lukas Rüppel, Max Rothbart, Felicia Chin-Malenski , Niklas Mitteregger, Vincent zur Linden, Thomas Reisinger, Barbara Horvath, Florian von Manteuffel, Pujan Sadri, Patrick Isermeyer, Delschad Numan Khorschid.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
Premiere am 27. September 2024
www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
Im Residenztheater "kichert und gackert das Publikum" gleich von Beginn an, gibt Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (29.9.2024) zu Protokoll. Das immerhin sei "nicht das Schlechteste, was im Theater passieren kann". Zu erleben sei allerdings "minimale Atmosphäre trotz maximalen Lärms", was jedoch nicht an den Schauspielern liege, die sich "begeistert ins Spiel" werfen. Kimmig vermeide die "Düsterkeit" und vergeblich warte man auf "Momente der Abgründigkeit am Morgen danach". Ans Herz gehe dieser Abend deshalb nicht, so die Kritikerin.
Die Drehbühne erweise sich für diesen "Sommernachtstraum" passend "wie die Faust aufs Auge", schreibt Michael Stadler in der Abendzeitung (30.9.2024). Denn schließlich gehe es darum, "wer hier wen begehrt, wer welche Rolle spielt, wer die Macht hat, wer sich unterwirft". Höhepunkt sei auch in diesem "Update" die Handwerkerszene, in der vor allem Florian von Manteuffel "eine hüftlockere Rampensauigkeit" gebe, dass es "wahrlich eine Schau ist". Kimmig habe einen "lässigen, durchweg unterhaltsamen Sommernachtstraum" geliefert, findet Stadler.
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Von mir aus könnte Herr Beck langsam weiterziehen. Schade, dass Düsseldorf besetzt wurde. Dort würde er wunderbar hinpassen. Aber vielleicht findet sich ein anderes Hochglanztheater für ihn?
Warum nicht? Wir haben uns köstlich amüsiert.
Allgemein eine sehenswerte Aufführung mit einem genialen Ensemble.
Nur um das kurz klar zu stellen:
Die FASSUNG ist laut Programmheft vom ausführenden Team, was ich als Vorgang ehrlich gesagt auch erstmal nicht rügenswert finde - im Gegenteil, das ist ja gängige Theaterpraxis. Die Übersetzung allerdings ist von Angela Schanelec, Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Und daher mitnichten eine Überschreibung…
Eine der von Ihnen genannten vielversprechenden Dramatiker*innen hatte dann übrigens zwei Tage später eine viel beachtete Uraufführung am Residenztheater - und das, oh Schreck, auf der kleineren Marstall-Bühne. Was den Text nicht klein gemacht hat, sondern ihn wunderbar in den Mittelpunkt stellte.
Guten Gruß!
Natürlich darf man zu den Geschlechterbildern von Shakespeare Distanz aufbauen, aber nur dadurch, dass man alles irgendwie verändert, wird es noch lange nicht gut. Insgesamt hat das Stück keine Atomsphäre - will es wohl auch nicht - und Flow kommt erst nach der Pause ein wenig auf. Die Schauspieler leisten ihr Bestes, vielleicht manchmal ein wenig zu krawallig, aber das kann man immerhin stehen lassen. Die Verzweiflung, Shakespeare dekonstruieren zu müssen, ohne zu wissen, wo man eigentlich hinwill, ist dagegen vorwerfbar.
Dazu diese unglaubliche, entfesselte Spiellust des Ensembles, diese pure Komik.
Seltsamste Gestalten herumirrend in einer langen Nacht.
Eine wirklich sehenswerte Aufführung. Wir haben gelacht, wie schon lange nicht mehr und nehmen viel Diskussionsstoff mit nach Hause.