"Sonst wird diese Stadt öde und leer"

1. Oktober 2024. Der Berliner Senat kündigt massive Kürzungen im Kulturhaushalt an. Damit ist ein komplexes Ökosystem der Kunst bedroht. Auf Nachfrage sagen die prägenden Theaterhäuser der Hauptstadt, was die Kürzungen für sie bedeuten würden und was sie von der Politik erwarten.

Stimmen gesammelt von Elena Philipp, Christian Rakow, Esther Slevogt und Christine Wahl

Berlin 2025? © Klaus Brüheim / pixelio.de

1. Oktober 2024. Der Berliner Senat muss sparen. Für die Kultur stehen Kürzungen von rund zehn Prozent im Raum. Dem Kulturleben, das die Hauptstadt ausmacht, drohen substanzielle Einbußen. Der Deutsche Bühnenverein hat eine Protest-Petition aufgesetzt, die bereits über 37.000 Unterstützer*innen gefunden hat. In welcher Weise sehen sich die Theater bedroht? nachtkritik.de hat an prägenden Häusern nachgefragt, wie sie das Sparvorhaben analysieren, welche Einsparpotenziale sie sehen und was sie vom Kultursenat jetzt erwarten.

Die Häuser stehen aufgrund ihrer Rechtsform vor unterschiedlichen Problemen: Staatliche Eigenbetriebe wie das Deutsche Theater oder die Volksbühne sind bei Verschuldung von der öffentlichen Hand gedeckt. GmbHs wie die Schaubühne, das GRIPS oder das Berliner Ensemble, in denen die Geschäftsführung für Verluste haftet, unterstehen dem privatwirtschaftlichen Insolvenzrecht und sehen sich mithin in dramatischerer Weise von möglicher Zahlungsunfähigkeit bedroht. Kleine freie Bühnen wiederum hängen wesentlich von den Projektfördertöpfen in Bund und Ländern ab, deren Kürzung ebenfalls in der Diskussion steht.

Der kurze Weg zu den Statements der Häuser: Ballhaus Ost | Berliner Ensemble | Deutsches Theater | GRIPS Theater | Hebbel am Ufer (HAU) | Maxim Gorki Theater | Schaubühne | Sophiensaele | Theater an der Parkaue | Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Ballhaus Ost

Anne Brammen, Mitglied des Programmteams am Ballhaus Ost

Noch ist ja offen, ob die Politik nach dem Rasenmäherprinzip bei allen gleichmäßig kürzen will, oder ein bis zwei große oder kleine Häuser schließt. Wir selbst haben noch keine Kalkulation für mögliche Kürzungen gemacht. Das wäre eine Sisyphusarbeit, bevor man die genauen Zahlen hat.

Aber viele Posten, an denen wir streichen können, haben wir nicht. Wir sind mit rund 740.000 Euro in der Konzeptförderung. Die Miete fürs Haus ist vertraglich festgelegt. Wir haben fünfzehn Festangestellte, aber nur eine Person in Vollzeit. Mit der Förderung für dieses Jahr war es möglich, dass wir erstmals alle Leute okay bezahlen können und nicht total prekär arbeiten.

Kürzungen würden erst einmal bedeuten, dass für Investitionen kein Spielraum da wäre, und vieles in unserem Haus ist einfach überholungsbedürftig. Wir haben nur geringe Programmmittel von etwa 30.000 Euro für Wiederaufnahmen oder Gastspielzuschüsse. Wenn die wegfallen, sind wir wieder komplett abhängig von Projektfördertöpfen des Senats oder des Bundes. Aber diese Töpfe sind ja auch in der Verhandlung. Sie waren schon nach dem Auslaufen der Hilfsgeldern aus der Covid-Pandemie wieder gefallen, eine Inflationsanpassung hat nicht stattgefunden. Das bedeutete: weniger Programm. Wenn die Fördermittel jetzt weiter sinken, verschärft sich diese Entwicklung.

Wir wünschen uns vom Senat, dass er die Strukturen aller Häuser versteht und entsprechend Entscheidungen trifft und wir wünschen uns vor allem im Senat stärkere Fürsprecher der Kulturlandschaft Berlins, die Orte und Künstler*innen nicht einfach an den Rasenmäher ausliefern.

Berliner Ensemble

Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles

Was zehn Prozent Einsparung für uns bedeuten würden, ist leicht auszurechnen: Wir bekommen rund 20 Millionen Euro öffentlicher Zuwendungen, die Summe beliefe sich also auf circa zwei Millionen. Der uns zur Verfügung stehende künstlerische Etat würde sich enorm verringern, denn an andere Bereiche wie die festen Personalkosten, die rund 80 Prozent unseres Gesamtbudgets ausmachen, können wir nicht herangehen. In der Folge müssten wir die Zahl der Neuproduktionen stark senken, was die Vielfalt des Spielplans reduzieren würde und letztlich niedrigere Auslastungszahlen und Einnahmen zur Konsequenz hätte. Auch die künstlerische Qualität der dann deutlich wenigeren Neuproduktionen wäre in Gefahr, wir müssten in vielen Bereichen sparen, die Theater durch ihr Zusammenspiel zu einer solch besonderen Kunstform machen: Bühnen- und Kostümbilder, keine Livemusik mehr, keine extra komponierte Musik, kein eigens in Auftrag gegebenes Video. Damit wären auch die vielen freien Künstlerinnen und Künstler, mit denen uns teilweise langjährige Arbeitsbeziehungen verbinden, sehr konkret von den Sparplänen betroffen. Aber auch diese Maßnahmen wären nur ein Teil, um das derzeit im Raum stehende Sparvolumen überhaupt ansatzweise zu erreichen.

Wir wissen ja, dass der Kulturetat einen der kleinsten Posten im Gesamthaushalt der Stadt ausmacht, während die Kultur gleichzeitig ein unheimliches Wirtschaftspotenzial hat.

Oliver Reese

Eine weitere Konsequenz: Aus meinen Zeiten am Schauspiel Frankfurt, wo uns auch einmal plötzlich eine Millionensparsumme auferlegt wurde, kenne ich noch das hässliche Wort "Wiederbesetzungssperre". Man besetzt freiwerdende Stellen nicht nach – im besten Fall für ein paar Monate, im schlimmsten dauerhaft. Für uns als eines der kleineren Berliner Häuser wäre das eine Katastrophe. Wir haben nur knapp 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. An andern Theatern mit einer vergleichbaren Anzahl an Produktionen und Vorstellungen pro Spielzeit sind weit über 300 Menschen beschäftigt. Wir arbeiten also schon extrem effektiv, jeder Einzelne hier leistet unglaublich viel, aus uns ist nicht mehr viel herauszuquetschen.

Hinzu kommt, dass das BE eine GmbH ist, ich bin der persönlich haftende Gesellschafter. Wir haben im Zweifelsfall also nicht das Land Berlin im Rücken, das uns angesichts der Sparauflagen gewähren könnte, Schulden zu machen, sondern wir sind nach einem absehbaren Zeitraum – ich rechne in etwa mit zwei Jahren – von Insolvenz bedroht.

Vom Kultursenator Joe Chialo erwarten wir, wie er ja auch angekündigt hat, dass er seinen Bereich verteidigt, für uns kämpft und sich in den Haushaltsverhandlungen entsprechend in die Bresche wirft. Wir wissen ja, dass der Kulturetat einen der kleinsten Posten im Gesamthaushalt der Stadt ausmacht, während die Kultur gleichzeitig ein unheimliches Wirtschaftspotenzial hat. Insofern halten wir es für eine Milchmädchenrechnung, derart an ihr zu sparen, aber wenn man das Gespräch mit uns sucht, würden wir uns natürlich nicht sperren und sicher auch etwas anbieten können – allerdings nicht in der zur Debatte stehenden Dimension! Zwei Millionen Euro pro Jahr schon 2025 sind schlichtweg nicht machbar, zumal das Problem insbesondere in der Kurzfristigkeit liegt. Wir planen aktuell bis 2027 – für 2025 haben wir längst Verträge abgeschlossen. Wenn ich jetzt sagen würde, ich streiche im nächsten Jahr einfach ein paar Produktionen, müsste ich die betreffenden Künstler und Künstlerinnen ausbezahlen und hätte immense Ausfallkosten – ohne künstlerische Gegenleistung.

Deutsches Theater

Johannes Leppin, Geschäfsführender Direktor des Deutschen Theaters Berlin

Der größte Teil der Aufwendungen lässt sich nicht oder ließe sich nur unter Vertragsbruch kürzen, dies betrifft Kosten für Personal, die Gebäudemiete und ähnliches, aber auch bereits angekündigte und vertraglich fixierte Inszenierungen für das Kalenderjahr 2025. Es muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass zur Herstellung unserer Bühnenbilder und Kostüme der Bühnenservice (Stiftung Oper) beauftragt wird, eine landesunmittelbare Stiftung Berlins, die auch von den Kürzungen betroffen ist.

Vom Etat des Theaters bleiben nur circa 15 bis 20 Prozent, die in die künstlerischen Neuproduktionen investiert werden. Kürzungen von 10 Prozent würden also eine Streichung neuer Produktionen beinhalten. Das wiederum würde auch mit einem Einnahmenverlust einhergehen. Weniger produzieren ist gleich sparen – so einfach ist die Rechnung leider nicht bzw. birgt sie darüber hinaus das enorme Risiko, weniger Einnahmen zu generieren.

10 Prozent Einsparungen für 2025 entsprächen in etwa 3 Millionen Euro, man müsste über die Hälfte aller neuen Inszenierungen kürzen. Was die Neuproduktionen des Spielplans betrifft: Für die kommenden Spielzeiten sind die Vereinbarungen bereits getroffen, Verträge sind gemacht – auch hier müsste das DT vertragsbrüchig werden.

Zum nicht-künstlerischen Etat ist zu sagen: Nicht erst seit der Energiekrise erfährt dieser Bereich eine enorme Aufmerksamkeit und wurde Prüfungen unterzogen. Auch eine Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit hat Einsparungen in diesem Bereich gebracht. Im vergangenen Jahr hat das DT zudem wirklich akribisch in allen Bereichen nach Einsparpotentialen gesucht, um die defizitäre Lage des Hauses in den Griff zu bekommen; wir sind hier auf einem guten Weg.

GRIPS Theater

Philipp Harpain, Leiter des GRIPSTheater (Theater für junges Publikum, gemeinnützige GmbH)

Das GRIPS ist seit Jahren erprobt, mit Unterfinanzierung umzugehen. Jetzt noch einmal 10 Prozent zu streichen, stellt uns vor eine fast unlösbare Aufgabe. Unser Etat beträgt etwas über 5 Millionen Euro, was wenig ist für 425 Vorstellungen pro Jahr und rund 85.000 Zuschauer*innen.

Die Kostensteigerungen haben unseren künstlerischen Etat schon angegriffen, allein durch die Inflation in den letzten zwei Jahren hatten wir rund 100.000 Euro weniger zur Verfügung. 2023 haben wir die Gagen auf den Mindestbetrag erhöht, damit die Schauspieler*innen ihre Lebenshaltungskosten bestreiten können; und trotzdem bleiben die Gehälter im gesamten Kinder- und Jugendtheater am untersten Rand. Der Senat hatte die Übernahme dieser Mehraufwendungen eingeplant, aber vor der Sommerpause wurden die Gelder aufgrund der Haushaltslage wieder gestrichen. Also bezahlen wir die Erhöhungen letztlich aus dem Produktionsetat, der aber nur knapp 5 Prozent unseres Budgets ausmacht.

Ich glaube, dass die Berliner Politik genug "Grips" hat und den Mut findet, die Kürzungen in Kultur und Bildung schnell wieder zurückzunehmen.

Philipp Harpain

Den Eigenanteil können wir kaum mehr steigern, wir erwirtschaften bereits 20 Prozent unseres Etats selbst. Mehr geht nicht im Kinder- und Jugendtheater. Schließlich können wir von Schulklassen nicht dieselben Eintrittspreise wie für Abendvorstellungen erwarten.

Künstlerisch produzieren könnten wir bei 10 Prozent Kürzungen nicht mehr, wir müssten Mitarbeiter*innen entlassen, den Spielplan ausdünnen und Repertoirestücke absetzen. Aber wäre das GRIPS ohne "Die Millibillies", "Ab heute heißt du Sara" oder "Linie 1" im Sinne der Politik oder des Publikums? Im Kinder- und Jugendtheater brauchen wir außerdem die aktuellen Stoffe auf der Bühne. 2020 haben wir den Roman "Die Welle" umgeschrieben auf Berliner Verhältnisse, es geht um Populismus und den Anfang einer Diktatur, das ist jetzt hochaktuell. Vernetzt haben wir uns für die Inszenierung mit dem Verein "Gesicht zeigen", um in in der Vermittlung übers Theater hinaus zu wirken. Im GRIPS geht es immer darum, den Raum zu geben, damit junge Menschen zu mündigen Erwachsenen werden, die sich selbst eine Meinung bilden können.

Kürzungen sind eine politische Entscheidung! Berlins Kulturetat ist im Verhältnis zum Gesamtetat nicht sehr groß. Aber wie viele Institutionen und Künstler*innen die Kürzungen beträfen und wie groß der Imageschaden wäre, das wiegt sich überhaupt nicht auf. Joe Chialo als Kultursenator sollte sich jetzt deutlich vor den Kulturbetrieb und die Freie Szene stellen. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass die Berliner Politik genug "Grips" hat und den Mut findet, die Kürzungen in Kultur und Bildung schnell wieder zurückzunehmen.

HAU Hebbel am Ufer

Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer in Berlin

Der erste Schock hat uns schon mitten im Sommer erwischt, mit der angekündigten Streichung der Gelder für das Bündnis Internationaler Produktionshäuser durch den Bund. Das sind circa 650.000 Euro, die jährlich ins Programm fließen. In der Frage des Senats von Berlin und dessen Sparplänen muss ich zur Ehrenrettung von Joe Chialo sagen, dass er direkt bei seinem Amtsantritt gesagt hat, dass schwere Zeiten auf uns zukommen. Das habe ich ernst genommen. Zugleich haben die Gespräche darüber nicht richtig stattgefunden. Und jetzt zu einem so späten Zeitpunkt auf die zehn Prozent Kürzungen, die im Raum stehen, zu reagieren, ist natürlich sehr schwierig.

Das HAU ist eine schlanke Organisation, wir haben kaum Fett an den Knochen. Sparen geht immer nur zu Lasten des Programms. Als Teil der Freien Szene sind wir von einem komplexen Ökosystem der Förderung abhängig. So bringen die Künstler*innen und Gruppen ihr eigenes Geld aus Drittmitteln mit, wo wir dann Anteile beisteuern, und stellen selbst Anträge für Festivals und Projekte. Also müssten wir jetzt gucken: Was kostet am meisten Geld? Internationales Arbeiten! Wollen wir das wirklich streichen? Und sowieso: Wenn an allen Stellen gekürzt wird, dann kollabiert das Ökosystem.

Vielleicht müssten die Berliner Theater als Solidargemeinschaft auftreten, und einfach sagen: Okay, Leute, im November und Dezember bleibt Berlin dunkel. Alle spielen nicht, die zwei Monate werden gespart und alle gehen in Kurzarbeit. Das wäre konsequent, und ein starkes Signal.

Zugleich nehme ich die gesellschaftliche Verantwortung an – überall muss gespart werden. Aber wenn auch in der Kunst und Kultur, dann muss ein klares Konzept aus der Kulturverwaltung oder der Kulturpolitik her. Eine Erklärung, wie sie rangehen wollen, und auf keinen Fall mit dem Rasenmäher.

Kachel Spardiktat2Leiter*innen und Szenen des Berliner Theaters. Oben von links: 1 Annemie Vanackere (HAU) 2 Volksbühne (aktuell ohne Intendanz) 3 Johannes Leppin (DT) 4 Anne Brammen (Ballhaus Ost). Mitte von links: 5 Philipp Harpain (Grips) 6 Im GRIPS Theater 7 Am Ballhaus Ost 8 Thomas Ostermeier (Schaubühne). Unten von links: 9 Jens Hillje (Sophiesaele) 10 Oliver Reese (BE) 11 Shermin Langhoff (Gorki) 12 Christina Schulz (Parkaue). Fotos © 1 Annette Hauschild, 2 Thomas Aurin, 3 und 12 Meike Kenn 4 Dorothea Tuch, 5 Pierro Chiussi, 6 und 7 David Baltzer, 8 Debora Mittelstaedt, 9 Dan Ipp, 10 Julian Baumann 11 Esra Rotthoff

Maxim Gorki Theater

Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters

Es ist im Falle des Gorki einfache Mathematik: Knapp 19 Millionen Euro beträgt die jährliche Förderung des Landes Berlin für das Gorki. Fast 16 Millionen Euro entfallen auf Personalkosten (davon 13,5 Millionen Euro auf feste, 2,5 Millionen Euro auf freie/feste künstlerische Honorare). Circa 3 Millionen Euro sind sonstige betriebliche Aufwendungen (davon 2,5 Millionen Euro feste Miet- und Betriebskosten, 0,5 Millionen Euro Betriebsnebenkosten wie Wartungen etc.).

Bei einer Kürzung der Förderung um 10 Prozent und damit 1,9 Millionen Euro wären wir bereits vor künstlerischen Spielbetriebskosten genau entsprechend im Minus von 1,9 Millionen Euro, ohne Möglichkeiten der Gegensteuerung aufgrund der festen Aufwendungen. Das würde bereits 2025 sämtliche Rücklagen des Gorki auf null reduzieren. Bereits ab 2026 wäre das Gorki nicht mehr fähig, als Ensemble-und Repertoiretheater weiterzuexistieren.

Nicht zu vergessen: Hinzu kommen, damit wir am Gorki auch wirklich Theater spielen können, noch zwei weitere voneinander abhängige Variablen: Einnahmen/Spielbetrieb.

Den Eintritten sowie weiteren Erlösen und Drittmitteln von 2,2 Millionen Euro stehen mindestens 2,2 Millionen Euro für die künstlerischen Spielaufwandskosten für Produktionen entgegen.

So sieht's leider aus.

Schaubühne am Lehniner Platz

Thomas Ostermeier, Künstlerischer Leiter und Regisseur der Schaubühne

Konkret würden die Kürzungen bedeuten, dass man die Waffen strecken muss. Denn diese zehn Prozent sind der Anteil am Budget des Theaters, der für die künstlerische Produktion zur Verfügung steht. Die übrigen 90 Prozent sind Fixkosten – Gehälter der Festangestellten, Miete, Strom, Versicherungen. Mit den flexiblen zehn Prozent kann man das tun, was dann auch das Publikum sieht: nämlich Künstler*innen, Regisseur*innen, Bühnenbildner*innen, Videokünstler*innen als Gäste für die Produktionen zu engagieren.

Waffen strecken sage ich deshalb, weil natürlich das Jahr 2025 längst durchgeplant ist. Verabredungen sind getroffen, Verträge unterschrieben. Wenn man drei Monate vor Beginn des Jahres sagt: Ab Januar müsst ihr zehn Prozent einsparen, dann wird da wirklich etwas vor die Wand gefahren.

Dann gäbe es zwischen Gentrifizierung und Prekarisierung keinerlei Inseln mehr, wo darüber nachgedacht wird, was es heißt, Mensch zu sein.

Thomas Ostermeier

Das ist auch deshalb bedrohlich, weil es genau die Freien Künstler*innen trifft, die schon in der Pandemie die großen Verlierer*innen waren und es jetzt wieder wären, wenn wir wirklich so handeln müssten. Es würden außerdem Abfindungen fällig, die sich aufgrund der Kurzfristigkeit fast in Höhe der Honorare belaufen. Man würde also irrwitziger Weise das gleiche Geld ausgeben für Kunst, die man dann aber gar nicht machen kann.

An den Fixkosten ist nichts mehr einzusparen. Wir stehen ohnehin schon unter hohem ökonomischem Druck. Strompreise steigen, Mieten und Wasserpreise steigen, Materialkosten für Bühnenbilder steigen, die Tarife steigen – zu Recht, um einigermaßen einen Inflationsausgleich für die Beschäftigten zu erreichen.

Oft ist ja die Rede von den "großen aufgeblähten Apparaten", aber gehen Sie gerne einmal mit mir durchs Haus: Ich kann Ihnen bei jedem und jeder Einzelnen erklären, warum wir sie brauchen und eigentlich immer noch zu wenig personelle Ressourcen haben. Die Videoabteilung zum Beispiel ist komplett überlastet, weil viele Künstler*innen mit Video arbeiten und sich im Videobereich ständig die Technik erneuert. Jetzt arbeitet Robert Lepage mit einer Videoinstallation aus beweglichen Bildschirmen, die maschinell bedient werden. Da kommt man sehr schnell an die Grenzen der einzelnen Abteilungen.

Ich erwarte von der Kulturpolitik, dass sie um die Kultur kämpft – im Sinne der Stadt. Kultur und Wissenschaft sind die Bereiche, für die Berlin in aller Welt berühmt ist. Und zwar ausdrücklich alle Bereiche der Kultur – also auch Gegenkultur, Clubkultur, Freie Szene, Musikszene, Galerienszene – all das macht Berlin aus. Da müsste ein Regierender Bürgermeister doch eigentlich sagen: Wir stärken die Kultur. Sonst wird diese Stadt öde und leer. Dann gäbe es zwischen Gentrifizierung und Prekarisierung keinerlei Inseln mehr, wo darüber nachgedacht wird, was es heißt, Mensch zu sein. Das jetzt abzurasieren macht etwas kaputt, was unwiederbringlich ist.

Sophiensaele

Jens Hillje, Künstlerischer Co-Leiter der Sophiensaele

Wenn die Auflagen, die momentan im Raum stehen, tatsächlich umgesetzt würden, käme eine absolute Katastrophe auf uns zu. Es wäre ein Kaputtsparen ohne Konzept. Wir waren ja als einzelnes Haus bereits vor einem Jahr von einer akuten Kürzung bedroht, die – nachdem wir klar kommuniziert hatten, was das konkret bedeuten würde – vom Parlament wieder zurückgenommen wurde. Jetzt finden wir uns absurderweise in genau derselben Situation wieder und können eins zu eins wiederholen, was wir schon damals gesagt haben: Die angedrohten Einsparungen würden etwa fünf bis zehn Premieren und insgesamt 100 Vorstellungen weniger pro Jahr bedeuten – was für die Freie Szene noch einmal etwas anderes heißt als für die Stadt- oder Staatstheater. Wir treten ja in der Regel als Koproduzenten auf: Ein Teil der Mittel kommt von uns, den anderen bringen die Gruppen selbst aus diversen Förderungen mit. Weil auch die Fördermittel für die freien Künstler*innen schrumpfen werden, setzt ein existenzgefährender Domino-Effekt ein.

Bei den Betriebskosten ist absolut keine Luft mehr zum Sparen: Durch die Mietsteigerungen, die Inflation und die gestiegenen Energiekosten sind wir schon in den letzten Jahren maximal schlank und effektiv geworden – jetzt ginge es direkt an die Substanz. Die Sparauflagen würden die Struktur – und damit die Aufbauarbeit der letzten 15 Jahre – zerstören. Wir müssten Mitarbeiter*innen entlassen und würden mit ihnen für unseren Betrieb konstitutives Know How verlieren. Schon jetzt ist es schwer, Techniker*innen und technische Produktionsleiter*innen zu finden, weil sie beispielsweise in der Kongressbranche deutlich mehr verdienen. Wenn man dann gezwungen ist, auch noch weniger Vorstellungen zu spielen und nicht mal mehr eine einigermaßen verlässliche Perspektive bieten kann, orientieren sich die Leute um und gehen woanders hin.

Wir erwarten, dass der Regierende Bürgermeister die Wichtigkeit der Künste, der Kultur und der Kreativwirtschaft als der einzigen natürlichen Ressource der Stadt erkennt, dass der Kultursenator für die Kulturlandschaft kämpft und dass beim Sparen eine Strategie und eine Perspektive existiert. Im Moment gibt es nur einen akuten Schock ohne jeden Plan – und das in einer Situation, in der sich mehr als genug Interessenten finden, die nur darauf warten, aus den Sophiensaelen einen weiteren Flagshipstore rund um den Hackeschen Markt zu machen. Mittelfristig würde den Sophiensaelen dann derselbe Weg drohen, den schon das Tacheles gegangen ist.

Theater an der Parkaue

Christina Schulz, Co-Intendantin des Theaters an der Parkaue (Junges Staatstheater Berlin)

Bei uns stoppen die angekündigten Kürzungen abrupt eine Weiterentwicklung: Im November eröffnet unser Haus nach langer Bauzeit neu. Wir wollen die Parkaue noch weiter für Kinder und Jugendliche öffnen, auch über die Vorstellungen hinaus. Diese Pläne müssten wir auf Eis legen, jetzt wäre Status-Quo-Erhalt angesagt, was schon schwer genug ist.

Die Frage ist: Sollten wir in einer Zeit, in der viele junge Menschen eine antidemokratische, sozialmedial hoch aktive Partei wie die AfD wählen, nicht in die Zukunft demokratischer Bildung investieren.

Christina Schulz

Unsere öffentliche Finanzierung liegt bei jährlich circa 8 Millionen Euro ohne Drittmittel, die im Raum stehenden Kürzungen entsprächen damit dem künstlerischen Budget für das gesamte Programm, das heißt, den laufenden Repertoirebetrieb mit künstlerischen Gästen, Neuproduktionen, Vermittlung und partizipativen Angeboten.

In der Praxis ließen sich 10 Prozent Kürzungen so kurzfristig gar nicht umsetzbar. Wie alle Stadt- und Staatstheater hat auch das Theater an der Parkaue einen Vorlauf von ein bis zwei Spielzeiten. Verträge für die aktuelle Saison bis Sommer 2025 könnten, wenn überhaupt, nur mit hohen Folgekosten aufgelöst werden. Müssten wir dennoch sofort sparen, würden wir finanziell ins Minus rutschen – und müssten die Spielzeitplanung 2025/26 komplett einstellen.

Auch Gastengagements wären nicht mehr möglich. Es gäbe am Theater an der Parkaue keine freiberuflichen Musiker*innen, Tänzer*innen oder Schauspieler*innen mehr, und das würde auch alle Freiberufler*innen und damit die Freie Szene Berlins empfindlich treffen.

Kulturelle Bildung fände nicht mehr statt: Wir müssten unser Vermittlungsprogramm, im Theater und außerhalb an Kitas oder Schulen, einstellen. Als Kinder- und Jugendtheater dieser Stadt leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen und sind dazu von unseren öffentlichen Trägern auch verpflichtet. Die Frage ist: Sollten wir in einer Zeit, in der viele junge Menschen eine antidemokratische, sozialmedial hoch aktive Partei wie die AfD wählen, nicht in die Zukunft demokratischer Bildung investieren?

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Celina Nicolay, künstlerische Betriebsdirektorin der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Die angekündigten Sparzwänge des Landes Berlin für die Haushaltsjahre 2025 und 2026 in Höhe von bis zu zehn Prozent des Gesamtbudgets würden in dieser Größenordnung die Spielfähigkeit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz riskieren: Dies sind rund 2,4 Millionen Euro und sie entsprechen dem variablen Anteil, der für die künstlerische Arbeit im Personalbereich (Gagen, Honorare, Vorstellungskosten für laufendes Repertoire, Einzelveranstaltungen und mit allen Positionen verbundene Reise- und Unterbringungskosten) zur Verfügung steht.

Demgegenüber machen Fixkosten (Löhne und Gehälter von rund 250 Festangestellten, Mietkosten, Haus-, Betriebs-, Gebäudetechnik und Infrastruktur) den Löwenanteil des Budgets aus, und an diesen sind kurz- und mittelfristig durch tarifliche, vertragliche oder sonstige rechtliche Verpflichtungen kaum Einsparungen möglich: Diesbezüglich geht es den Theatern nicht anders als dem Berliner Finanzsenator Stefan Evers, der bei der größten Ausgabenposition im Haushalt, nämlich der Verwaltung, keine kurzfristigen Einsparmöglichkeiten sieht.

Ohne Probebühnen, fest angestelltes Ensemble und eine funktionierende Technik ist letztlich gar kein Theaterbetrieb möglich. Jede Kürzung würde also direkt das künstlerische Budget und somit das Programm betreffen. Die Volksbühne müsste dem Publikum weniger Programm an weniger Spieltagen anbieten, Künstler*innen Verdienstmöglichkeiten verwehren und könnte nur eine kleinere Öffentlichkeit erreichen. Daraus resultierende Einnahmeverluste würden das Budget zusätzlich belasten.

Darüber hinaus wären bei dieser Einsparungshöhe weitere aktuelle und große Themen der Volksbühne betroffen, wie Probebühnen, Praterbespielung, barrierefreier Zugang, Umkleide-, Sanitär- und Aufenthaltsräume aufgrund des wachsenden Anteils weiblicher Beschäftigter, die Neubesetzung der Intendanz ab Sommer 2027 sowie des Interims bis dahin, die technische Ausstattung in den Bereichen Beleuchtung, Ton und Video sowie Maßnahmen zur Nachhaltigkeit und zum Diskriminierungsabbau.

Wenn überall gespart werden muss, kann man sicherlich den kulturellen Bereich nicht außen vor lassen. Eine Kürzung um zehn Prozent in dieser Kurzfristigkeit würde allerdings den Spielbetrieb der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz komplett gefährden.

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Kommentare  
Spardiktat Berlin: Stadt unter Stress
Die Berliner Bühnen pusten ständig wichtigen Sauerstoff in eine vollgestopfte Stadt. Eine Stadt, die seit Jahrzehnten unter Stress steht. Nehmt bitte nicht diese Kraft aus unserem Leben, liebe Politik.
Spardiktat Berlin: Einnahmeseite?
Dies sind schlechte Nachrichten für die Berliner und die Deutsche Kultur (andere Kommunen gucken sicher neugierig, was passieren wird...). Die Statements der Befragten sind klar und zeigen die Wunden. Gleichzeitig ist erstaunlich, dass ausschließlich von der Ausgabenseite gesprochen, die Einnahmenseite ausgeklammert wird.

Grundsätzlich natürlich verständlich, schaut man sich die Budgets der Theater an: Deutsches Theater ca. 30 Mio. Zuschuss, minus 10% sind 3 Mio., Einnahmen sind lediglich ca. 3,8 Mio. Wollte man hier also durch Preiserhöhungen die 10% auffangen, müsste man grob gesagt die Ticketpreise verdoppeln. Bei den anderen Häusern sieht es ähnlich aus, Ausnahme natürlich der Friedrichstadtpalast, der 16 Mio. Zuschuss bekommt, mithin 1,6 Mio. einsparen müsste und bei derzeit (alle Zahlen aus dem Kulturetat 22/23) ca. 23 Mio. Einnahmen die Preise um 7% erhöhen müsste.

Aber irgendwas wird man machen müssen, bei den Variablen "Kultur muss 10% sparen", "Keine Kosteneinsparungen möglich", "Wenn wir die Preise erhöhen, sinkt die Auslastung (noch mehr)", wird sich irgendwas bewegen müssen.

Es ist bemerkenswert, dass alle Befragten den hohen Stellenwert der Kultur in Berlin betonen, dieser Stellenwert dem Publikum aber gleichzeitig nur ca. 10% der Produktionskosten wert ist. Auch diese Diskussion muss ehrlich geführt werden, auch weil, analog zum Vorschlag von Frau Vanackere mit zwei Monaten Schließzeit für alle, als gemeinsame Aktion Dinge möglich werden.
Spardiktat Berlin: Oper schließen
Pauschale Kürzungen sind natürlich immer problematisch und ungerecht. In Berlin wäre es sicher angebracht und sinnvoll eins der 3 Opernhäuser zu schließen und die Imobilie sofort zu verkaufen. Da fehlt der Politik leider der Mut.
Spardiktat Berlin: Hohe Kosten entstehen
zu #3: kann sein, dass dem Senat der Mut fehlt, aber vor allem würde es kurzfristig gar kein Budgetproblem lösen. Gerade die Opern planen sehr langfristig, mit Abwicklung aller Verträge und Entlassungen mit entsprechenden Abfindungen entstehen im Gegenteil kurzfristig sehr hohe Kosten.

Und obwohl pauschale Kürzungen problematisch sind: wenn es um kurzfristige Einsparungen geht, ist es die gerechteste Methode, weil es die Verantwortlichen in die Verantwortung nimmt, für ihren Bereich Lösungen zu finden, anstelle vor allem zu argumentieren, warum es bei ihnen nicht geht...
Spardiktat Berlin: Arbeitsplätze
Gerne wird so leicht über Schließungen von Häusern gesprochen. Jedoch vergessen Sie Herr Stein, dass daran bis zu 1000 Arbeitsplätze hängen. Eine Oper ist ein mittelständisches Unternehmen, dass allein 700-800 Festangestellte hat. Hinzu kommen viele Selbständige und Partnerfirmen. Da sollte man vorsichtig sein mit solchen Aussagen.
Spardiktat Berlin: Abreißen
@3: Ja, genau! Die Staatsoper unter den Linden könnte man doch prima abreißen, von den meisten Plätzen sieht man ja sowieso schlecht bis nichts. Und auf dem Grundstück könnten endlich dringend benötigte und das halbe Jahr leerstehende Luxuslofts entstehen...!
Spardiktat Berlin: Menschen wie Max Reinhardt
Letztendlich hat mir bis zum heutigen Tage niemand erklären können, warum in Berlin vor 100 Jahren Menschen wie Brecht, Piscator und Max Reinhardt ohne vergleichbare staatliche Fördermillionen im Rücken ein Theaterschaffen auf die Beine gestellt haben, gegen das unsere heutigen üppig subventionierten Führungskräfte wie Oliver Reese, Shermin Langhoff und Thomas Ostermeier nichts von nur annähernd vergleichbarer Strahlkraft hinbekommen haben.
Vielleicht würde die Berliner Theaterlandschaft schlagartig spannender, wenn man die Berliner Sprechtheater der Obhut der ja ebenfalls mit reichlich "Staatsknete" versorgten Parteistiftungen überantworten würde. Ein CDU-geführtes Deutsches Theater, die
Schaubühne bei den Sozies, die Volksbühne beim BSW, Gorki-Theater bei den Grünen,
Berliner Ensemble bei den Liberalen und - als Salz in der Suppe - das HAU bei der AFD, das wäre ja vielleicht mal etwas. das Berlin trotz aller Etatkürzungen erneut zum Theaterhotspot machen könnte.
Spardiktat Berlin: Intransparente Bosse
Ich frage mich, weshalb die Theaterbosse hier so intransparent sind… Wenn jeder von denen einfach mal damit aufhören würde unverschämt hohe EINZELGAGEN zu verpulvern, müssten sie eben nicht weniger oder schlechter produzieren, sondern einfach nur damit aufhören nicht nachvollziehbar hohe Gagen an vermeintliche Star-RegisseurInnen zu verbraten. So heuchlerisch und verlogen.
Spardiktat Berlin: Gagen
@1312 wie hoch sind denn die „hohen Gagen an vermeintliche Star-Regisseur*innen“? Und wieviel sollte man ihnen eigentlich zahlen?
Spardiktat Berlin: Verklausuliert
Verehrte RegieStar,

Dazu kann ich keine Aussage treffen, die hier veröffentlicht werden würde seitens der Redaktion… aber ein Vorschlag hätte ich, man könnte doch zum Beispiel (da es sich ja um öffentliche Gelder handelt) von jedem Theater - vor allen Dingen, denen die zu den so genannten E-Klasse Häusern gehören - doch mindestens erwarten, dass öffentlich dargelegt wird, wie hoch jeder einzelne der RegisseurInnen honoriert wird… wenn das die Öffentlichkeit nämlich nachvollziehen könnte, könnten die Intendant Sinnen nämlich nicht so verklausuliert. Die Dinge vereinfachen, wo sie tatsächlich nicht einfach sind, à la Manier eines Bundespolitikers und wenn Theaterschaffende sich das selbe Wording aneignen wie Politiker sollten wir Bürger und Bürgerinnen, die gerne ins Theater gehen sich darüber mal Gedanken machen, wenn solche fadenscheinige Aussagen getroffen werden…
Spardiktat Berlin: Nicht konstruktiv
@1312 - ich bin mir sicher, dass die Redaktion nichts dagegen einzuwenden hat, wenn sie ihre persönliche Einschätzung geben, wieviel ein sogenannter Star im Theater verdienen sollte: 20.000? 30.000? Oder mehr? Mich würde auch interessieren, wieviel bezahlte Zeit sie einem Star einräumen, um sich auf eine Inszenierung vorzubereiten? Und welche Berufsgruppen in Deutschland und ihren Verdienst würde sie als Vergleichsgruppe heranziehen? Handwerker, Lehrer, Ärzte, Juristen?
Ich bin mir sicher, sie werden überrascht sein, wie wenig ein "Star" verdient. Hier aber nur eine populistische Neiddebatte zu eröffnen, ist nicht konstruktiv und auch etwas schäbig.
Spardiktat Berlin: Baumolsche Kostenkrankheit
@Oliver Held: Aus dem gleichen Grund, aus dem im Gesundheitswesen die Kosten kontinuierlich steigen bei gleichbleibenden oder reduzierten Leistungen: Personalinstensive Dienstleistungen mit begrenztem Rationalisierungspotential können im Gegensatz zum produzierendem Gewerbe Lohn- und Preissteigerungen nicht oder zumindest nur sehr begrenzt durch Automatisierung und die dadurch steigende Produktivität ausgleichen (Baumolsche Kostenkrankheit). Gleichzeitig wächst der Verwaltungsaufwand durch eine stetige Zunahme an Auflagen und Dokumentationspflichten (Buchhaltung, Arbeitsrecht, Sicherheitsbestimmungen, Datenschutz usw.).
Spardiktat Berlin: Managementskills
Diese Debatte ärgert mich. Ich bin nicht nur häufige Theatergängerin, sondern auch Betriebswirtin, seit fünfzehn Jahren arbeite ich für eine mittelständische Beratungsgesellschaft, und sage euch: 10% Kostensenkung ist GAR NICHTS. Ich erlebe Fälle, da müssen unsere Klienten 50% einsparen, wenn sie nicht pleitegehen wollen, und gleichzeitig ihre Einnahmen um 50% erhöhen. Geht nicht? Geht doch! Dann wird man als Firma eben mal kreativ. Natürlich sind Theater künstlerische Einrichtungen. Aber sie sind verdammt nochmal auch Unternehmen. Und die Intendant*innen sind nicht bloß Künstler*innen, sie sind auch ausgebildete Manager*innen - oder sollten es zumindest sein, wenn sie den Posten bekleiden wollen. Was tue ich, wenn mir Budgets gestrichen werden? Ich gehe zu meinen Lieferanten und tue das, was Wagenknecht von der Ukraine verlangt: verhandeln. Ich lege die Karten auf den Tisch und spreche Klartext: Entweder ihr kommt mir entgegen und wir bleiben langfristig im Geschäft oder ich suche mir jemand anders, der es für weniger macht (es gibt viele Regisseur*innen, Bühnenbildner*innen usw. da draußen, die nur auf ihre Chance warten). Es ist doch eine produktstrategische Entscheidung: Entweder verkleinere ich mein Produktportfolio (und schmeiße alles raus, was zu teuer ist und/oder schlechte Auslastung verspricht) oder ich erhalte mein Portfolio, wende aber strikte Kostenkontrolle an (wie in jeder anderen Branche auch). Usw. Richtig kreativ wird man doch erst, wenn die Ressourcen knapp werden. Also bitte, liebe Berliner Intendant*innen, zeigt, dass ihr nicht nur Klagelieder im Chor anstimmen könnt, sondern holt eure Managementskills raus und fangt an, strategisch und langfristig zu denken, geschickt und wenn nötig auch mal hart zu verhandeln, eure Mitarbeitenden auf Augenhöhe und doch bestimmt zu führen und eure Betriebe möglichst schlank und kosteneffizient zu organisieren. Die Umstellung fällt nicht allen gleich leicht, das weiß ich, aber am Ende, das kann ich euch garantieren, werdet ihr nicht nur finanziell auf solideren Füßen stehen, sondern vielleicht auch aufregenderes Theater machen, das womöglich sogar näher an der Lebensrealität eurer Zuschauer*innen ist.
Spardiktat Berlin: Leider absehbar
Man muss es leider sagen: diese bedauerliche Entwicklung war absehbar. Lange hat Berlin über seine Verhältnisse gelebt, mit einer Lust, die retrospektiv an Masochismus grenzte. Und die Qualifikation etlicher Leute aus der Berliner Politik kann man am besten mit Unfähigkeit gepaart mit Dreistigkeit und Selbstüberschätzung beschreiben. Die nicht bloß peinliche, sondern katastrophale Misswirtschaft rund um den Bau des BER war wohl besonders auffällig, rundherum grassierte jedoch noch mehr an laienhafter Hybris (die natürlich, siehe Köln, kein Berliner Alleinstellungsmerkmal darstellt). Berlin zukunftsträchtig zu positionieren war einigen offenbar zu anstrengend, stattdessen gerierte man sich als coole Lässigkeitsmetropole, auferstanden aus Ruinen und dem Müßiggang zugewandt. Bis die Party mangels Geld eben vorbei war. Das Schillertheater als zur bloßen Fassade heruntergekommene einstige Westberliner Renommierbühne hätte eigentlich ein warnendes Beispiel abgeben können, aber seltsamerweise wurde weder daran gedacht noch an Brecht/Weill, die schon vor über 90 Jahren gewusst hatten, dass zuerst das Fressen und dann die Moral kommt. Nun wird Berlin zwar nicht untergehen und natürlich auch nicht zum Provinznest verkommen, es wird eine sehr interessante Stadt bleiben. Doch eine Flurbereinigung wird wohl nicht zu vermeiden sein. Hoffentlich nicht nur für Theater und Theaterleute, sondern auch für eine Politik, die nie mehr wieder nicht vorhandene Gelder verjubeln möge, als gäbe es kein Morgen.
Spardiktat Berlin: Hilfe!
@13 Hilfe, wird Nachtkritik jetzt auch schon von prorussischen Spambots unterlaufen? Wagenknecht und ihre Haltung zur Ukraine als Vorlage für einen Radikalschlag in der Berliner Kulturszene? Die Maxime, es wird sich immer jemand finden, der es für weniger Geld macht, findet sich in der Theaterwelt ja leider sowieso schon, umso hilfreicher, dass es hier jetzt mal als Lösungsvorschlag (!) offen ausgesprochen wird. "Hart verhandelt" wird man natürlich auch "erst richtig kreativ" und "mit knappen Ressourcen" kommt "aufregenderes Theater" raus als zuvor... Mein Vorschlag wäre, als "häufige Theatergängerin und Betriebswirtin" mal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und hier keine vermeintlichen Garantien auszugeben, wie man die Kultur vollends ruiniert und eine nächste Generation Künstler noch tiefer ins ohnehin existierende Lohndumping reindrückt...
Spardiktat Berlin: Nachfrage
Auf welche Ausgangssumme bezieht sich denn überhaupt das Sparvolumen von 110 bis 150 Mio in den Jahren 2025 und 2026?
Spardiktat Berlin: Neoliberale Sicht
@13 Bitte, Adikou, suchen Sie sich ein neues Hobby. Golfen zum Beispiel oder Firmenaufkäufe. Aber lassen Sie einfach das Theater. Ihre neoliberale Sicht auf Kultur macht alles nur noch mehr kaputt.
Spardiktat Berlin: Übertreibung
Dass die Stadt ohne Rücknahme der Kürzungen öde und leer würde ist eine typische Berliner Übertreibung. Nur mal als Gedankenspiel, wenn jede der drei Opern und unzähligen Schauspielhäuser zwei Premieren weniger rausbrächte, welchen Durchschnittstheaterbesucher würde es stören? Wieviele würden es bemerken, wenn es ein Haus weniger gäbe? Der Alarmismus, der hier betrieben wird nervt einfach und ist so typisch für die Berliner Blase.
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